Die Küstenstraße im Osten der Isla Mujeres ist mäßig befahren, irgendwo da hinten im Meer liegt Kuba, unmittelbar hier vorn am Straßenrand springen wild gestikulierend drei Mädchen auf und nieder. Tanya, Siury und Alexandra sind zehn, acht und sieben Jahre alt. Sie wohnen hier in der Siedlung La Gloria.
Vormittags gehen sie zur Schule, am Nachmittag haben sie seit gestern eine Arbeit. Ihre Geschäftsidee: Golfautos stoppen und den Touristen etwas vorsingen.
"Wenn ein Golfauto kommt, geben wir dem Zeichen, so hier: Golf-Auto! Und wenn es dann stehen bleibt: Carrito de Golf!"
Dann rennen sie hin. Sieben Kilometer lang, an der breitesten Stelle 650 Meter breit liegt die Isla Mujeres vor der Küste der Riviera Maya. Tanya, Sury und Alexandra leben für Inselverhältnisse relativ weit ab vom Schuss. Fünf Kilometer südlich vom touristischen Zentrum mit den überall auf der Welt gleichen Touri-Shops, Hotels und einer Flanier-, Restaurant- und Partymeile.
Wer mehr will, leiht sich ein Golfauto und tuckert mit 20 km/h Maximalgeschwindigkeit eine Runde um die Insel, besichtigt die Schildkrötenaufzuchtsfarm, den Riffpark zum Schnorcheln und Tauchen und am Südende der Insel die kleine Mayaruine. Auf dem Rückweg von so einer Inseltour kommen die Touristen dann bei Tanya, Sury und Alexandra vorbei und die wollen ihr Stück abhaben vom Touristenkuchen.
""Wir hatten die Idee mit dem Singen, weil wir damit unseren Eltern helfen wollten mit dem Essen, wir haben nicht soviel Geld für Essen und Kleidung, wirklich! Wir haben noch nicht mal für Wasser!"
Die drei Mädchen sind karibisch-sommerlich gekleidet, kurze Hosen, Tops, Flip-Flops, bunte Haarspangen, die Klamotten sind sauber und in Ordnung. Einen Niedlichkeitsbonus kriegen die drei allemal, die Wir-sind-bettelarm-Nummer nimmt man ihnen nur schwer ab: Sie haben sichtlich Spaß an dem was sie tun. Bei dem etwa 50-jährigen glatzköpfigen Fahrer und seiner blond bezopften Begleiterin von diesem hier haben sie Glück.
"Die Lieder haben wir von … Also wenn wir zu Gott beten, gehen wir in eine Kirche und dort hören wir Lieder und die lernen wir. Und jetzt singen wir die hier und die geben uns Geld dafür. Das Geld teilen wir und geben es zu Hause ab."
Während neben der Ostküstenstraße flache Felsen, eine raue See und starker Wind die Szenerie bestimmen, herrscht nur 200 Meter von den Mädchen entfernt, an der Westküste der weiche Kontrast: türkisblaue, ruhige flache See, Sicht bis zum Meeresboden, die dunklen Stellen sind das Riff. Auf dem Weg zur anderen Seite wölbt sich die Insel zu einem Hügel auf, in der Mitte eine Lagune.
Dort, vor einem Steg, quasi in der Lagune lebt Richart Sowa, auf einer selbstgebauten schwimmenden Insel - aus Müll. Gerade steht er auf einer Leiter, gelehnt an die Wand seiner Hütte und verkleidet den ersten Stock mit Stoff, in Hüfthöhe nagelt er eine beige Spitzenbordüre.
"So sind alle hässlichen Nagelstellen verdeckt. Das sieht doch hübsch aus."
Richart, 56 Jahre, Bermudajeans, nackter braungebrannter Oberkörper, weiße Haare, Lachfältchen um die Augen, stammt aus Großbritannien, in den 70ern ist er Anfang 20 und beginnt die Welt nicht nur zu bereisen, sondern sich auch um sie zu sorgen.
"Ich hatte die Idee für die schwimmende Insel, als ich in Deutschland gearbeitet habe. Bei den meisten Konflikten, die wir auf der Welt haben, geht es um Land und Ressourcen und hier können wir jetzt unser eigenes Land gewinnen - und woraus? Aus dem, was die Welt nicht mehr braucht. Das ist ein Riesendurchbruch. Wir reden hier von einer Erde mit ständig wachsender Bevölkerung und immer mehr Müll und hier ist die Lösung: Wir können auf eine umweltfreundliche Art und Weise leben, wir können zusätzlichen Sauerstoff produzieren, indem wir Müll benutzen, aus dem wir Land bauen, wir schaffen mehr Raum, mehr grüne Flächen."
Heute lebt Richart Sowa auf einer schwimmenden Insel, der Boden unter seinen Füßen: circa 110.000 Einwegplastikflaschen in große Frucht-Netzsäcke gestopft, in denen sich die Flaschen verheddern und dadurch zusammenbleiben, darüber hat Sowa Paletten genagelt und darauf ein Haus gebaut.
