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Merz: Haushaltskontrolle in der Währungsunion ist unverzichtbar

Der ehemalige Unions-Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz plädiert für mehr Haushaltsdisziplin in den EU-Staaten. Sollten Länder sich nicht daran halten, bräuchte man wahrscheinlich Instrumente, um die Länder "auf Zeit aus der Währungsunion zu suspendieren", so Merz weiter.

Friedrich Merz im Gespräch mit Jürgen Liminski | 29.08.2011
    Jürgen Liminski: Wackelt die Kanzlermehrheit? Diverse Zeitungen und Zeitschriften rechnen vor, dass bereits knapp zwei Dutzend Abgeordnete skeptisch bis ablehnend den Plänen eines dauerhaften Rettungsschirms gegenüberstehen, dessen größter Anteil auf Kosten des deutschen Steuerzahlers gehen soll.

    Mitgehört hat der Unions-Politiker und Vorsitzende der Atlantikbrücke, Friedrich Merz. Er ist zurzeit in den USA. Guten Morgen beziehungsweise guten Abend oder gute Nacht, Herr Merz!

    Friedrich Merz: Ja! Guten Morgen, Herr Liminski.

    Liminski: Herr Merz, bekommen Sie einen Rettungsplan für den Euro auf einen deutschen Bierdeckel, oder braucht man für diese Rechnung doch mehrere auch aus anderen Ländern?

    Merz: Also für dieses Problem ist der Bierdeckel sicher das ungeeignete Medium, denn nicht nur der Rettungsplan ist äußerst schwierig, schon die Beschreibung der Lage und auch die Ursachen für die Krise sind ja nur sehr schwierig zu beschreiben, und insofern ist es schon ein wirklich außergewöhnlich komplexes Thema und das eignet sich nun wirklich nicht für den Bierdeckel, so viel Sympathien ich dafür immer noch habe.

    Liminski: Können wir überhaupt noch Souverän entscheiden? Wenn die Europäische Zentralbank Staatsanleihen hoch verschuldeter EU-Länder aufkauft, wird dann nicht auch deutsche Geld verbraten?

    Merz: Herr Liminski, wir haben - und ich sage wir, weil ich ja nun in zwei Parlamenten dabei gewesen bin - vor zehn Jahren bereits den entscheidenden Souveränitätsverzicht geleistet, als wir die gemeinsame Währung eingeführt haben, allerdings dafür auch sehr strikte und strenge Regeln aufgeschrieben haben, sowohl im Maastricht-Vertrag, als auch im Stabilitäts- und Wachstumspakt, und das eigentliche Problem scheint mir zu sein, dass sich eine größere Zahl von Mitgliedsstaaten und darunter leider auch die Bundesrepublik Deutschland an diese Regeln nicht halten. Wir haben damals gewusst, dass eine gemeinsame Währung auf Dauer nur bestehen kann, wenn man sich an eine bestimmte Haushaltsdisziplin auch hält, und die ist klar definiert worden. Wir haben auch gewusst, dass auf Dauer eine Währungsunion ohne politische Union nicht bestehen kann. Und wir - ich sage es erneut, weil wir alle daran beteiligt waren - haben damals ja nicht nur einen stabilen Euro versprochen, den wir übrigens haben bis zum heutigen Tag, der Euro ist eine stabile Währung; wir haben auch versprochen, dass es eine politische Union geben soll und muss. Etwas unklar ist geblieben, worin diese politische Union denn besteht. Aber uns war allen klar, dass wir eine sehr viel engere Koordinierung der Finanzpolitik, auch der Wirtschaftspolitik, der Arbeitsmarktpolitik in Europa brauchen, um das Projekt einer gemeinsamen Währung auf Dauer erfolgreich sein zu lassen. Und genau an dieser Stelle sind wir jetzt: die Verschuldung ist so hoch und die politische Union fehlt, und das muss jetzt in einem großen Kraftakt nachgeholt werden, und dass dies schwierig ist, dass das auch den nationalen Parlamenten schwer fällt, dies zu erkennen und die Notwendigkeiten auch einzusehen, das kann ich als jemand, der 20 Jahre Abgeordneter war, nur zu gut nachvollziehen.

