"Man könnte sogar so weit gehen und sagen, dass die Biophysik der Cochlea jetzt Signalverarbeitung betreibt, und dass wir die Gesetze dieser Signalverarbeitung jetzt entdeckt haben", berichtet der Physiker Ruedi Stoop vom Institut für Neuroinformatik der Universität Zürich. Damit wäre seiner Forschungsgruppe ein entscheidender Schritt bei dem Verständnis des Hörvorgangs in der Gehörschnecke gelungen. Denn bislang galt ein bereits 1863 konzipiertes Modell des deutschen Naturforschers Hermann von Helmholtz, nach dem das Innenohrorgan lediglich zur Aufnahme akustischer Signale dient, die es zur eigentlichen Verarbeitung an die Hörzentren des Gehirns weiterreicht. Die verschiedenen Stellen der Schnecke nehmen dabei unterschiedliche Frequenzen auf und wandeln sie in elektrische Information, erklärt Albert Kern, ebenfalls vom Institut für Neuroinformatik: "Ein Ton mit einer hohen Frequenz löst eine maximale Erregung in Zellen am Anfang der Cochlea aus - und je tiefer die Töne werden, desto tiefer in der Spirale erregen sie Sinneszellen."
Unzählige dieser Sinneszellen, so schildert Kern anhand eines dreidimensionalen Modells der Cochlea, sitzen auf einer hauchdünnen Membran, die den Schneckengang in zwei Bereiche teilt. Feine Haare der nach ihnen benannten Zellen geraten bei einem akustischen Reiz in Schwingung und erzeugen in der Zelle ein elektrisches Signal, das wiederum über den Hörnerv in bestimmte Areale des Gehirns gelangt. Von Helmholtz war davon ausgegangen, dass einzelne Nervenfasern des Hörnervs einzelne Stellen der Cochlea repräsentieren und jeweils nur eine bestimmte Frequenz an das Gehirn weiterreichen. Dazu Kern: "Dieses Bild ist bis heute gültig, nicht aber die Erklärung, die Helmholtz dafür gegeben hat: Er hatte vorgeschlagen, dass in der Cochlea quasi eine Art Klaviersaiten liegen, die durch die Töne dann angeregt werden." Lange bekannt ist, dass akustische Frequenzen in der mit Flüssigkeit gefüllten Hörschnecke Wanderwellen erzeugen, die je nach Wellenlänge an einer bestimmten Stelle der Spirale ihr Maximum erreichen und dort die Haarzellen in Bewegung versetzen, was wiederum als Reiz auf den Hörnerv gelangt. Ungeklärt aber bleiben Phänomene wie etwa, dass Musiker einen dritten Ton wahrnehmen, auch wenn sie nur zwei Töne spielen, oder wie das Innenohr extreme Lautstärken von bis zu 120 Dezibel verkraftet, ohne dabei zu ertauben. Eine weitere besondere Leistung des Hörvermögens ist beispielsweise das Filtern eines Gesprächs aus der lautstarken Klangkulisse der Umgebung.
Das Züricher Computermodell könnte bei der Aufklärung dieser Fragen helfen. "Unser Projekt verknüpft die Nichtlinearitäten der Hörerfahrung biologisch detailliert mit der physikalischen Hydrodynamik der Cochlea so, dass man wirklich nur biologische Größen hat", schildert Ruedi Stoop. Der Clou des Ansatzes ist die Art, wie die inneren mit den äußeren Haarzellen verknüpft sind. Dabei sorgen die äußeren Haarzellen für eine Verstärkung und Dämpfung der Signale. Albert Kern: "In Haarzellmembran verändern Proteine dann ihre Struktur und beeinflussen so die Steifigkeit der Zellmembran. Dadurch zieht sich die Zellmembran zusammen oder dehnt sich aus. Bei dem Verstärkungseffekt üben die Zellen eine Kraft auf die Basilarmembran der Cochlea aus." Ähnlich einem Trampolinspringer, der im richtigen Moment landen muss, um beim nächsten Sprung noch höher hinauf zu kommen, erzeugen die äußeren Haarzellen auch einen Bewegungsrhythmus, der die Fortleitung des akustischen Signals beeinflusst. Das Modell der Züricher Physiker verwendet dabei allein biologische Parameter wie die Flüssigkeitsdichte in der Cochlea, die Steifigkeit der Basilarmembran und die Verknüpfung zwischen den Haarzellen. Verblüffendes Ergebnis des Konstruktes: Die Simulation erklärt etwa, dass die Kontrastverstärkung zwischen Tönen und die Trennschärfe unseres Gehörs aktive Vorgänge sind, die auf der Arbeit der Haarzellen beruhen. Neben der Theorie eröffnet das neue Cochlea-Modell überdies viele praktische Möglichkeiten. So könnten damit Hörgeräte verbessert werden, indem diese nur Frequenzen verstärken, die das geschädigte Ohr auch noch verarbeiten kann. Auch künstliche Gehörschnecken seien vorstellbar, mit denen Roboter zukünftig besser auf ihre Umgebung lauschen könnten.