"Auf der ganzen Insel gibt es Löcher, die sind mit Brettern zugedeckt und drüber Sand. Aber die kann ich immer aufmachen, um da die immer mehr Säcke mit Plastikflaschen drunterzuschieben. Hier so mit dem Stab. Ich schmeiß hier nichts weg, die Dinge, die nicht verrotten wie Papier oder Dosen, die steck ich auch alle mit in die Fruchtsäcke. Dann kommt da noch Dreck dazu und aus dem Müll und dem Dreck entsteht eine Schicht, die stark ist, aber auch flexibel und die Wurzeln der Pflanzen aufnimmt."
Die Spitzenbordüre an der Hauswand hält. Richart steigt die Leiter runter. Seit neun Jahren lebt er auf den selbstgebauten Karibikinseln, auf Plastikflaschen. Insel Nummer eins lag im offenen Meer und wurde bei einem Hurrikan zerstört. Die neue liegt geschützt in der ruhigen Lagune. Richarts Ziel: Mit dem eigenen Stück Inselland unabhängig von herkömmlichen Strom- und Wasserressourcen zu sein. In Teilen funktioniert das schon.
"Hiermit mach ich zum Beispiel Kuchen. Den pack ich hier in den Solarkocher, der mit Spiegeln funktioniert."
Der Solarkocher steht vor der Hütte, sieht aus wie eine Schatztruhe, der Deckel ist hochgeklappt, die Innenwände sind mit Spiegeln beklebt. Auf den Rost in der Mitte stellt Richart eine Schüssel mit einer Masse aus Müsli, frischem Obst, Mehl, Milch und Öl.
"Es ist ein ganz langsames Backen. Anfangen den zu essen kann man dann nach drei Tagen wirklich guter Sonne, aber nach drei Wochen schmeckt er am allerbesten. Mir geht es immer am Besten, wenn ich einen Kuchen im Ofen hab."
Während ganz am Südende der Isla Mujeres in einer grünen irisch-anmutenden Landschaft ein nobles Anwesen ins andere übergeht, bei den meisten weist das Schild einer Immobilienfirma daraufhin, dass sie leer stehen, wird es in Richtung Norden/Zentrum wieder einheimisch-mexikanischer.
In einem kleinen Steinbruch arbeiten Männer, Laster biegen vom Gelände mit Kies auf der Kippe in Richtung Zentrum ab. Links von der Uferstraße an einem kleinen Hang: Niedrige Wellblech- und Holzhütten, eng nebeneinander, eine sandige Buckelpiste führt den Hang hoch, rechts führen breite Wege tiefer in die Siedlung. Neben der Straße ein Schild: Colonia Guadulupana, daneben ein Che-Guevara-Porträt.
Am Ende der Buckelpiste oben links das Haus von Gaspar Gomez de Tur. Vor der Tür Hunde, Hühner, Männer. Letztere treten ein.
Die Hütte des 61-jährigen Gaspars, genannt El Mucaro, ist ein Wellblechbau auf Sandboden. Im größten Raum sitzt Gaspar in einer Ecke auf einem thronartigen Lehnstuhl am "sonnenblumenbetischdeckten" Esstisch. Der Raum ist rappelvoll mit mehr als 20 Männern, ein paar sitzen auf weißen Plastikstühlen, die meisten stehen. Ein historischer Samstagnachmittag in der Colonia Guadulupana. Gründungstreffen der Ortsgruppe Isla Mujeres der Partido de Trabajo, der Arbeitspartei. Aus Cancun ist ein Parteivertreter mit den Papieren angereist, fehlen nur noch die Unterschriften.
Der Spitzenkandidat Gaspar, genannt El Mucaro, wurde 1958 Jahren auf der Insel geboren. Damals gab es noch keinen Tourismus an der Rivera Maya, die Isla war ein verschlafenes Fleckchen, die Leute lebten vom Fischfang. In den 70er-Jahren wurde dann aus der ebenfalls unberührten Nachbarinsel Cancun das auf dem Reißbrett entworfene heutige Megatouristenziel mit vier Millionen Übernachtungen pro Jahr. Der Tourismusausbau auf der Isla Mujeres fand in kleinerem Rahmen, aber nicht weniger rabiat statt.
"Die Bauunternehmen holten Leute aus dem ganzen Land hierher, damit sie hier die großen Hotels bauen. Aber diese Leute von Wer-weiß-wo, die hatten ja hier gar keine Wohnungen, und die Regierung machte sich darüber keine Gedanken, die brachten die Leute her und es war ihnen egal, ob die ein Dach über dem Kopf hatten, die beuteten sie auf den Baustellen aus, aber danach waren die sich selbst überlassen wie streunende Hunde. Das war der Auslöser für die soziale Bewegung auf der Isla Mujeres."
El Mucaro ist ein kräftiger Typ, schwarze Polyestertrainingsjacke, weißes Rippshirt, Goldkettchen um Hals und Handgelenke, unter einem schwarzen Basecap freundliche braune Augen. Mit 18 Jahren setzte er sich an der Spitze der Bewegung von Landbesetzern auf der Insel.
"Die erste Siedlung war die Salinas Grande, dann haben wir die kleine Salinas besetzt, dann kam die Miraflores, Canjutal, La Gloria und heute haben wir hier die Colonia Guadulupana."
Zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit den Offiziellen kam es bei den Besetzungen nicht.
