Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Mehr oder weniger oder anders

Nachhaltiges Wachstum befürworten viele Menschen. Aber die Konsequenzen wollen wenige tragen. Dazu würde beispielsweise die Entkopplung des Ressourcenverbrauchs vom Wirtschaftswachstum gehören. Diese und andere Möglichkeiten einer grünen Ökonomie diskutierten Wissenschaftler in Basel.

Von Ingeborg Breuer | 07.02.2013
    Viele Regierungen Europas suchen händeringend nach Möglichkeiten, ihre Wirtschaften wachsen zu lassen. Doch auf der Baseler Tagung, so zeigte eine Umfrage unter dem Publikum, waren die Befürworter eines stetigen Wirtschaftswachstums deutlich in der Minderheit. Ebenso die Referenten. Dr. Irmi Seidl, Ökonomin an der Universität Zürich, begründete in ihrem Vortrag, warum Wirtschaftswachstum keine Lösung mehr sei. Irmi Seidl:

    "Wachstum erhöht nicht mehr die Lebenszufriedenheit der Menschen. Das zweite Argument ist, wir haben kein ausreichendes Wachstum mehr, um neue Arbeitsplätze zu schaffen. Ein weiterer Grund ist, dass Wachstum nicht die sozialen Unterschiede vermindert. Ein ganz wichtiges Problem ist, dass Wachstum die Umweltprobleme verschärft."

    Die sogenannte "grüne Ökonomie" setzt deshalb auf "nachhaltiges Wachstum". Es soll nämlich immer effizienter erreicht werden - mit deutlich weniger Ressourcenverbrauch und damit weniger CO2. Doch dieses Ziel, so Irmi Seidl, liegt in weiter Ferne:

    "Nachhaltiges Wachstum würde bedeuten, dass wir eine absolute Entkopplung von Ressourcenverbrauch und Wirtschaftswachstum haben, aber bislang gibt es das nicht. Und ich befürchte auch, dass wir das nicht so schnell hinkriegen werden, weil wir starke Reboundeffekte haben. Weil wenn Effizienzverbesserungen da sind, werden die wieder durch mehr Konsum ausgeglichen und dann haben wir Wachstumseffekte. "

    "Postwachstumsökonomie" heißt deshalb für Irmi Seidl die Alternative; ein Wirtschaften, das nicht länger auf Wachstum fixiert ist. Dies würde den Umbau vieler gesellschaftlicher Bereiche bedeuten:

    "Dazu müssen die wachstumsabhängigen Gesellschaftsbereiche wie Alterssicherung, Gesundheitssicherung, Unternehmen, Staatsfinanzen, Arbeitsmarkt selbst wachstumsunabhängig werden."
    Zweifellos, das räumt auch Irmi Seidl ein, würden in einer Gesellschaft, deren Wirtschaft nicht mehr wächst, sondern möglicherweise sogar schrumpft, Verteilungskämpfe ausgetragen. Dass dies zu erheblichem gesellschaftlichem Sprengstoff führen könnte, gab der Schweizer Nationalökonom Professor Bruno Frey zu bedenken, einer der wenigen Befürworter von Wirtschaftswachstum in Basel:

    "Dann muss man sich immer überlegen, wem nimmt man‘s weg. Überall gibt es riesige Widerstände wenn man Geld wegnehmen will, während wenn zusätzliche Möglichkeiten durch das Wirtschaftswachstum geschaffen werden, lässt sich das viel leichter in die Richtungen kanalisieren, die in der Zukunft nötig sein werden."

