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Michael Brenner/David N. Myers (Hrsg.): Jüdische Geschichtsschreibung heute Themen, Positionen, Kontroversen.

Herbert Riehl -Heyse berichtete in der letzten Woche in der Süddeutschen Zeitung von verstörenden Begnungen mit Juden in München.

Willi Jasper |
    Verstörende Begegnungen sind das in diesen Tagen, und merkwürdige Gespräche erlebt der Reporter. Im Grunde verlaufen sie immer gleich: Erst erkundigt sich der Besucher nach den Alltags-Problemen der Gemeinde oder nach der Lebensgeschichte des Menschen, dem er da gegenüber sitzt. Das Gespräch ist freundlich und entspannt, aber irgendwann mündet es dann doch bei der Lage in Palästina: Ob der andere denn verstehen könne, dass man Scharon und seine Politiker fürchterlich finde, fragt man vielleicht. Aber klar, sagt dann Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, mit Kritik an einer Regierung habe sie kein Problem, und "natürlich", sagt Zentralratspräsident Paul Spiegel am Telefon, sei es "kein Sakrileg, Israel zu kritisieren", schließlich gebe es ja unter den Juden selbst sehr unterschiedliche Stimmen. Alle reden sie so, auch die Juden ohne offizielle Funktion, die man in diesen Tagen trifft - der Arzt, der Immobilienhändler, die Journalistin. Und dann dauert es eben nur noch drei Minuten, bis die Stimmen der Befragten ein bisschen lauter werden und ihr Atem ein wenig schneller geht: Dann sagen sie, dass die deutschen Medien einseitig für die Palästinenser seien und dass - so empfindet es Frau Knobloch - "angeblich gute Freunde sich nun bemüßigt fühlen, ihrem lange aufgestauten Hass gegen die Juden endlich Auslauf zu lassen."

    Endlich steht man auf, verwirrt, weil zum Beispiel das mit der pro-palästinensischen Einseitigkeit der deutschen Medien einfach nicht stimmt. Aber dann gibt einem Frau Knobloch noch den Brief eines Dr. O. Jäntsch mit aus Ottobrunn, der ihr dieser Tage mitgeteilt hat, er sei kein Antisemit, sei aber doch dafür, dass die Israelis ihren Hitler aufhängten, nämlich Ariel Scharon, und wenn sie das nicht täten, dann hätte er nichts dagegen, dass sie von den Palästinensern ins Mittelmeer gejagt werden. Früher sind solche Briefe noch anonym gewesen. Abgesehen aber von solchen Nahost-Experten: Kann es sein, dass wir anderen, die nichtjüdischen und die jüdischen Deutschen, noch immer aneinander vorbei reden - gehemmt die einen, misstrauisch die anderen, beide aus gutem Grund?

    Von solchen Gründen, an denen deutsch-jüdische Gespräche über den Krieg in Palästina scheitern, handeln drei Neuerscheinungen zur jüdischen Geschichtsschreibung, die Ihnen Willi Jasper jetzt vorstellt.

    Wie verschieden inzwischen die intellektuellen und institutionellen Situationen, in denen jüdisches Gedächtnis und Geschichte sich entwickelten, interpretiert werden, dokumentiert ein von Michael Brenner (München) und David N. Myers (Los Angeles) herausgegebener Sammelband. Dargestellt ist die kontroverse Diskussion renommierter Fachwissenschaftler aus Amerika, Israel und Deutschland zu Themen wie: Objektivität und Ideologie, Erinnerungsdiskurs, Religion und Modernisierung, Frauengeschichte, Zionismus und Holocaust.

    Kann es, so fragt Michael A. Meyer (Cincinnati), ein einheitliches historisches "Narrativ" geben, das sowohl die Fragen von Juden in einem jüdischen Nationalstaat mit seiner relativ monolithischen Gesellschaft und Kultur als auch die Erfahrung von Juden in unterschiedlichsten gesellschaftlichen Kontexten umfasst? Yosef H. Yerushalmi (New York) erinnert daran, dass er bereits in seinem Buch "Zachor" (1982) gemahnt habe, auf die Risse und Brüche der Vergangenheit mehr zu achten als auf ihre Kontinuitäten. In der Tat bedeutet die berühmte Unterscheidung zwischen kollektivem Gedächtnis und kritischer Geschichte eine reflexive Wende in der jüdischen Historiographie. Die moderne Geschichte der Juden verlässt sich eher auf Forschung als auf Rituale, entwickelt sich eher in Bibliotheken als in Synagogen und verzichtet darauf, Ereignisse theologisch zu deuten. Für den israelischen Historiker Shmuel Feiner (Bar Ilan) scheint festzustehen, dass die Turbulenzen im gegenwärtigen Israel nur als "Kulturkampf" zu verstehen sind, als Ergebnis der "traumatischen Begegnung des jüdischen Volkes mit dem modernen Europa". Und sein Kollege Amnon Raz-Krakotzkin (Beer Sheva) kritisiert, dass "zionistische Narrative der jüdischen Geschichte" die Sichtweise der einheimischen arabischen Bevölkerung Palästinas ausschließen. Diese Sichtweise einzubeziehen sei eine intellektuelle und ethische Pflicht, die sich auch aus Walter Benjamins anti-triumphalistischer Auffassung von der Geschichte als dem Werk des "Eingedenkens" der Opfer ergebe.

    Ganz anders stellt sich das Verhältnis von Geschichte, Nationalismus und "Eingedenken" in der Holocaust-Forschung dar. Saul Friedländer (Los Angeles) sieht nach wie vor das Hauptproblem der deutschen Forschung darin, durch Kombination der Opfer- und Täterperspektiven ein "integriertes" historisches Narrativ zu erarbeiten. Am provokantesten greift Michael Brenner den Ruf nach einer neuen Reflexivität der Holocaust-Forschung auf. Die Definition traditioneller deutscher Lehrplaninteressen sei nicht das Bedürfnis der gegenwärtigen Gesellschaft, sondern die Reaktion auf eine tragische Vergangenheit. Und er wagt die Frage zu stellen, ob es erst eines "neuen tragischen Verlaufs der Geschichte" bedürfe, bevor in einem Land, das heute über 80.000 Juden, aber zwei Millionen türkische Muslime beherberge, die islamische und die türkische Kultur auf ein ähnliches öffentliches Interesse stoßen werde wie die "Jüdischen Studien". Brenner ist beizupflichten, dass bei dieser Fragestellung heute sogar einem Mendelssohn das Gähnen verginge.