"Wir sind einfach hier auf diesen Hügel gegangen, haben hier übernachtet, unsere Hängematten aufgehängt, Zelte aufgebaut, im Freien. Bis wir erreicht hatten, dass sie uns das Land gaben. Dann haben wir angefangen, feste Häuser zu bauen, um da zu leben. Also klar sie kamen an und verwarnten uns, aber sie wurden nie handgreiflich. Sie sagten, das Land hätte Eigentümer, drohten, dass sie uns räumen würden, aber dazu kam es nie. Einmal war ich im Gefängnis, aber nach 24 Stunden haben sie mich schon wieder rausgelassen."
Illegale Landbesetzungen haben in Mexiko Tradition. Der Staat hat es in den meisten Fällen aufgegeben, dagegen zu kämpfen. Nach fünf Jahren werden besetzte Siedlungen legalisiert, der Guadulupana fehlen noch vier Monate, aber die haben es noch mal in sich, denn an die Stelle staatlicher Interessen sind privatwirtschaftliche gerückt.
"Die Obrigkeit heute ist repressiver geworden, weil das Inselland teuer ist und sie das Land an Multimillionäre verkaufen wollen. Sie üben Druck auf uns aus, indem sie dem ein oder anderen irgendwas versprechen, mal einen Ballen Holz oder einem Sack mit Lebensmitteln oder manchmal schenken sie einem 300, 400 Pesos. Sie wollen uns spalten, damit verlören wir alles. Dann können sie dieses Land für fünf Millionen Dollar verkaufen, aber das werden wir nicht erlauben."
Auf dem Steg, 25 Meter von Richarts Plastikflascheninsel entfernt, winken Besucher. Sie haben auf dem Schild am Steg gelesen, dass man die Insel besichtigen kann. Die drei Kanadierinnen aus Vancouver sind für zwei Wochen Urlaub auf der Isla Mujeres, was sie jetzt hier entdeckt haben, beeindruckt sie. Ein 25 Quadratmeter großes, floßähnliches Stück Erde, das auf dem Wasser schwimmt; mit einem Traum von Budenbauhütte in der Mitte, mit Windmühlchen auf dem Dach, kleinen Palmen und Mangroven drum herum, und einem Althippie, der sich jetzt in seinem selbst zusammengezimmerten überdachten Fährboot, an einem Seil zum Steg hangelt.
"Hola, Hallo, Willkommen, kommt an Bord. Schön euch kennenzulernen, Richart, Tracy, Lisa, Dianne. Hi. Das ist ein Flaschenboot, mit dem ich euch rüberbringe. Es ist auch aus Plastikflaschen gemacht, wie die ganze Insel drüben."
Richart bittet in die Hütte und die erinnert an Puppenstube, verwinkelt, an den Bambuswänden bunte Stoffe mit Indienmotiven. Die Türen haben kleine Fensterchen in Herzform. Hinter einem Vorhang ein Toilettenthron, Stufen führen hinauf.
"Die Insel wächst, jedes Mal wenn hier die Toilette benutzt wird, dann wird das biologisch abgebaut, die Toilette steht auf dem höchsten Punkt der Insel und der Dung geht in den Garten und wird Erde, ich tu als Toilettenpapier nur noch Pflanzenblätter dazu."
Hier ein Muschelmobile, da bunte Plastikblümchen. Richart bittet die Besucherinnen ins Drei-Quadratmeter-Schlafzimmer, an den Wänden kleine Muschellämpchen.
"Diese ganzen Lampen hier werden mit Solarzellen betrieben. Hier nebenan ist eine kleine Dusche, die soll betrieben werden über einen Tank, der Regenwasser sammelt. Da bin ich auf dem Weg hin."
Noch hat Richart sowohl eine Wasser- als auch die Stromleitung zum Festland, 1000 Pesos, 50 Euro zahlt er dafür im Monat. Sein Ziel ist es, alle Energie aus Wellen-, Wind- und Sonnenkraft zu gewinnen.
"This is a very funky little place."
Der aber wachsen soll, bis zu einem Quadratkilometer. Auf der Plastikflascheninsel sind Richart und seine kanadischen Besucherinnen bei den ganz praktischen Fragen angekommen.
"Wie wäscht Du Wäsche?"
"Ich hab eine wellenbetriebene Waschmaschine entworfen, aber in der Lagune hier gibt es im Moment zu wenig Wellen. Das wäre sonst ein langer Behälter, der von den Wellen geschüttelt wird und aufgeheizt wird von der Sonne über Spiegel, genau hier wie beim Solarkocher."
"Also ist es Dein Plan, aufs Meer rauszugehen mit der Insel?"
"Ja, ganz genau, ein schwimmendes Land zu sein ist das ultimative Ziel, autonom und unabhängig zu sein, Pflanzen zu züchten und von den Produkten der Insel zu leben."
"Das ist einfach nur großartig! Sehr beeindruckend! Ich hoffe, das ist die Zukunft für uns alle!"
Davon ist Richart fest überzeugt.
"Die Idee ist, aus Müll Land zu gewinnen, und das funktioniert. In den meisten der Dritte-Welt-Länder, wo die Bevölkerung explodiert, wird nicht recycelt wie in den nördlichen Ländern, aber die Leute produzieren immer mehr Müll. Trinkwasser kommt da aus Plastikflaschen. Dazu kommen viele Überschwemmungen, an Orten wie Bangladesh oder so, wo es regelmäßige Überschwemmungen gibt, wo Leute sterben oder ihre Häuser und Land verlieren. Da könnten sie sich so eine Insel aus Müll bauen, Erde drauf und dann kann man da ein Reisfeld anlegen, einen kleinen Garten, ein kleines Haus drauf bauen und wenn die Flut kommt steigen sie auf mit der Flut."