    Wirtschaftliche Stagnation, meint Bruno Frey, erschwere die Bewältigung von Zukunftsproblemen. Wachstum dagegen ermögliche wissenschaftliche Innovationen, wie sie nötig sein könnten, wenn zum Beispiel das Öl zunehmend knapper wird. Und Frey ist optimistisch, dass es solche Innovationen geben wird:

    "Wenn ein Gut knapp wird, eine Ressource, nehmen wir Öl, dann wird der Preis steigen und dann werden sich alle Leute bemühen, weniger davon zu verwenden. Es wird auch Innovationen geben, die dazu führen, dass man weniger Öl braucht. Und das macht man ja jetzt schon sehr deutlich, in der Schweiz werden sehr viel Häuser gebaut, die Erdwärme beziehen und gar kein Öl mehr brauchen."
    Kann man also auf den Erfindungsreichtum der Menschen vertrauen oder ist ein radikaler Umbau der Gesellschaft erforderlich? Allerdings agieren selbst die, die einen Umbau für nötig halten, oftmals paradox. 17.000 Besucher flogen im Dezember letzten Jahres zu der Klimakonferenz in Doha, hinterließen somit einen gigantischen ökologischen Fußabdruck – alles im Namen der Rettung des Weltklimas. Und auch so mancher Grünenwähler führt einen energiehungrigen Lebensstil: große Altbauwohnung, geräumiges Auto und Flugreisen in die warmen Ecken unserer Welt. Professor Harald Welzer, Professor für Transformationsdesign an der Universität Flensburg, stellte in seinem Vortrag denn auch solche Widersprüche in den Vordergrund. Und versuchte sie zu erklären. Harald Welzer:

    "Wir haben ein Wirtschaftsmodell, was historisch einzigartig erfolgreich gewesen ist, alle historischen Standards die wir haben, Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Bildungsversorgung, Gesundheitsversorgung kommen ja aus diesem Modell heraus. Und jetzt steht man vor der Aufgabe, ein solches Erfolgsmodell umbauen zu müssen, weil ein solches Modell wird mittelfristig nicht mehr funktionieren, weil wir nicht die Rohstoffe, die Hardware haben auf einem endlichen Planeten, dass so ein Wirtschaftssystem global funktionieren könnte. Wir haben aber kein Gegenmodell."

    Harald Welzer möchte mögliche Gegenmodelle publik machen. In seiner frisch gegründeten Stiftung "Futurzwei" möchte er von Menschen erzählen, die schon mal damit angefangen haben, anders und zukunftsfähig zu leben:

    "Beispiele anderer Praktiken, Beispiele von Unternehmen, die nicht wachsen, Beispiele von Gemeinschaftsgärten, die neue Formen von Sozialität in städtischen Räumen leben. Und diese Beispiele haben zwei Qualitäten: sie liefern Anschaulichkeit, man kann sich das angucken und denkt Donnerwetter, da geht ja was. Und das ist wesentlich ertragreicher und attraktiver … als das 40ste Buch über den Klimawandel."

    Ob solche Geschichten uns wirklich von unserem komfortablen Lebensstil abbringen? Oder muss sich erst der Ökokollaps ereignen, der uns zu einem bescheideneren Leben zwingen wird? Bei der Podiumsdiskussion am Abend wandten jene Teilnehmer, die auf – nachhaltigem - Wirtschaftswachstum beharrten, vorsichtig ein, dass der Systemzusammenbruch möglicherweise ja doch nicht ganz so sicher sei wie von den Postwachstumsvertretern prognostiziert. Weil eben die Zukunft oft nicht den Voraussagen entspreche, weder den pessimistischen, aber auch nicht den optimistischen. Zum Beispiel, so Bruno Frey, gab es 1870 in London eine Prognose. Rechnerisch stimmte sie. Doch dann - kam das Auto. Und führte zu ganz neuen Problemen! Bruno Frey:

    "In London wurde mal gesagt, wenn das so weiter geht, dann wird zwei Meter hoch Pferdekot in den Straßen liegen. Jetzt ist kein Millimeter Pferdekot in den Straßen von London. Die Welt verändert sich. Und das ist ein natürlicher Prozess und zu glauben, dass das dann alles gleich weitergeht und dass wir dann gegen eine Wand laufen, ist völlig verfehlt."