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Meine zwei schönsten Alben des Jahres

Zwei Männer, die ihre sehr eigenwillige Vorstellung von Popmusik verwirklichen, haben Dirk Schneider im zu Ende gehenden Jahr besonders beeindruckt: Ein Schotte namens James Yorkston, und Chris Cohen, ein Newcomer aus Los Angeles. Die ganz großen, wegweisenden Platten konnte der Kollege in der Popmusik dieses Jahr nämlich nicht finden – "retro" war immer noch die beherrschende Vorsilbe.

Von Dirk Schneider | 15.12.2012
    Dass die Geister der Vergangenheit die Körper junger Menschen besetzen, und sie Musik machen lassen, die längst ausgestorben schien: Man konnte es auch im Jahr des Herrn 2012 nur schulterzuckend zur Kenntnis nehmen. Fähige Exorzisten waren in der Popmusik auch nicht in Sicht.

    Na gut, bei der einen oder anderen Band konnte man auch mit Beinen und Hüfte zucken. Der Düstersound der 80er-Jahre passt ja auch nur zu gut in die kalten Zeiten der Finanzkrise, am besten im Wechselbad mit dem warmen Sound der Siebziger. Alles Übrige hat Simon Reynolds mustergültig in seinem Buch "Retromania" beschrieben, das im Herbst auch auf Deutsch erschienen ist.

    Meine große Sympathie galt dieses Jahr darum einem Mann aus Schottland, der sicher keine wichtige, aber eine der schönsten Platten des Jahres gemacht hat: James Yorkston mit "I Was A Cat From A Book".

    Ein Mann mit Gitarre und ein paar feinen Begleitmusikern, der einen ganz eigenen, unverwechselbaren Stil gefunden hat. Musik, die keiner neuen oder vergangenen Mode verpflichtet ist. Von einem Mann, der mit seinen 41 Jahren zu alt ist, um der Hipster im Popzirkus zu sein, und der das auch nie wollte. Und dafür vom doch eigentlich sehr hippen Londoner Label Domino seit über zehn Jahren gehegt und gepflegt wird.

    Auch nicht mehr ganz jung ist Chris Cohen, der eines der besten Debüts des Jahres vorgelegt hat. Der 37-Jährige aus Los Angeles hat schon in Bands wie Deerhoof, Ariel Pink’s Haunted Graffiti oder bei Cass McCombs gespielt. Auf "Overgrown Path" lebt er jetzt seine eigenen Pop-Fantasien in neun sehr gelungenen Songs aus.

    Einziger Wermutstropfen: Auch Chris Cohen möchte klingen, als seien seine Aufnahmen mindestens drei Jahrzehnte alt. Diese Musik hat es gar nicht nötig, durch den Retro-Filter gejagt zu werden, um Zeitlosigkeit zu beweisen.