Über 30 Jahre exzessiver Tourismus an der Riviera Maya sind nicht schadlos an der mexikanischen Karibik vorübergegangen. El Mucaro beobachtet die Entwicklung von Anfang an.
"Sie haben es kaputtgemacht, es ist vorbei. Früher hatten wir hier überall eine Vielfalt von Schildkröten, Langusten, Fische tonnenweise. Heute gibt es die nicht mehr. Es gab die ruhigen Strände, wo die Schildkröten hinkamen, um ihre Eier zu legen. Das gibt es heute nicht mehr. Es gab so viele schöne Strände, an die kommt man heute nicht mehr ran, weil alles Privatbesitz ist."
"Somit ist er der indiskutable Führer dieser Gemeinschaft. Was wäre noch zu sagen, Mucaro?"
Um die Macht nicht dem Geld der Gringos zu überlassen, wollen die Siedlungsbewohner den Parteibeitritt.
"Ich kämpfe für euch."
Und el Mucaro hat seinen Fidel Castro studiert, er redet sich warm, spart nicht am Kult um die eigene Person und steht dem kubanischen Idol auch in der Länge seine Rede um wenig nach.
"Zählt auf mich. Solange ich da bin, werdet auch ihr in dieser Siedlung leben können. Erst muss ich sterben, bevor euch hier was passiert. Vertraut mir. Ein guter Führer stirbt zuerst, dann seine Soldaten. Deswegen sag ich euch, lasst euch nicht provozieren! Die Revolution existiert in dieser Siedlung! Das sagt euch der Mucaro, der sie liebt und deswegen euch liebt. Und wenn ihr mich unterstützt, dann werde ich mich für euch alle einsetzen."
"Ich muss mal den Strom anschalten. Wir sitzen ja im Dunkeln."
Inzwischen ist es stockfinster geworden in Mucaros Hütte in der Siedlung Guadulupana, der Siedlungsrevolutionsführer schaltet das Notstromaggregat an. Bisher gibt es keinen Anschluss an das Inselstromnetz.
"Noch ist diese Siedlung arm, weil die Autoritäten hier nichts investieren, weil sie immer noch hoffen, uns klein zu kriegen, auf dass sie das Land verkaufen können, aber nein: Wir werden eine rechtmäßige Siedlung sein, wir werden die gleichen Vorzüge haben, wie die anderen Siedlungen. Das weiß ich aus der Erfahrung. Schließlich hab ich die anderen Siedlungen gemacht. Da haben wir auch lange gelitten, bis wir Strom, Wasser, Entwässerung und Straßen hatten."
Aufbruchsstimmung in der neuen Ortsgruppe der Arbeiterpartei. Es ist Samstagabend, zu Hause warten die Familien mit dem Abendbrot. Aber auch ein Mucaro macht nicht hungrig Revolution.
"Ihr wisst, ich opfere mich und meine Zeit, um für euch zu kämpfen. Aber dafür brauch ich auch eure finanzielle Unterstützung, für die ganzen Ausgaben, die ich habe. Sonst kann ich gar nichts machen. Gerade erst hatte ich eine Operation. Das hat gekostet. Jetzt hab ich kaum Bares. Deswegen ist es eure Pflicht, mich zu unterstützen, denn ich führ diese Bewegung an. Aber am Ende ist es ja ein Kampf für euch."
Und El Mucaros Anhänger legen ihm einer nach dem anderen 20 bis 50 Pesos-Scheine auf den Esstisch - ein, zwei Euro. El Mucaro wird für sie kämpfen und ein bisschen auch für sein Ego. Er zündet sich eine Zigarette an, lehnt sich zurück.
"Meine Hoffnung ist, dass ich weiter für mein Volk kämpfen kann und eines Tages eine Erinnerung bleibt, dass sie sagen werden: Es starb der Führer, aber sein Werk bleibt, der einzige soziale Führer, den die Isla Mujeres je hatte, der einzige moralische Führer. Darauf wäre ich stolz."
Auch bei den Mädchen ist Zeit für den Kassensturz.
"Ich will den Schein, verdammt! Ich will den Schein, ich will den Schein, ich will den Schein, ich will den Schein, ich will den Schein!"
"Jetzt sei ruhig!"
"Schein!"
"Ruhig! Oh Mann, dann kommst du eben nicht mehr mit uns mit! Jetzt kommt Alex nicht mehr mit uns mit. Das war das letzte Mal, dass du dabei warst, wenn du durchdrehst!"
Die Rechnung geht auf. Tourismus ist eben die beste Einnahmequelle auf der Isla, nach zwei Stunden mit der eigenen Stimme Arbeit haben sie 75 Pesos, 3,60 Euro, verdient. Zum Vergleich: Der gesetzliche Mindestlohn liegt in Mexiko bei 50 Pesos, 2,50 Euro pro Tag. Nach dieser Ausbeute hat sich der Verwendungszweck für die Einnahmen etwas verschoben.
"Ich kauf mir gleich paar Chips, ich hab Hunger!"
"Ich geb es meinen Eltern."
