Samstag, 20. April 2024

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Michael F. Feldkamp
"Der Parlamentarische Rat 1948-49"

Das Grundgesetz wird 70 Jahre alt. Der Parlamentarische Rat hatte den Entwurf in Abstimmung mit den Alliierten erarbeitet. Wie dieser Rat gearbeitet hat, zeichnet der Historiker Michael F. Feldkamp nach. Er saß als Angestellter des Bundestages dicht an den Quellen.

Von Annette Wilmes | 20.05.2019
Hintergrundbild: Der parlamentarische Rat bei seiner ersten Sitzung im Jahr 1948. Vordergrund: Buchcover
Feldkamp schildert, wie Parlamentarier um Formulierungen rangen und sich immer wieder mit Alliierten abstimmen mussten (akg-images / Vandenhoeck & Ruprecht Verlag)
Die verfassunggebende Versammlung hieß "Parlamentarischer Rat" und die zu erarbeitende Verfassung hieß "Grundgesetz". Schon daran war zu erkennen, dass es sich um ein Provisorium handelte. Deutschland stand unter Besatzung und war geteilt. Dieser Zustand sollte nicht zementiert werden. Das könne passieren, wenn sie einen Teilstaat gründeten, fürchteten die Mitglieder des Parlamentarischen Rats. Denn die neue Ordnung, die auf Weisung der westlichen Alliierten geschaffen werden sollte, würde nur in der britischen, amerikanischen und französischen Besatzungszone gelten, nicht aber im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands. Deshalb wollten sie erst nach der deutschen Vereinigung eine echte Verfassung schaffen. Michael Feldkamp:
"Das Entscheidende ist also, diese Verfassungsschöpfung findet statt unter Besatzungsrecht. Und das ist das Spannende überhaupt an dem ganzen Geschehen im Parlamentarischen Rat. Es ist zwar im weiteren Sinne frei gewesen auch in seinen Entscheidungen, aber die Alliierten haben die ganzen neun Monate, in denen das Grundgesetz entstand, die Parlamentsarbeit natürlich begleitet und auch versucht, zu beeinflussen."
Die 65 stimmberechtigten Mitglieder des Parlamentarischen Rats, darunter nur vier Frauen, waren von den Landtagen gewählt worden. Unter ihnen waren Emigranten, Nazi-Opfer, auch Widerstandskämpfer, auch ehemalige KZ-Gefangene. Die Abgeordneten kamen aus der CDU, der SPD, der FDP, der Zentrumspartei, der Deutschen Partei und der KPD. Als der Parlamentarische Rat am 1. September 1948 zum ersten Mal in Bonn zusammentrat, hatte ein Verfassungskonvent auf der Insel Herrenchiemsee bereits gute Vorarbeit geleistet. Feldkamp schreibt:
"Es war beabsichtigt, dem Entwurf des Verfassungskonvents keine größere Bedeutung
zukommen zulassen als anderen. Tatsächlich jedoch diente er den Fachausschüssen des Parlamentarischen Rates als Diskussionsgrundlage bis hin zur Artikelzählung. Einige Artikel sind sogar wörtlich in das Grundgesetz übernommen worden."
Zum Beispiel in Art. 2 Grundgesetz der Satz "Die Freiheit der Person ist unverletzlich".
Die Eröffnungsfeier fand im Museum Alexander Koenig statt. Vorher hatte man noch die ausgestopften Tiere beiseitegeschoben und hinter Vorhängen verborgen. Dann zog der Parlamentarische Rat für die eigentliche Arbeit in die Pädagogische Akademie um. Konrad Adenauer wurde zum Präsidenten gewählt.
Der Rat im Einzelnen
Michael Feldkamp beschreibt die inhaltliche Arbeit in den verschiedenen Fachausschüssen. Im Ausschuss für Grundsatzfragen zum Beispiel wurden die individuellen Grundrechte und die Präambel ausgearbeitet. In fünf weiteren Ausschüssen ging es um die Organisation des Bundes und eines Verfassungsgerichtshofs, um Finanzfragen, um Wahlrechtsfragen und um das Besatzungsstatut. Feldkamp konnte auf eine reichhaltige Quellenlage zurückgreifen, vor allem auf die Akten des Parlaments. Hinzu kamen die Nachlässe der Abgeordneten Theodor Heuss, Jakob Kaiser, Konrad Adenauer und Carlo Schmid, in denen der Historiker viele wichtige Unterlagen fand. Auch die Archivalien der Alliierten Militärregierungen boten eine Menge an Material, unter anderem Aufzeichnungen von Telefongesprächen einzelner Abgeordneter, die von den Geheimdiensten der Alliierten abgehört worden waren.
"Ich habe vor vielen Jahren die Akten und Protokolle des Parlamentarischen Rates mit bearbeitet im Auftrage des Bundestages. Und die Idee bei all dieser sehr detail-genauen Aktenkenntnis war, dieses Material auch lesbar zur Verfügung zu stellen, in einer modernen Sprache. Die Abgeordneten haben im Plenum in einer etwas antiquierten Sprache gesprochen, auch sehr viel Pathos war dabei. Und das habe ich rausgenommen und habe versucht, die Geschichte aufgrund der Aktenlage zu erzählen und zwar nicht von heute her, sondern aus der damaligen Situation heraus."
Das ist Michael Feldkamp gelungen. Er hat dabei auch die schwierige weltpolitische Lage zu Beginn des Kalten Krieges im Blick. Die Alliierten wollten mit einer stabilen Demokratie in Deutschland einen weiteren Baustein im antisowjetischen Bollwerk einfügen. Entsprechend setzten sie die deutschen Parlamentarier unter Zeitdruck.
Grundgesetz wurde zur Verfassung
Am 23. Mai 1949 war es dann soweit – das Grundgesetz wurde feierlich verkündet. Inzwischen habe es sich 70 Jahre lang bewährt, schreibt Michael Feldkamp.
"So wurde auch nach der Wiedervereinigung 1990 von der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat empfohlen, das Grundgesetz mit geringfügigen Änderungen beizubehalten. Dadurch wurde es de facto in den Rang einer Verfassung erhoben, die freilich auch zukünftig nicht von notwendigen Ergänzungen aber auch Veränderungen bewahrt bleiben wird."
Feldkamp schildert detailreich, wie die Parlamentarier um Formulierungen rangen, wie sie sich immer wieder mit den Alliierten abstimmen mussten, wie die Kirchen, der Beamtenbund und die Gewerkschaften versuchten, Einfluss zu nehmen. Das Thema Gleichberechtigung jedoch kommt im Buch zu kurz. "Männer und Frauen sind gleichberechtigt." Dass dieser Satz nach mehreren gescheiterten Abstimmungen doch noch ins Grundgesetz kam, ist vor allem der Juristin Elisabeth Selbert zu verdanken, die für die SPD im Parlamentarischen Rat saß und hartnäckig für die Gleichberechtigung kämpfte. Darüber erfährt man in Feldkamps Schilderung nichts.
Trotzdem ist das Buch überaus lesenswert. Es enthält eine Fülle von Fakten über die Anfänge der Bundesrepublik. Kurzbiographien im Anhang stellen alle Mitglieder des Parlamentarischen Rates vor. Schwarz-Weiß-Fotos zeigen sie bei der Arbeit und vermitteln etwas von der Atmosphäre jener Zeit. Eine ausführliche Literaturliste lädt zum Weiterlesen ein.
Michael F. Feldkamp: "Der Parlamentarische Rat 1948-49. Die Entstehung des Grundgesetzes",
Vandenhoeck & Ruprecht, 266 Seiten, 35 Euro.