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Mehr Verbindendes als Trennendes

Zwischen der griechischen Insel Kos und der türkischen Hafenstadt Bodrum liegen nur drei Seemeilen. Das Verhältnis litt lange Zeit unter der konfliktreichen Geschichte um Zwangsumsiedlung und Bevölkerungsaustausch. Doch in der Politik hat sich in den letzten zehn Jahres vieles zum Guten gewendet.

Von Ulrich Pick | 23.12.2009
    "Die Fähren legen hier ein oder zweimal täglich ab. Im Winter aber gibt es nur dreimal wöchentlich eine, die rüber nach Kos setzt: Montags, Mittwochs und Freitags. Aber im Sommer fähren sie täglich. Darüber hinaus gibt es noch die Fähren, die von den griechischen Inseln hierher kommen."

    Süleyman Uysal arbeitet bei der Fährgesellschaft Bodrum. Von der türkischen Hafenstadt zur griechischen Insel beträgt die Entfernung nur drei Seemeilen. Es ist der geringste Abstand zwischen den beiden Ländern entlang der gesamten westlichen Ägäisküste. Pro Saison kommen im Schnitt 300.000 Besucher von Kos aus nach Bodrum. Kein Wunder, obgleich in verschiedenen Staaten gelegen, verbindet die beiden Orte doch Etliches:

    "Bodrum und Kos liegen zwar in zwei verschiedenen Ländern, aber auf Kos gibt es noch überwiegend türkische Ortschaften. Und hier in Bodrum leben viele, die Verwandte auf Kos haben. Mein Großvater zum Beispiel ist auf Kos geboren, da gehörte die Insel noch nicht zu Griechenland. Aber nicht alle sind während des Bevölkerungsaustauschs umgesiedelt."

    Der Bevölkerungsaustausch, das war die Zeit um 1923. Damals – nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches, kurz vor Gründung der Türkei - legte der Vertrag von Lausanne fest, dass - bis auf wenige Ausnahmen – die Griechen Anatolien verlassen mussten und an ihrer statt die Türken aus Griechenland angesiedelt wurden. Das Verhältnis der beiden Nachbarstaaten ist seitdem nicht immer das Beste gewesen. Doch an der südlichen Ägäisküste, so berichtet der Journalist Alp Arbak aus Bodrum, sind die Verbindungen nie gerissen:

    "Die Bürger aus Bodrum und Kos sind sich sehr nah. Es gibt nicht nur freundschaftliche Beziehungen zwischen ihnen, sondern auch verwandtschaftliche. Die Bürger beider Seiten besuchen gegenseitig ihre Verwandten. Das ist ein Beweis dafür, wie verflochten beide Seiten leben."

    Stimmt es wirklich, dass beide Seiten miteinander verflochten sind? Oder ist das nur die Sicht der Türken? Um dies herauszubekommen, geht es mit der Fähre nach Kos. Denn möglicherweise könnte die Sicht der drei Seemeilen entfernt lebenden Griechen ganz anders sein. Doch bereits auf Deck wird klar, dass zwischen beiden Seiten in der Tat sehr eng sind. Denn hier treffen wir Susanna, eine Schweizerin, die von Bodrum aus Tagesausflüge auf Kos organisiert:

    "Ich habe lange Zeit auf Rhodos gearbeitet als Reiseleitung. Bin dann für ein Jahr nach Kos gekommen, wo ich dann meinen Mann kennengelernt habe, der von Bodrum ist. Und so bin ich nach Bodrum gekommen. Dann haben wir diese Marktlücke entdeckt und das läuft relativ sehr gut."

    Auf der Insel angekommen, geht es in eines der Staßencafés. Dort wollen wir die Kellner fragen. Denn sie dürften sowohl Kontakt zu den Einheimischen haben als auch zu den Gästen, die aus der Türkei kommen. Wie also steht es um das griechisch-türkische Verhältnis an der Ägäis aus Sicht eines Einwohners von Kos?

    "Vor einigen Jahren gab es Etliches, was nicht gut lief. Aber in den letzten zehn Jahren hat ein Wandel stattgefunden. Man kommt sich näher in der Politik. Aber, die Menschen, die hatten eigentlich nie - wie soll ich sagen - schlechte Gefühle."

    Als wir etwas zu trinken bestellen wollen und auf die Menükarte schauen, fällt uns etwas Interessantes auf. Natürlich werden auch hier, auf Kos, Espresso, Cappuccino und Latte macchiato angeboten. Doch dort, wo in Bodrum "türkischer Kaffee" steht, heißt es hier "griechischer Kaffee". Gibt es zwischen den beiden Produkten eigentlich einen Unterschied? Der Kellner schmunzelt: natürlich nicht!

    "So viele Unterschiede du entdecken kannst zwischen griechischem Kaffee und türkischem Kaffee - so viele Unterschiede gibt es zwischen den Menschen hier. Sie haben denselben Humor, dieselben Speisen, dieselbe Lebensauffassung."

    So gesehen haben die drei Seemeilen des Ägäischen Meeres zwischen der türkischen Hafenstadt Bodrum und dem griechischen Kos nichts Trennendes, sondern etwas Verbindendes.