"Ich geb bisschen was meinen Eltern und mit dem Rest geh ich an den Spielautomaten spielen."
"Ich auch! Ich auch! Ich nehme sechs Pesos für den Spielautomaten."
Vormittags gehen sie zur Schule, am Nachmittag haben sie seit gestern eine Arbeit. Ihre Geschäftsidee: Golfautos stoppen und den Touristen etwas vorsingen.
"Wenn ein Golfauto kommt, geben wir dem Zeichen, so hier: Golf-Auto! Und wenn es dann stehen bleibt: Carrito de Golf!"
Dann rennen sie hin. Sieben Kilometer lang, an der breitesten Stelle 650 Meter breit liegt die Isla Mujeres vor der Küste der Riviera Maya. Tanya, Sury und Alexandra leben für Inselverhältnisse relativ weit ab vom Schuss. Fünf Kilometer südlich vom touristischen Zentrum mit den überall auf der Welt gleichen Touri-Shops, Hotels und einer Flanier-, Restaurant- und Partymeile.
Wer mehr will, leiht sich ein Golfauto und tuckert mit 20 km/h Maximalgeschwindigkeit eine Runde um die Insel, besichtigt die Schildkrötenaufzuchtsfarm, den Riffpark zum Schnorcheln und Tauchen und am Südende der Insel die kleine Mayaruine. Auf dem Rückweg von so einer Inseltour kommen die Touristen dann bei Tanya, Sury und Alexandra vorbei und die wollen ihr Stück abhaben vom Touristenkuchen.
""Wir hatten die Idee mit dem Singen, weil wir damit unseren Eltern helfen wollten mit dem Essen, wir haben nicht soviel Geld für Essen und Kleidung, wirklich! Wir haben noch nicht mal für Wasser!"
Die drei Mädchen sind karibisch-sommerlich gekleidet, kurze Hosen, Tops, Flip-Flops, bunte Haarspangen, die Klamotten sind sauber und in Ordnung. Einen Niedlichkeitsbonus kriegen die drei allemal, die Wir-sind-bettelarm-Nummer nimmt man ihnen nur schwer ab: Sie haben sichtlich Spaß an dem was sie tun. Bei dem etwa 50-jährigen glatzköpfigen Fahrer und seiner blond bezopften Begleiterin von diesem hier haben sie Glück.
"Die Lieder haben wir von … Also wenn wir zu Gott beten, gehen wir in eine Kirche und dort hören wir Lieder und die lernen wir. Und jetzt singen wir die hier und die geben uns Geld dafür. Das Geld teilen wir und geben es zu Hause ab."
Während neben der Ostküstenstraße flache Felsen, eine raue See und starker Wind die Szenerie bestimmen, herrscht nur 200 Meter von den Mädchen entfernt, an der Westküste der weiche Kontrast: türkisblaue, ruhige flache See, Sicht bis zum Meeresboden, die dunklen Stellen sind das Riff. Auf dem Weg zur anderen Seite wölbt sich die Insel zu einem Hügel auf, in der Mitte eine Lagune.
Dort, vor einem Steg, quasi in der Lagune lebt Richart Sowa, auf einer selbstgebauten schwimmenden Insel - aus Müll. Gerade steht er auf einer Leiter, gelehnt an die Wand seiner Hütte und verkleidet den ersten Stock mit Stoff, in Hüfthöhe nagelt er eine beige Spitzenbordüre.
"So sind alle hässlichen Nagelstellen verdeckt. Das sieht doch hübsch aus."
Richart, 56 Jahre, Bermudajeans, nackter braungebrannter Oberkörper, weiße Haare, Lachfältchen um die Augen, stammt aus Großbritannien, in den 70ern ist er Anfang 20 und beginnt die Welt nicht nur zu bereisen, sondern sich auch um sie zu sorgen.
"Ich hatte die Idee für die schwimmende Insel, als ich in Deutschland gearbeitet habe. Bei den meisten Konflikten, die wir auf der Welt haben, geht es um Land und Ressourcen und hier können wir jetzt unser eigenes Land gewinnen - und woraus? Aus dem, was die Welt nicht mehr braucht. Das ist ein Riesendurchbruch. Wir reden hier von einer Erde mit ständig wachsender Bevölkerung und immer mehr Müll und hier ist die Lösung: Wir können auf eine umweltfreundliche Art und Weise leben, wir können zusätzlichen Sauerstoff produzieren, indem wir Müll benutzen, aus dem wir Land bauen, wir schaffen mehr Raum, mehr grüne Flächen."
Heute lebt Richart Sowa auf einer schwimmenden Insel, der Boden unter seinen Füßen: circa 110.000 Einwegplastikflaschen in große Frucht-Netzsäcke gestopft, in denen sich die Flaschen verheddern und dadurch zusammenbleiben, darüber hat Sowa Paletten genagelt und darauf ein Haus gebaut.
"Auf der ganzen Insel gibt es Löcher, die sind mit Brettern zugedeckt und drüber Sand. Aber die kann ich immer aufmachen, um da die immer mehr Säcke mit Plastikflaschen drunterzuschieben. Hier so mit dem Stab. Ich schmeiß hier nichts weg, die Dinge, die nicht verrotten wie Papier oder Dosen, die steck ich auch alle mit in die Fruchtsäcke. Dann kommt da noch Dreck dazu und aus dem Müll und dem Dreck entsteht eine Schicht, die stark ist, aber auch flexibel und die Wurzeln der Pflanzen aufnimmt."