    Liminski: In diesem Zusammenhang plädiert Finanzminister Schäuble in einem Zeitungsinterview heute für einen notwendigen Verzicht auf Souveränität, und CDU-Vize Frau von der Leyen wirbt im Spiegel sogar für die Vereinigten Staaten von Europa. Herr Merz, Sie haben es eben angedeutet: Sie waren auch mal Europaabgeordneter. Ist mit der Rettung des Euro jetzt auch die Stunde der Wahrheit für die alte Alternative gekommen, Bundesstaat oder Staatenbund?

    Merz: Das Bundesverfassungsgericht hat ja mehrfach sich mit dieser Frage auch auseinandergesetzt und deutlich gemacht, dass diese Begriffe aus der Staatsrechtslehre auf das, was in Europa geschieht, nicht ohne weiteres anwendbar sind. Ich habe mich persönlich immer schwer getan mit dem Begriff Vereinigte Staaten von Europa, weil damit eine Assoziation verbunden wird zu den Vereinigten Staaten von Amerika, die sich auf Europa nicht übertragen lässt. Insofern kommt es hier auch gar nicht auf die Wortwahl an, sondern es kommt auf den Inhalt an, und der Souveränitätsverzicht, den Wolfgang Schäuble anspricht, dieser Souveränitätsverzicht muss sich jetzt nicht nur in währungspolitischen Fragen wirklich zeigen, sondern er ist notwendig auch in Fragen der Haushaltspolitik. Wir können nicht in einer Währungsunion leben, in der die Mitgliedsstaaten weiter völlig unkontrolliert Verschuldung betreiben, ihre Haushalte nicht kontrolliert werden; wir brauchen hier eine präventive Haushaltskontrolle durch die Gemeinschaft in der Währungsunion. Wer das dann im einzelnen macht, ist schwierig zu entscheiden, da muss auch das Europäische Parlament mit einbezogen werden. Das sind sehr komplexe schwierige institutionelle Fragen, die an die europäische Politik schlechthin gestellt werden. Aber dieser Weg ist unverzichtbar, wenn wir die Währungsunion auf Dauer retten wollen. Hier stehen wirklich schwerwiegende Entscheidungen an, ja!

    Liminski: Es gibt Widerstand in der Koalition. Die CSU hat am Wochenende deutlich gemacht, dass sie eine europäische Wirtschaftsregierung und einen europäischen Finanzminister nicht akzeptieren will. Davon aber haben Bundeskanzlerin Merkel und Staatspräsident Sarkozy bei ihrem Treffen vor knapp zwei Wochen gesprochen. Brauchen wir eine solche Wirtschaftsregierung und einen solchen Minister?

