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Milliardengewinne durch Nichtstun

Manchmal sparen Firmen bewusst bei einem guten Datenschutz, um dadurch etwas anderes zu sparen: Ausgaben. Wissenschaftsjournalist Sven Töniges erklärt im Interview mit Manfred Kloiber, ob und wie dagegen vorgegangen wird.

07.01.2012
    Manfred Kloiber: Bleiben wir bei den ökonomischen Aspekten des Datenschutzes: Wir hatten ja eingangs gehört, dass der ehrliche und rechtschaffene mal wieder der Dumme ist: Dass der Wettbewerbsvorteil der nicht-datenschutzkonformen Unternehmen bei 7,5 Milliarden liegt. Wie kommt denn die Studie überhaupt zu dieser hohen Zahl?

    Sven Töniges: Herr Kloiber, die haben sich ein schlichtes Modell zusammengezimmert: Die addieren nämlich einfach drei gängige Verstöße gegen den Datenschutz zusammen. Da sind zum einen die Statistikdienste, also zum Beispiel Google Analytics – das gibt es für umsonst, das ist dann aber nicht datenschutzkonform – diese Version wird von 22 Prozent aller Webpräsenzen auch genutzt. Wenn die nun alle auf die datenschutzkonforme Version umsteigen würden, also wenn die das alle machen würden dann würde das laut der Studie in Summe schon mal rund 420 Millionen Euro kosten. Das sparen sich bislang die Unternehmen. Zweiter Punkt: Datenschutzbeauftragte – rund zehn Prozent aller Unternehmen bestellen keinen Datenschutzbeauftragten, obwohl sie das eigentlich tun müssten. Ersparnis: Mehr als 610 Millionen Euro, sagt die Studie. Und drittens – für mich etwas überraschend der größte Brocken: das sind die Verfahrensverzeichnisse. Die schreibt inzwischen das BDSG, das Bundesdatenschutzgesetz vor. Danach muss jede staatlich oder auch private stelle, die personenbezogene Daten speichert, dokumentieren, wie sie denn mit diesen Daten umgeht. Die Studie will in Umfragen ermittelt haben, dass 90 Prozent aller Firmen, Behörden, Vereine, die das beträfe, kein solches Verfahrensverzeichnis angelegt haben. Wenn die nun alle ein Verfahrensverzeichnis erstellen würden, dann wären das Kosten von insgesamt 6,464 Milliarden Euro. Und schon sind wir bei den 7,5 Milliarden Euro.

    Kloiber: Ich frage mich allerdings, Herr Töniges, wenn das so ist und der Wettbewerb wirklich dramatisch verzerrt wird durch Unterlassen von datenschutzkonformem Verhalten – warum setzen sich denn die braven datenschutzkonformen Firmen nicht zur Wehr?

    Töniges: Das tun sie mitunter, sie ziehen vor Gericht. Aber richtig wehren können sie sich offenbar nicht. Es gab im April 2011 ein durchaus richtungsweisendes Urteil. Da ist eine Online-Händlerin vor das Berliner Kammergericht gezogen und die hat gesagt: Da, mein Konkurrent hat den Facebook-Like-Button auf seiner Seite. Das Ding verstößt gegen den Datenschutz und das ist damit unlauter. Damit verletzt mein Konkurrent den Wettbewerb. Das Berliner Kammergericht hat interessanterweise entschieden: Wahrscheinlich – so richtig festlegen wollten sie sich nicht – verstößt dieser Gefällt-mir-Button, dieser Like-Button von Facebook gegen das Telemediengesetz, gegen den Datenschutz. Aber egal. Unter wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten ist das unerheblich, denn: Datenschutzrechte sind individuelle Rechte. Die regeln aber nicht den Wettbewerb. Die Studie zum Datenschutzbarometer beklagt das dann auch, die beklagt den Tenor dieses Urteils. Denn so könnten sich Unternehmen also nicht schützen. Aber gleichzeitig verweist man zum Beispiel auch bei Eco, beim Internet-Branchenverband, auf genau dieses Urteil und sagt: Nun seht mal her, lasst mal die Kirche im Dorf: Wenn das alles rechtlich nicht so ganz klar ist und wenn sich das rechtlich so verhält, dann ist auch diese ganze Milliardenrechnung, die ihr da aufgestellt habt, auch mit äußerster Vorsicht zu genießen.