Die Spitzenbordüre an der Hauswand hält. Richart steigt die Leiter runter. Seit neun Jahren lebt er auf den selbstgebauten Karibikinseln, auf Plastikflaschen. Insel Nummer eins lag im offenen Meer und wurde bei einem Hurrikan zerstört. Die neue liegt geschützt in der ruhigen Lagune. Richarts Ziel: Mit dem eigenen Stück Inselland unabhängig von herkömmlichen Strom- und Wasserressourcen zu sein. In Teilen funktioniert das schon.
"Hiermit mach ich zum Beispiel Kuchen. Den pack ich hier in den Solarkocher, der mit Spiegeln funktioniert."
Der Solarkocher steht vor der Hütte, sieht aus wie eine Schatztruhe, der Deckel ist hochgeklappt, die Innenwände sind mit Spiegeln beklebt. Auf den Rost in der Mitte stellt Richart eine Schüssel mit einer Masse aus Müsli, frischem Obst, Mehl, Milch und Öl.
"Es ist ein ganz langsames Backen. Anfangen den zu essen kann man dann nach drei Tagen wirklich guter Sonne, aber nach drei Wochen schmeckt er am allerbesten. Mir geht es immer am Besten, wenn ich einen Kuchen im Ofen hab."
Während ganz am Südende der Isla Mujeres in einer grünen irisch-anmutenden Landschaft ein nobles Anwesen ins andere übergeht, bei den meisten weist das Schild einer Immobilienfirma daraufhin, dass sie leer stehen, wird es in Richtung Norden/Zentrum wieder einheimisch-mexikanischer.
In einem kleinen Steinbruch arbeiten Männer, Laster biegen vom Gelände mit Kies auf der Kippe in Richtung Zentrum ab. Links von der Uferstraße an einem kleinen Hang: Niedrige Wellblech- und Holzhütten, eng nebeneinander, eine sandige Buckelpiste führt den Hang hoch, rechts führen breite Wege tiefer in die Siedlung. Neben der Straße ein Schild: Colonia Guadulupana, daneben ein Che-Guevara-Porträt.
Am Ende der Buckelpiste oben links das Haus von Gaspar Gomez de Tur. Vor der Tür Hunde, Hühner, Männer. Letztere treten ein.
Die Hütte des 61-jährigen Gaspars, genannt El Mucaro, ist ein Wellblechbau auf Sandboden. Im größten Raum sitzt Gaspar in einer Ecke auf einem thronartigen Lehnstuhl am "sonnenblumenbetischdeckten" Esstisch. Der Raum ist rappelvoll mit mehr als 20 Männern, ein paar sitzen auf weißen Plastikstühlen, die meisten stehen. Ein historischer Samstagnachmittag in der Colonia Guadulupana. Gründungstreffen der Ortsgruppe Isla Mujeres der Partido de Trabajo, der Arbeitspartei. Aus Cancun ist ein Parteivertreter mit den Papieren angereist, fehlen nur noch die Unterschriften.
Der Spitzenkandidat Gaspar, genannt El Mucaro, wurde 1958 Jahren auf der Insel geboren. Damals gab es noch keinen Tourismus an der Rivera Maya, die Isla war ein verschlafenes Fleckchen, die Leute lebten vom Fischfang. In den 70er-Jahren wurde dann aus der ebenfalls unberührten Nachbarinsel Cancun das auf dem Reißbrett entworfene heutige Megatouristenziel mit vier Millionen Übernachtungen pro Jahr. Der Tourismusausbau auf der Isla Mujeres fand in kleinerem Rahmen, aber nicht weniger rabiat statt.
"Die Bauunternehmen holten Leute aus dem ganzen Land hierher, damit sie hier die großen Hotels bauen. Aber diese Leute von Wer-weiß-wo, die hatten ja hier gar keine Wohnungen, und die Regierung machte sich darüber keine Gedanken, die brachten die Leute her und es war ihnen egal, ob die ein Dach über dem Kopf hatten, die beuteten sie auf den Baustellen aus, aber danach waren die sich selbst überlassen wie streunende Hunde. Das war der Auslöser für die soziale Bewegung auf der Isla Mujeres."
El Mucaro ist ein kräftiger Typ, schwarze Polyestertrainingsjacke, weißes Rippshirt, Goldkettchen um Hals und Handgelenke, unter einem schwarzen Basecap freundliche braune Augen. Mit 18 Jahren setzte er sich an der Spitze der Bewegung von Landbesetzern auf der Insel.
"Die erste Siedlung war die Salinas Grande, dann haben wir die kleine Salinas besetzt, dann kam die Miraflores, Canjutal, La Gloria und heute haben wir hier die Colonia Guadulupana."
Zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit den Offiziellen kam es bei den Besetzungen nicht.
"Wir sind einfach hier auf diesen Hügel gegangen, haben hier übernachtet, unsere Hängematten aufgehängt, Zelte aufgebaut, im Freien. Bis wir erreicht hatten, dass sie uns das Land gaben. Dann haben wir angefangen, feste Häuser zu bauen, um da zu leben. Also klar sie kamen an und verwarnten uns, aber sie wurden nie handgreiflich. Sie sagten, das Land hätte Eigentümer, drohten, dass sie uns räumen würden, aber dazu kam es nie. Einmal war ich im Gefängnis, aber nach 24 Stunden haben sie mich schon wieder rausgelassen."
