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Mehr Schaden als Nutzen?

Gehören Sie zu den 80 Prozent der Männer, die eigentlich zur Vorsorgeuntersuchung wegen Prostatakrebs müssten? Aber bisher sind Sie aus irgendeinem Grund nicht gegangen? Kein Grund für ein schlechtes Gewissen, findet Prof. Johannes Köbberling, Präsident des Europäischen Internistenkongresses:

William Vorsatz |
    Ich würde keinem gesunden Menschen raten, ohne Grund, ohne irgendein persönliches Risiko, zum Beispiel dass er aus einer Krebsfamilie kommt, an einem Screeningprogramm teilzunehmen.

    Erstaunlich, dieser Tipp. Kein Statement eines unseriösen Außenseiters etwa. Sondern eine Position, der sich etwa die Hälfte aller Befragten auf dem Euroäpischen Internistenkongress angeschlossen hat. Ihr Hauptargument: Es gebe bisher nicht genug große wissenschaftlichen Studien, die die Vorteile der Screenings ausreichend belegt hätten.

    Das heißt nicht, dass es nicht irgendwann mal Daten geben kann, mit denen belegt wird, dass ein bestimmtes Screeningverfahren hilfreich ist, aber das ist bisher eben nicht ausreichend der Fall.

    So räumt Köbberling zwar bei bestimmten Krebsarten, Geschlecht und Alter einen begrenzten Nutzen ein. Bei Brustkrebs etwa:

    Es gibt Daten, dass bei Frauen in einem bestimmten Lebensalter, zwischen 40 und 50, eine ganz leichte Reduktion der Mortalität vorliegt. Diese Daten müssen aber gegenüber gestellt werden dem Schaden dieser Krebsfrüherkennung.

    Riskant seien zum einen Fehldiagnosen. Aus denen die Ärzte dann überflüssige und damit schädliche Therapien ableiten. Die andererseits großen psychischen Druck auslösen können. Aber auch einen richtige Diagnose Krebs belastet seelisch schwer, argumentieren die Skeptiker. Dem muss dann der mögliche Nutzten gegenüber gestellt werden muss. Während die Lebensverlängerung etwa bei Brustkrebs immerhin nachweisbar sei, falle die Bilanz bei anderen Tumorarten wage aus, meint der Epidemiologe Professor Jürgen Windeler, der bei den Krankenkassen in Lohn und Brot steht.

    Für das Prostatakarzinom gibt es diese Studien nicht. Insofern gibt es dazu auch keine Daten über das Für und wider und die Frage, wie viele Männer eventuell durch eine Anwendung des PSA-Tests gerettet oder deren Leben verlängert werden könnte; die Daten liegen nicht vor.

    Bei einem PSA-Test wird Blut abgenommen und auf eine bestimmte Substanz hin untersucht: das prostataspezifische Antigen, kurz PSA. Liegt der Wert zu hoch, steckt bei jedem Fünften ein Tumor dahinter. Dann müssen weitere Untersuchungen folgen. Zum Beispiel eine Gewebeentnahme, eine Biopsie. Allerdings stellt sich die Frage, wie sinnvoll die ganze Prozedur ist: die Tumore der Prostata sind recht vielfältig, es gibt aggressive und langsam wachsende Karzinome, die nicht unbedingt mit dem Tod enden. Prof. Windeler:

    Es ist so, dass etwa in einem Alter von 50 Jahren und dann aufwärts zunehmend, man etwa bei 30 Prozent der Männer bei sorgfältiger histologischer Aufarbeitung der Prostata Tumorzellen finden kann. Gleichzeitig weiß man natürlich, dass nicht 30 oder 50 Prozent der Männer am Prostatakarzinom versterben, insgesamt. Das kann nur bedeuten, dass ein Großteil dieser in der Prostata gefundenen Krebszellen nicht zu einem für den Träger klinisch relevanten Tumor wird und der Patient dadurch nicht beeinträchtigt wird und vermutlich auch nicht daran stirbt, sondern dass der Tumor so langsam wächst, dass andere Krankheiten Zeit haben, auszubrechen und vorher zum Tod des Patienten zu führen, bevor diese Prostatakarzinom überhaupt offensichtlich wird. Das hat die Auswirkungen auf den Screen, dass sie natürlich eigentlich den Patienten etwas Gutes damit tun, ihn im Unklaren zu lassen über dieses Prostatakarzinom, was er weder kennen muss, das ihn nicht beeinträchtigt, an dem er nicht stirbt.

    Hinreichendes Argument für die Kassen, ab einem Alter von 45 Jahren zwar eine allgemeine Prostata-Voruntersuchung zu bezahlen, nicht jedoch den PSA-Test dazu. Wer ihn dennoch haben will, muss etwa 15 bis 20 Euro hinblättern. Frei dagegen sind jene Screenings, bei denen der Nutzen durch große Studien klar bewiesen ist. Dazu gehören Gebärmutterhals- sowie Dickdarmkrebs. Und nun? Sind die bisherigen Kampagnen und Appelle zur Krebsvorsorge falsch? Sicher nicht. Vor allem, wenn sich unter den eigenen Verwandten bestimmte Krebsarten bereits gehäuft haben, macht ein Screening Sinn.

    Das Zweite, worauf ein Patient großen Wert legen sollte, ist, dass die Aufklärung, die ihm der Arzt liefert, umfassend ist, und dass insbesondere auch Risiken, die damit zusammenhängen, und die über das unmittelbare Risiko der Untersuchung weit hinaus gehen, sorgfältig und umfassend und für ihn befriedigend thematisiert werden. Nur dann ist er in der Lage, wirklich eine abgewogene eigene Entscheidung zu treffen.

    Neben dem Erwerb eigener Kompetenz rät Windeler auch zu einer gewissen Gelassenheit. Die ist wohl auch notwendig bei lebenswichtigen Entscheidungen, die so kontrovers diskutiert werden wie die Krebsfrüherkennung.

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