
"Nichts zu machen." – "Ich glaub es bald auch." – "Ich habe mich lange dagegen gewehrt. Ich sagte mir: Wladimir, sei vernünftig. Du hast noch nicht alles versucht."
In keinem anderen Stück der Theatergeschichte sind Verzweiflung und Hoffnung so dicht beieinander, und kein anderes Stück enthüllt sich mit praktisch jeder Inszenierung so neu. Ziemlich am Anfang erzählt Wladimir die Geschichte von den zwei Schächern, die mit Jesus gekreuzigt wurden, und von denen einer erlöst worden sein soll. Und dann erzählt er, dass die vier Versionen der Evangelisten sich aber genau darin widersprechen.
"Einer von Vieren. Dann müssen beide verdammt worden sein." – "Warum nicht?" – "Der andere hat doch gesagt, einer sei erlöst worden. Warum muss man ihm mehr glauben als den anderen?" – "Wer glaubt ihm denn?" – "Mensch! Alle!"
Dieses Stück lehrt also früh: Worte machen den Unterschied. Worte können Erlösung bedeuten. Genau so macht die hölzerne Bühne den Unterschied, die Mark Lammert als hölzerne und sehr schiefe Ebene ins große Ruhrfestspielhaus gebaut und mit einem tiefen Loch, einem Krater versehen hat. Auf dieser Bühne warten Didi und Gogo nicht auf Godot, sie umtänzeln und umrutschen Godot.
Worte machen den Unterschied
In diesem Krater kann man auch auftauchen oder verschwinden, wie Pozzo mit Lucky, und wenn Didi, Gogo und Pozzo oben am Rand stehen und Lucky im Krater, wird das Herr-Knecht-Verhältnis schon optisch eindeutig untermauert. Lucky, Andreas Döhler gibt den erbarmungswürdigen Kerl, häuft ein ums andere Mal ein riesiges rosafarbenes Leintuch sich auf die Arme, das ihm zuvor schon eine demütigende Rutschpartie über die schräge Bühne bescherte. Lucky muss auch wie ein Radrennfahrer am oberen Rand dieses Kraters schnelle Kreise drehen, wird regelrecht gejagt.
Dieser Krater ist ein tolles Symbol, ermöglicht Mitleid oder aber die Entwertung des Anderen. Nie wurde deutlicher, dass es im Stück auch um die Diskussion sozialer Normen oder Hilfeleistung geht. Eine lange dünne Stange hinter der hohen Bühnenkante ist übrigens der Baum, an dem ein einzelner Scheinwerfer hängt, der die Szenerie beleuchtet.
Wie bei der Besetzung mit Wolfram Koch und Samuel Finzi zu erwarten war, kommt dieser "Godot" also eher aktivisch daher. Finzis kulleräugiger Wladimir-Didi gestikuliert wie ein Spaßmacher; er ist manchmal grüblerisch, aber auch leichtfüßig und charmant und im Zweifel der positive Unterhändler des Lebens. Wolfram Kochs Estragon-Gogo ist von Anfang an kaputter, aggressiver:
Regisseur Ivan Panteleev lässt vieles zu und alles offen
"Komm, wir hängen uns gleich auf." – "An einem Ast? Ich hätte kein Vertrauen." – "Lass es uns versuchen." – "Versuchs." – "Nach dir." - "Nein, du zuerst." – "Warum?" – "Du bist leichter als ich." – "Eben." – "Der Ast... versuch das doch zu verstehen!" – "Ich verlasse mich ganz auf dich." – "Gogo leicht. Ast nicht brechen. Gogo tot. Didi schwer, Ast brechen, Didi allein." – "Daran hatte ich nicht gedacht ..."
Regisseur Ivan Panteleev lässt vieles zu und alles offen, zum Beispiel: Estragons Vergesslichkeit und Hilflosigkeit könnten einfach Alzheimer sein. Panteleev ist ein Freund und Regie-Kollege von Dimiter Gotscheff und hat vor ein paar Jahren einen Film über den kürzlich verstorbenen Regie-Monolithen gedreht.
Sein kluger Zugriff besteht darin, ein Panorama menschlicher Handlungsmöglichkeiten und Existenzweisen vorzuführen, die nicht notwendiger Weise konsistent sein müssen. Das ist ganz in Becketts Sinn, der mit diesem Stück ja auch eine Offenheit zelebrierte, die weit über biografische oder philosophische Deutungsmuster hinaus reicht.
Panteleev lässt die beiden komödiantisch nicht von der Leine, aber er lässt sie zaubern, etwa in einer kleinen pantomimischen, nur durch Fingerschnippen angedeuteten Vorführung sämtlicher Sportarten von Frisbee über Tennis, Tischtennis, Golf, Springreiten oder Schach. Das Warten ist hier tatsächlich nebensächlich geworden. Das Leben besteht aus verzweifelter Lustigkeit und aus lustiger Verzweiflung, vor allem aber aus Spiel. "Wir sind Menschen", heißt es im Stück. Aber auch: Wer geht? Wer hilft? Wer furzt? Ein wortreicher, intensiver Abend. Und wieder ein neuer Beckett.