Illegale Landbesetzungen haben in Mexiko Tradition. Der Staat hat es in den meisten Fällen aufgegeben, dagegen zu kämpfen. Nach fünf Jahren werden besetzte Siedlungen legalisiert, der Guadulupana fehlen noch vier Monate, aber die haben es noch mal in sich, denn an die Stelle staatlicher Interessen sind privatwirtschaftliche gerückt.
"Die Obrigkeit heute ist repressiver geworden, weil das Inselland teuer ist und sie das Land an Multimillionäre verkaufen wollen. Sie üben Druck auf uns aus, indem sie dem ein oder anderen irgendwas versprechen, mal einen Ballen Holz oder einem Sack mit Lebensmitteln oder manchmal schenken sie einem 300, 400 Pesos. Sie wollen uns spalten, damit verlören wir alles. Dann können sie dieses Land für fünf Millionen Dollar verkaufen, aber das werden wir nicht erlauben."
Auf dem Steg, 25 Meter von Richarts Plastikflascheninsel entfernt, winken Besucher. Sie haben auf dem Schild am Steg gelesen, dass man die Insel besichtigen kann. Die drei Kanadierinnen aus Vancouver sind für zwei Wochen Urlaub auf der Isla Mujeres, was sie jetzt hier entdeckt haben, beeindruckt sie. Ein 25 Quadratmeter großes, floßähnliches Stück Erde, das auf dem Wasser schwimmt; mit einem Traum von Budenbauhütte in der Mitte, mit Windmühlchen auf dem Dach, kleinen Palmen und Mangroven drum herum, und einem Althippie, der sich jetzt in seinem selbst zusammengezimmerten überdachten Fährboot, an einem Seil zum Steg hangelt.
"Hola, Hallo, Willkommen, kommt an Bord. Schön euch kennenzulernen, Richart, Tracy, Lisa, Dianne. Hi. Das ist ein Flaschenboot, mit dem ich euch rüberbringe. Es ist auch aus Plastikflaschen gemacht, wie die ganze Insel drüben."
Richart bittet in die Hütte und die erinnert an Puppenstube, verwinkelt, an den Bambuswänden bunte Stoffe mit Indienmotiven. Die Türen haben kleine Fensterchen in Herzform. Hinter einem Vorhang ein Toilettenthron, Stufen führen hinauf.
"Die Insel wächst, jedes Mal wenn hier die Toilette benutzt wird, dann wird das biologisch abgebaut, die Toilette steht auf dem höchsten Punkt der Insel und der Dung geht in den Garten und wird Erde, ich tu als Toilettenpapier nur noch Pflanzenblätter dazu."
Hier ein Muschelmobile, da bunte Plastikblümchen. Richart bittet die Besucherinnen ins Drei-Quadratmeter-Schlafzimmer, an den Wänden kleine Muschellämpchen.
"Diese ganzen Lampen hier werden mit Solarzellen betrieben. Hier nebenan ist eine kleine Dusche, die soll betrieben werden über einen Tank, der Regenwasser sammelt. Da bin ich auf dem Weg hin."
Noch hat Richart sowohl eine Wasser- als auch die Stromleitung zum Festland, 1000 Pesos, 50 Euro zahlt er dafür im Monat. Sein Ziel ist es, alle Energie aus Wellen-, Wind- und Sonnenkraft zu gewinnen.
"This is a very funky little place."
Der aber wachsen soll, bis zu einem Quadratkilometer. Auf der Plastikflascheninsel sind Richart und seine kanadischen Besucherinnen bei den ganz praktischen Fragen angekommen.
"Wie wäscht Du Wäsche?"
"Ich hab eine wellenbetriebene Waschmaschine entworfen, aber in der Lagune hier gibt es im Moment zu wenig Wellen. Das wäre sonst ein langer Behälter, der von den Wellen geschüttelt wird und aufgeheizt wird von der Sonne über Spiegel, genau hier wie beim Solarkocher."
"Also ist es Dein Plan, aufs Meer rauszugehen mit der Insel?"
"Ja, ganz genau, ein schwimmendes Land zu sein ist das ultimative Ziel, autonom und unabhängig zu sein, Pflanzen zu züchten und von den Produkten der Insel zu leben."
"Das ist einfach nur großartig! Sehr beeindruckend! Ich hoffe, das ist die Zukunft für uns alle!"
Davon ist Richart fest überzeugt.
"Die Idee ist, aus Müll Land zu gewinnen, und das funktioniert. In den meisten der Dritte-Welt-Länder, wo die Bevölkerung explodiert, wird nicht recycelt wie in den nördlichen Ländern, aber die Leute produzieren immer mehr Müll. Trinkwasser kommt da aus Plastikflaschen. Dazu kommen viele Überschwemmungen, an Orten wie Bangladesh oder so, wo es regelmäßige Überschwemmungen gibt, wo Leute sterben oder ihre Häuser und Land verlieren. Da könnten sie sich so eine Insel aus Müll bauen, Erde drauf und dann kann man da ein Reisfeld anlegen, einen kleinen Garten, ein kleines Haus drauf bauen und wenn die Flut kommt steigen sie auf mit der Flut."
