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Mehr Bio, mehr Kita, mehr Energie

Potenzielle Wähler der Grünen erwarten viel von ihrer Partei. Nicht alle sind mit der Umwelt- und Energiepolitik der ehemaligen Öko-Partei zufrieden.

Von Anja Nehls | 05.07.2012
    Süßer Duft mischt sich mit dem Geruch von Paella. Gleich neben dem Marktstand eines Spaniers gibt es Waffeln - ganz besondere Waffeln - nach eigenem Rezept- aus Dinkelschrot, mit Honig, alle Zutaten garantiert aus ökologischem Anbau. Anders ginge das hier auch gar nicht. Wer hierher kommt sucht öko, kauft öko, lebt öko und denkt öko:

    "Es ist ein grüner Treffpunkt, es kommen auch viele, die ganz bewusst einkaufen. Politisch korrekt, ich denke schon, es ist ne grüne und rote Gegend hier."

    Sagt die Mutter von Veit, acht Monate alt. Der schmiert inzwischen ungerührt die Biowaffel in die Schafwollunterlage des Kinderwagens – egal ob nun politisch korrekt oder nicht. Und eigentlich interessiert sich Waffelbäckerin Anita Henze auch nicht für Politik, aber ohne geht’s ja leider auch nicht:

    "Die, die meine Interessen vertreten, das sind natürlich die Grünen, ich leb’ sehr bio, habe auch ein Biounternehmen, es ist alles bio bei mir, und das finde ich total große Klasse und fühle mich am ehesten vertreten von den Leuten, die das auch vorantreiben."

    Das sehen hier viele ähnlich. Elisabeth Westphal ist seit über zehn Jahren die Marktleiterin auf dem Kollwitzplatz. Mit grüner Schlabberhose und Gesundheitslatschen ist sie jeden Donnerstag für Händler und Kunden Ansprechpartnerin Nummer eins. Sie kennt die Themen, die die Ökogemeinde auf dem Markt bewegen – und weiß, wofür sich die Grünen einsetzen müssten, um bei der Wahl zu punkten:

    "Also ganz wichtig ist im Moment nach wie vor Energie, Atomausstieg, Energie vermeiden, das ist ein Thema. Ein zweites Thema ist ganz stark hier die Gentechnik, das müssten sie stärker besetzen, und sie müssten stärker besetzen, dass die Ökobauern, gerade die kleinen, dass die stärker gefördert werden, das ist ein echtes Thema, und da sind viele unzufrieden."

    Deshalb werden auf dem Markt nicht nur Obst und Gemüse, Filzlatschen und Käse, Baumwolltaschen, Ökostrom, Wollsocken und Biopaella angeboten, sondern es wird auch politisch gekämpft – nicht unbedingt parteipolitisch und auch nicht nur wenn Wahl ist:

    "Wir sammeln zum Beispiel oft Unterschriften, und da sind sehr viele Menschen, die da unterschreiben, nachfragen, diskutieren, also es wird sehr viel diskutiert."

    Am Pizzastand zum Beispiel. Da schlagen gerade die Emotionen hoch. Die Champignons und Tomaten auf der Bio-Pizza leuchten frisch und wunderschön. Das Auge isst mit- soviel ist klar. Aber wählt es auch mit??

    "Das ist erstaunlicherweise verdammt wichtig, wie jemand aussieht, wie er sich bewegt, ich meine, man wählt den Menschen, das ist ja auch ein Problem, wir wählen doch keine Inhalte. Was ist denn so schlimm an Frau Claudia Roth? Die vertritt eine Meinung ihrer Partei. Das haben sie gewusst, als sie gewählt haben, und nun wundern sie sich. Sie hat ihren eigenen Stil, aber sie hat aber auch was dahinter, sie hat ihre Argumente, und sie ist nicht so populistisch wie manch anderer, der sich nur schwarz mit Schlips kleidet. Also ich glaube, die hat ganz viele Menschen, die sie einfach nicht wählen, weil sie sie kacke finden, von ihrem Aussehen und von ihrer Art, aber die wissen nicht, was sie inhaltlich bringt. Vielleicht sollten ja mal ein paar Junge ran, es gibt so viele Junge, die in der zweiten Reihe stehen und darauf warten, dass sie was tun dürfen, aber gehindert werden. Das liegt an den Parteistrukturen, das liegt aber auch daran, dass der eine dem anderen das Schwarze unterm Fingernagel nicht mehr gönnt, und so ist es bei den Grünen im Prinzip auch."

    Und deswegen können sich die Grünen der Kreuzchen dieser Ökogemeinde am Kollwitzplatz längst nicht mehr so sicher sein, wie noch vor ein paar Jahren. Die Menschen sind misstrauisch geworden. Nicht überall wo Bio draufsteht ist auch Bio drin, das gilt auch für Politiker.

    "Wir haben die ja nicht gewählt, weil Herr Trittin mit dem Fahrrad auf dem Bürgersteig fährt, sondern wir haben sie gewählt, weil sie als Vertreter der Bevölkerung, des Volkes für uns arbeiten sollen. Ich meine so 'n Politiker kann ja inzwischen alles machen und wird dafür nicht großartig zur Verantwortung gezogen. Demzufolge ist die Freiheit in bestimmten Richtungen was zu versprechen ja sehr groß. Mit dem Halten ist es dann nicht mehr so, da kann man immer noch mit dem Finger auf die andere Partei zu zeigen, mit der man gerade koaliert. Ich finde, dass die Grünen so konservativ sind wie die anderen auch, weil sie genauso nur an eigentlich ihren eigenen Interessen interessiert sind. Ich glaube zwar, dass sie tatsächlich mal angetreten sind alle, um was Gutes zu verändern, aber sobald sie in der Mühle drin sind, so mit Sachzwängen eingebunden sind und von Lobbys zugeschossen, dass sie leider keine Chance haben, das zu machen, was sie machen sollten."

    Da gäbe es einiges, was die grünen Politiker durchsetzen sollten, nicht um jeden Preis, aber immerhin: Ein Salat kostet hier 1,20, die großen Eier von glücklichen Hühnern 35 Cent und das Körnerbrötchen 90 Cent. Für Qualität sind die Menschen hier bereit, auch tiefer in die Tasche zu greifen. Dafür wollen sie gesundes Essen, Nachhaltigkeit und Lebensqualität:

    ""Für mich ist ein Thema, dass die Grünen sich viel stärker einsetzen, was ist Qualität. Kitaplätze ist ein großes Thema, und mit den erneuerbaren Energien, da habe ich so meine Probleme. Wer weiß, ob die Windparks in der Ostsee nicht schädlich sind, bisher haben sie darüber noch keine Erhebungen, und das, was ich gehört habe, ist nicht so positiv."

    Sagt Irina Zimmermann, die seit 17 Jahren auf Märkten Blumen verkauft. Riesige Sträuße mit gelben und roten Rosen oder weiß-gelben Margeriten. Ungespritzt. Wen oder was sie im September 2013 wählen wird, weiß sie noch nicht – vielleicht sogar die Grünen. In 15 Monaten kann aber viel passieren, auch bei den Grünen:

    "Ich warte drauf, was sie mir versprechen, gucke ob sie es einhalten und bin dann wahrscheinlich wieder mal enttäuscht."