    Merz: Ich halte die Grundsatzentscheidung von Deutschland und Frankreich, so etwas zu tun, für richtig. Allerdings kommt es mir weniger darauf an, dass das jetzt mit Personen und Ämtern verbunden wird, als vielmehr damit, welche Kompetenzen denn auf welcher Ebene wahrgenommen werden. Und ich habe es gerade schon einmal gesagt: Wir brauchen mehr Haushaltsdisziplin, und die muss durch Europa gewährleistet werden. Wir brauchen wahrscheinlich eben auch eine sehr viel stärkere Koordinierung der Wirtschaftspolitik und wir brauchen am Ende des Tages wahrscheinlich auch Instrumente, um Länder, die sich an die Disziplin nicht halten, wie etwa Griechenland, wenigstens auf Zeit aus der Währungsunion zu suspendieren. Sehen Sie sich die Zahlen in Griechenland an: Griechenland hat eine Staatsverschuldung jetzt von weit über 300 Milliarden Euro, die Griechen werden objektiv auch mit dem zweiten Hilfspaket nicht in der Lage sein, dieses Problem zu lösen. Da kommt es eben nicht so sehr darauf an, was in der Zukunft gemacht wird, sondern da müssen jetzt die Probleme der Gegenwart gelöst werden. Hier stehen fundamentale Veränderungen auch des gesamten Rechtsrahmens des Euro an, und aus meiner Sicht gehört dazu, dass man auch jedenfalls an dem Beispiel Griechenland deutlich machen muss, dass man nicht in einer Währungsunion bleiben kann, wenn man in einem solchen Umfang verschuldet ist und gleichzeitig keinerlei Perspektiven aufzeigt, wie man zum Beispiel wenigstens den Durchschnitt des Wachstums der europäischen Länder erreicht. Wir haben Wachstum in Europa und die Volkswirtschaft in Griechenland schrumpft. Wie soll das gehen? Wie soll dieses Land seine Schulden abtragen, ohne eine Abwertung der eigenen Währung zu machen? Dann müssen sie aber auch wieder eine eigene Währung haben. Ich war vor einigen Wochen noch anderer Meinung, komme aber heute zu dem Ergebnis, dass es gar keine andere Wahl gibt, als hier Restrukturierung von Staaten zu ermöglichen, und zwar auch außerhalb der Währungsunion. Das sind meines Erachtens die Fragen, die im Augenblick beantwortet werden müssen, und nicht die Frage, wer möglicherweise in zehn oder 20 Jahren einmal europäischer Finanzminister wird.

    Liminski: Nun könnte man auch argumentieren, wenn schon Souveränitätsverzicht, dann braucht man eine breite, fraktionsübergreifende Mehrheit im Parlament und es kommt auf die Kanzlermehrheit allein nicht mehr an, also mehr Europa gegen nationale Kanzlermehrheit. Ist das eine Alternative?

    Merz: Die Frage, ob die Bundesregierung noch eine eigene Mehrheit der sie tragenden Koalitionsfraktionen hat, ist eine rein innenpolitische Frage. Für die europäische Dimension des Thema ist es gut und richtig, dass zwei weitere Bundestagsfraktionen, nämlich die Sozialdemokraten und die Grünen erklärt haben, dass sie sich vorstellen können, das Rettungspaket mit zu unterstützen. Breite parlamentarische Mehrheiten zu haben in wichtigen entscheidenden außenpolitischen europäischen Fragen ist wichtig. Das war bei der Einführung des Euro wichtig und das wäre jetzt auch wichtig bei den Rettungsmaßnahmen, die ergriffen werden müssen. Alles andere ist eine Frage der deutschen Innenpolitik, die in Europa zwar mit Aufmerksamkeit wahrgenommen wird, die aber letztendlich für die europäische Politik insgesamt ohne Relevanz sind.

    Liminski: Noch eine kurze Antwort bitte zur Frage: Wir sind im globalen Umfeld, Sie sind in Amerika. Wie sieht man dort die deutsche Libyen-Politik?

    Merz: Mir fällt auf, dass die amerikanische Administration extrem sensibel ist bei diesem Thema und auch wahrgenommen hat, dass diese Position nicht allein vom deutschen Außenminister eingenommen wurde, sondern die gesamte deutsche Regierung diese Position vertreten hat, und die amerikanische Regierung auch von vielen Seiten aus, auch Delegationen, die in Berlin gewesen sind, auch auf Beamtenebene, in einer ziemlich überheblichen Weise belehrt worden sind, was man mit der NATO machen kann und was man mit ihr nicht machen kann, und da haben sich offensichtlich nicht nur Herr Westerwelle geirrt, sondern auch andere in der Regierung, und das ist in Washington nicht vergessen, das wird ein Thema bleiben und das stellt eben die Frage nach der Zuverlässigkeit der deutschen Außenpolitik.

    Liminski: Die Frage des Euro und die Frage der Souveränität - über diese Verknüpfung sprachen wir hier im Deutschlandfunk mit dem CDU-Politiker, Finanzexperten und Vorsitzenden der Atlantikbrücke Friedrich Merz. Besten Dank für das Gespräch, Herr Merz.

    Merz: Vielen Dank und viele Grüße nach Köln.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.