Über 30 Jahre exzessiver Tourismus an der Riviera Maya sind nicht schadlos an der mexikanischen Karibik vorübergegangen. El Mucaro beobachtet die Entwicklung von Anfang an.
"Sie haben es kaputtgemacht, es ist vorbei. Früher hatten wir hier überall eine Vielfalt von Schildkröten, Langusten, Fische tonnenweise. Heute gibt es die nicht mehr. Es gab die ruhigen Strände, wo die Schildkröten hinkamen, um ihre Eier zu legen. Das gibt es heute nicht mehr. Es gab so viele schöne Strände, an die kommt man heute nicht mehr ran, weil alles Privatbesitz ist."
"Somit ist er der indiskutable Führer dieser Gemeinschaft. Was wäre noch zu sagen, Mucaro?"
Um die Macht nicht dem Geld der Gringos zu überlassen, wollen die Siedlungsbewohner den Parteibeitritt.
"Ich kämpfe für euch."
Und el Mucaro hat seinen Fidel Castro studiert, er redet sich warm, spart nicht am Kult um die eigene Person und steht dem kubanischen Idol auch in der Länge seine Rede um wenig nach.
"Zählt auf mich. Solange ich da bin, werdet auch ihr in dieser Siedlung leben können. Erst muss ich sterben, bevor euch hier was passiert. Vertraut mir. Ein guter Führer stirbt zuerst, dann seine Soldaten. Deswegen sag ich euch, lasst euch nicht provozieren! Die Revolution existiert in dieser Siedlung! Das sagt euch der Mucaro, der sie liebt und deswegen euch liebt. Und wenn ihr mich unterstützt, dann werde ich mich für euch alle einsetzen."
"Ich muss mal den Strom anschalten. Wir sitzen ja im Dunkeln."
Inzwischen ist es stockfinster geworden in Mucaros Hütte in der Siedlung Guadulupana, der Siedlungsrevolutionsführer schaltet das Notstromaggregat an. Bisher gibt es keinen Anschluss an das Inselstromnetz.
"Noch ist diese Siedlung arm, weil die Autoritäten hier nichts investieren, weil sie immer noch hoffen, uns klein zu kriegen, auf dass sie das Land verkaufen können, aber nein: Wir werden eine rechtmäßige Siedlung sein, wir werden die gleichen Vorzüge haben, wie die anderen Siedlungen. Das weiß ich aus der Erfahrung. Schließlich hab ich die anderen Siedlungen gemacht. Da haben wir auch lange gelitten, bis wir Strom, Wasser, Entwässerung und Straßen hatten."
Aufbruchsstimmung in der neuen Ortsgruppe der Arbeiterpartei. Es ist Samstagabend, zu Hause warten die Familien mit dem Abendbrot. Aber auch ein Mucaro macht nicht hungrig Revolution.
"Ihr wisst, ich opfere mich und meine Zeit, um für euch zu kämpfen. Aber dafür brauch ich auch eure finanzielle Unterstützung, für die ganzen Ausgaben, die ich habe. Sonst kann ich gar nichts machen. Gerade erst hatte ich eine Operation. Das hat gekostet. Jetzt hab ich kaum Bares. Deswegen ist es eure Pflicht, mich zu unterstützen, denn ich führ diese Bewegung an. Aber am Ende ist es ja ein Kampf für euch."
Und El Mucaros Anhänger legen ihm einer nach dem anderen 20 bis 50 Pesos-Scheine auf den Esstisch - ein, zwei Euro. El Mucaro wird für sie kämpfen und ein bisschen auch für sein Ego. Er zündet sich eine Zigarette an, lehnt sich zurück.
"Meine Hoffnung ist, dass ich weiter für mein Volk kämpfen kann und eines Tages eine Erinnerung bleibt, dass sie sagen werden: Es starb der Führer, aber sein Werk bleibt, der einzige soziale Führer, den die Isla Mujeres je hatte, der einzige moralische Führer. Darauf wäre ich stolz."
Auch bei den Mädchen ist Zeit für den Kassensturz.
"Ich will den Schein, verdammt! Ich will den Schein, ich will den Schein, ich will den Schein, ich will den Schein, ich will den Schein!"
"Jetzt sei ruhig!"
"Schein!"
"Ruhig! Oh Mann, dann kommst du eben nicht mehr mit uns mit! Jetzt kommt Alex nicht mehr mit uns mit. Das war das letzte Mal, dass du dabei warst, wenn du durchdrehst!"
Die Rechnung geht auf. Tourismus ist eben die beste Einnahmequelle auf der Isla, nach zwei Stunden mit der eigenen Stimme Arbeit haben sie 75 Pesos, 3,60 Euro, verdient. Zum Vergleich: Der gesetzliche Mindestlohn liegt in Mexiko bei 50 Pesos, 2,50 Euro pro Tag. Nach dieser Ausbeute hat sich der Verwendungszweck für die Einnahmen etwas verschoben.
"Ich kauf mir gleich paar Chips, ich hab Hunger!"
"Ich geb es meinen Eltern."
"Ich geb bisschen was meinen Eltern und mit dem Rest geh ich an den Spielautomaten spielen."
"Ich auch! Ich auch! Ich nehme sechs Pesos für den Spielautomaten."
