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Menschenopfer bei den Inka

1999 entdeckten Wissenschaftler auf dem Gipfel des argentinischen Vulkans Llullaillaco die mumifizierten Leichname dreier Kinder. Ihr Tod vor mehr als 500 Jahren war vermutlich das Resultat eines Inka-Rituals. Nun gibt es neue Erkenntnisse.

Von Michael Stang | 30.07.2013
    Wahrscheinlich sind es die am besten erhaltenen Mumien der Welt, sagt Andrew Wilson. Die Rede ist von der "Llullaillaco Jungfrau", einem 13-jährigen Mädchen, dem vier bis fünf Jahre alten "Llullaillaco Jungen" und dem ebenfalls vier bis fünf Jahre alten "Blitzmädchen". Der britische Archäologe von der Universität von Bradford forscht seit mehr als zehn Jahren an diesen mumifizierten Inka-Toten. 2003 durfte er in Argentinien bei allen drei kindlichen Körpern Haarproben entnehmen. Von besonderem Interesse ist das ältere Mädchen, weil es die längsten Haare hat.

    "Und ihre langen Haare sind eine Art Archiv ihrer letzten beiden Lebensjahre. Jetzt konnten wir genau sehen, dass sie in den zwölf Monaten vor ihrem Tod viel Koka konsumiert hat."

    2007 hatte Andrew Wilson zusammen mit seinen Kollegen bereits erste genetische Untersuchungen und Isotopenanalysen an den 500 Jahre alten Körpern gemacht. Dabei konnten die Forscher klären, woher die Kinder ursprünglich kamen und dass sie zum Zeitpunkt ihres Todes eigentlich gesund waren. Bildgebende Verfahren hatten zudem gezeigt, dass die Kinder am Tag, an dem sie starben, noch gegessen hatten. Die alten Haarproben haben sich die Forscher nun erneut vorgenommen und mithilfe spezieller Massenspektrometrischer Analysen untersucht, wann die Kinder was zu sich genommen hatten.

    Denn viele Substanzen und chemische Stoffe manifestieren sich in den Haaren. Aus diesem Grund werden Haare heutzutage etwa auch für Dopingproben verwendet. Die Forscher haben die Haare der Mumien in 15 Millimeter lange Segmente geschnitten und konnten so jeweils für Zeitfenster von sechs Wochen sehen, was die Kinder jeweils zu sich genommen hatten. Das Ergebnis: Das 13-jährige Mädchen hatte erst ein Jahr vor seinem Tod damit begonnen, Koka-Blätter zu kauen, die stark berauschend wirken. In der Zeit vor seinem Tod hatte es auch erstmals Alkohol getrunken.

    "Wir vermuten, dass die Ethanolspuren von dem vergorenen Maisgetränk Chicha stammen. Insgesamt sehen wir in den Wochen vor seinem Tod einen starken Konsum von Koka und Alkohol."

    Andrew Wilson geht davon aus, dass sowohl der Kokakonsum als auch das Trinken von Alkohol eng mit dem Tod in Verbindung stehen. Vermutlich wurde das Mädchen lange vor seinem Tod ausgewählt und über Monate hinweg mit Drogen auf das Opfer-Ritual Capachocha in den argentinischen Anden vorbereitet, das den Übergang ins Reich der Geister ermöglichen soll.

    "Etwa zwei bis sieben Stunden vor seinem Tod hat das 13-jährige Mädchen noch etwas gegessen. Daher gehen wir davon aus, dass man sich intensiv um die Kinder gekümmert hat. Nachdem sie für das Opfer ausgewählt wurden, änderte sich einfach auch ihre Nahrung, denn wir können auch einen erhöhten Fleisch- und Maiskonsum nachweisen."

    Fleisch gehörte damals nicht zur täglichen Nahrung, sondern stand nur zu besonderen Gelegenheiten zur Verfügung. Ob die berauschende Wirkung von Koka und Alkohol ein Mittel war, um die Kinder auf ihren Opfertod vorzubereiten und bei ihnen den als heilig geltenden Status herbeizuführen oder ob sie damit einfach nur gefügig gemacht werden sollten, sei nicht klar. Ebenso wisse man nicht, so Andrew Wilson, ob die Kinder erstickt oder erfroren sind. Zeichen körperlicher Gewalt lassen sich nicht erkennen. Vielleicht sind die Kinder auch nur berauscht eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht. Klar sei aber, dass ihr Tod lange geplant und gut vorbereitet war.