[Quelle: Sabine Goldhahn]
Unzählige dieser Sinneszellen, so schildert Kern anhand eines dreidimensionalen Modells der Cochlea, sitzen auf einer hauchdünnen Membran, die den Schneckengang in zwei Bereiche teilt. Feine Haare der nach ihnen benannten Zellen geraten bei einem akustischen Reiz in Schwingung und erzeugen in der Zelle ein elektrisches Signal, das wiederum über den Hörnerv in bestimmte Areale des Gehirns gelangt. Von Helmholtz war davon ausgegangen, dass einzelne Nervenfasern des Hörnervs einzelne Stellen der Cochlea repräsentieren und jeweils nur eine bestimmte Frequenz an das Gehirn weiterreichen. Dazu Kern: "Dieses Bild ist bis heute gültig, nicht aber die Erklärung, die Helmholtz dafür gegeben hat: Er hatte vorgeschlagen, dass in der Cochlea quasi eine Art Klaviersaiten liegen, die durch die Töne dann angeregt werden." Lange bekannt ist, dass akustische Frequenzen in der mit Flüssigkeit gefüllten Hörschnecke Wanderwellen erzeugen, die je nach Wellenlänge an einer bestimmten Stelle der Spirale ihr Maximum erreichen und dort die Haarzellen in Bewegung versetzen, was wiederum als Reiz auf den Hörnerv gelangt. Ungeklärt aber bleiben Phänomene wie etwa, dass Musiker einen dritten Ton wahrnehmen, auch wenn sie nur zwei Töne spielen, oder wie das Innenohr extreme Lautstärken von bis zu 120 Dezibel verkraftet, ohne dabei zu ertauben. Eine weitere besondere Leistung des Hörvermögens ist beispielsweise das Filtern eines Gesprächs aus der lautstarken Klangkulisse der Umgebung.
Das Züricher Computermodell könnte bei der Aufklärung dieser Fragen helfen. "Unser Projekt verknüpft die Nichtlinearitäten der Hörerfahrung biologisch detailliert mit der physikalischen Hydrodynamik der Cochlea so, dass man wirklich nur biologische Größen hat", schildert Ruedi Stoop. Der Clou des Ansatzes ist die Art, wie die inneren mit den äußeren Haarzellen verknüpft sind. Dabei sorgen die äußeren Haarzellen für eine Verstärkung und Dämpfung der Signale. Albert Kern: "In Haarzellmembran verändern Proteine dann ihre Struktur und beeinflussen so die Steifigkeit der Zellmembran. Dadurch zieht sich die Zellmembran zusammen oder dehnt sich aus. Bei dem Verstärkungseffekt üben die Zellen eine Kraft auf die Basilarmembran der Cochlea aus." Ähnlich einem Trampolinspringer, der im richtigen Moment landen muss, um beim nächsten Sprung noch höher hinauf zu kommen, erzeugen die äußeren Haarzellen auch einen Bewegungsrhythmus, der die Fortleitung des akustischen Signals beeinflusst. Das Modell der Züricher Physiker verwendet dabei allein biologische Parameter wie die Flüssigkeitsdichte in der Cochlea, die Steifigkeit der Basilarmembran und die Verknüpfung zwischen den Haarzellen. Verblüffendes Ergebnis des Konstruktes: Die Simulation erklärt etwa, dass die Kontrastverstärkung zwischen Tönen und die Trennschärfe unseres Gehörs aktive Vorgänge sind, die auf der Arbeit der Haarzellen beruhen. Neben der Theorie eröffnet das neue Cochlea-Modell überdies viele praktische Möglichkeiten. So könnten damit Hörgeräte verbessert werden, indem diese nur Frequenzen verstärken, die das geschädigte Ohr auch noch verarbeiten kann. Auch künstliche Gehörschnecken seien vorstellbar, mit denen Roboter zukünftig besser auf ihre Umgebung lauschen könnten.
[Quelle: Sabine Goldhahn]