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Melodramatische Ironie und Gardinenpredigt

Zur Spielzeiteröffnung gab es am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg eine Uraufführung von René Pollesch unter dem Titel "Neues vom Dauerzustand". Ein einstündiges tragikomisches Werk über die Liebe, dessen Fokus auf der Darstellerin Sophie Rois lag, die gerade zur Schauspielerin des Jahres gewählt wurde.

Von Michael Laages | 07.09.2012
    Stolz war das Schauspielhaus auf seine Sophie Rois, als hätte sich der Qualitätsstandard dieser eigensinnigen Schauspielerin in Hamburg und nicht etwa im Umfeld von Frank Castorfs Ostberliner Volksbühne entwickeln können in nunmehr zwei Jahrzehnten, seit sie für Castorfs Eröffnungsspielzeit dort engagiert wurde.

    Dort ist Sophie Rois auch zur Dauer-Partnerin des Text-Fabrikanten Pollesch geworden; von dort aus hat sie als Protagonistin seiner Texte auch andere Bühnen erobert. Routiniert hat sie in "Neues vom Dauerzustand" den Fokus genossen, den Pollesch auf sie lenkt – sozusagen als Joan Crawford, wie die Film-Ikone eine auf Zukunft und Fortschritt versessene Saloon-Besitzerin spielt in "Johnny Guitar", Nicholas Rays modernem Western von 1954.

    Die Musik von Victor Young durchzieht den Abend, und Pollesch nutzt den kompletten Plot als Entree: Die Saloon-Lady kämpft gegen Grundbesitzer und Viehzüchter, vertreten durch eine weibliche Rivalin; und zwischen beiden weiß eben Johnny, einst Auftragskiller, jetzt geläuterter Gitarrero, nicht recht, wohin mit sich und der Liebe. Überhaupt: die Liebe – um die geht’s vor allem, nach kurzen Ausflügen hin zu den Katastrophenszenarien weltweiter Dumping-Wirtschafterei mit wachsender Armut nicht nur in der Dritten und Vierten, sondern nun auch in der Neuen und Alten Welt.

    In die Western-Szenerie von Bert Neumann, mit Bruchbude hinten vor lodernd rotem Horizont und von einer grasigen Viehkoppel, tappt plötzlich ein Wesen aus ganz anderen Zeiten herein – und spricht von Liebe, vom Tod und vom festen Glauben daran, dass beides miteinander zusammenhängt.

    Margit Carstensen, die Fassbinder-Veteranin, erst zum dritten Mal in Polleschs Diensten, trägt außen wie innen Teile der Rüstung, der Zu-Rüstung, mit der die Heilige Johanna von Orleans für die Liebe zu sterben bereit war; das ist komisch, weil die Figur ständig vom Nicht-Gelingen erzählt und sich (weil ein Chor von Schauspielstudentinnen ihr antwortet immerzu) in der Tragödie wähnt.

    Die melodramatische Ironie im Ton von Sophie Rois ist der Normalfall eines Pollesch-Abends, ist Routine und Pflicht; Christine Groß als Rivalin aus dem Western und in einer kleinen Psychologen-Farce als Einschub folgt ihr im immer gleichen Pollesch-Ton; Polleschs Diskurs-Theater ist ja auch eine immerwährende Gardinenpredigt und als solche oft eher ermüdend.

    Aber Margit Carstensen, die kämpft um jeden Auftritt, jeden Satz, jedes Wort, ist (noch!) eine Schauspielerin, mit der und durch die diese Texte (noch!) etwas bewirken ... da hat in der Suada vom "Dauerzustand" Liebe sogar ein großer Soziologe Platz:

    Margit Carstensen erfindet Pollesch "wie neu" – in dem Theater, wo sie vor fast 50 Jahren schon mal spielte und das jetzt –umbaubedingt- auch "wie neu" aussieht; das Parkett ist überbaut, der Theaterraum beginnt erst im 1. Stock und vor dem Eisernen Vorhang. "Spielfeld" nennen die Schauspielhäusler ihre Bühne jetzt, und sie könnten viel Freude haben mit diesem prächtigen kleinen Kammertheater in der letzten Spielzeit, bevor der Umbau endet und Karin Beier kommt. Vielleicht wird’s ja nach viel Ärger noch ein wirklich schöner Abschied.