Archiv


Minikids vor Riesenproblem

Ab August 2013 hat jedes Kind unter drei Jahren Anspruch auf einen Krippenplatz. In vielen Gemeinden Baden-Württembergs herrscht derzeit jedoch noch ein akuter Mangel an Betreuungsplätzen. Die Folge könnte eine Klagewelle betroffener Eltern sein.

Von Thomas Wagner |
    "Was hast du denn Schönes gespielt? Hast du schön draußen gespielt?" - "Ja, aber wir haben zwischendrin auch drinnen gespielt." - "Wie findest du den Kindergarten?" - "Schön."

    Der Kindergarten am Riedlepark in Friedrichshafen: Heike Tiwary holt ihre vier Jahre alte Tochter Mira ab. Erst im Frühjahr ist die junge Familie aus Nordrhein-Westfalen an den Bodensee gezogen. Das Problem der ersten Wochen am neuen Wohnort: die fast schon verzweifelte Suche nach einem Kindergartenplatz für die kleine Mira. Und die hatte nach Ansicht von Heike Tiwary einen einfachen Grund:

    "Ich habe halt auch immer wieder von den Stellen gehört: Die Kindergartenplätze für die U-3-Kinder, die unter drei Jahren, werden immer schön aufgebaut. Aber dabei wird vergessen, dass die Kinder, die im Alter zwischen null und drei Jahren reinkommen, später einmal in einen regulären Kindergartenplatz wechseln müssen."

    Dabei gilt die Betreuungssituation in der Industriestadt Friedrichshafen im Vergleich zum restlichen Baden-Württemberg eher noch als vorbildlich: Die 55.000–Einwohnerstadt hält derzeit 2200 Kindergartenplätze vor, davon 375 für die Jüngsten im Alter bis zu drei Jahren. Bis im August 2013 sollen nochmals 100 solcher U-3-Plätze hinzukommen. Denn, so Annette Bürkner vom Amt für Bildung, Familie und Sport:

    "Ich denke, es wird noch einen Schub geben. Vielen Eltern wird jetzt erst das Thema Rechtsanspruch klar, dass sie Anspruch auf so einen Platz haben. Ich erwarte noch einen Anstieg. Und deshalb haben wir uns gesagt: Wir müssen noch etwas tun."

    Als der Gesetzgeber den Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz für Kinder bis zu drei Jahren festlegte, ging er von folgender Prognose aus: Nur für rund 35 Prozent der Kleinkinder werden die Eltern auch tatsächlich einen Krippenplatz beantragen. Doch in einer Stadt wie Friedrichshafen sieht die Wirklichkeit ganz anders aus. Amtsleiterin Annette Bürkner:
    "Wie gesagt. Momentan sind wir bei 44 Prozent, was wir abdecken können inklusive Tagespflege. Und wir wollen auf die 55 Prozent hochgehen. Und wie gesagt: Wir müssen es beobachten, ob die 55 Prozent auf Dauer ausreichen."

    Auf ganz Baden-Württemberg bezogen, gibt es derzeit aber nur für jedes fünfte Kind einen Betreuungsplatz. Und das wird unter Garantie nicht ausreichen. Denn: Baden-Württemberg gilt nach wie vor als wirtschaftliches Musterländle. Die Arbeitslosigkeit ist niedrig; häufig sind beide Eltern berufstätig. Hinzu kommt: Gerade in Baden-Württemberg wohnen junge Familien gerne auf dem Land und pendeln zum Arbeiten in die nächstgrößere Stadt.

    "Wenn Mitarbeiter von außerhalb einpendeln, haben die erst einmal keinen Anspruch auf einen Kindergartenplatz in Friedrichshafen. Das ist kein Sonderfall, sondern das ist in allen Kommunen so. Erst einmal sorgt man dafür, dass die eigenen Einwohner betreut werden."

    Friederike Lutz spricht aus eigener Erfahrung: Die Mutter einer kleinen Tochter arbeitet bei der Stadtverwaltung Friedrichshafen, pendelte allerdings über Jahre hinweg aus der Nachbargemeinde Eriskirch ein. Erst als die Familie an den Ort des Arbeitgebers umzog, klappte es mit einem Betreuungsplatz.

    Doch auch in Eriskirch soll das Betreuungsangebot besser werden. Markus Spieth ist dort Bürgermeister und hat ein Herz für Kinder. Bei den Kinderferienspielen der Gemeinde macht er höchstpersönlich jeden Tag mit. Die Erweiterung der beiden Kindergärten in Eriskirch ist beschlossene Sache; 30 neue Kleinkinderplätze sollen hinzukommen. Das allerdings bedeutet für die kleine Gemeinde mit ihren gerade mal 4500 Einwohnern ein großer finanzieller Kraftakt.

    "Wir geben derzeit 1,8 Millionen Euro aus für die Kleinkindbetreuung im Neubaubereich. Und das sind zwei Drittel der Investitionskosten, die wir überhaupt jedes Jahr zur Verfügung haben."

    Dafür bekam Eriskirch zwar über eine halbe Million Euro vom Land Baden-Württemberg zurückerstattet, zum Teil aus einem speziellen Kindergartenausbauprogramm. Doch der Löwenanteil blieb an der kleinen Gemeinde hängen. Das mag viele kleine Gemeinden Baden-Württembergs in den vergangenen Jahren davon abgehalten haben, so genannte "U-3-Plätze" einzurichten. Überhaupt sieht Eriskirchs Bürgermeister Markus Spieth den Stadt-Land-Gegensatz in Baden-Württemberg als Mitursache dafür, dass der Südweststaat unter allen Bundesländern in Sachen Kleinkindbetreuung das Schlusslicht ist.

    "Ich denke, man hat auch in der Vergangenheit oft genug gedacht, es ist gar nicht so notwendig in Baden-Württemberg, weil hier noch andere Familienstrukturen vorherrschen. Wir haben hier relativ viel ländlichen Raum. Wir haben hier ganz andere Strukturen in den Gemeinden, auch in meiner Gemeinde. Doch auch dort kommt Zug um Zug der Anspruch: Ich möchte auch diese frühkindliche Betreuung, weil das ja durchaus im einen oder anderen Fall auch ganz wichtig ist für die kindliche Entwicklung."

    Deshalb müssen es alle Städte und Gemeinden in Baden-Württemberg der Gemeinde Eriskirch gleichtun – und bis im kommenden Jahr noch viele tausend Kleinkinderbetreuungsplätze schaffen. Denn ansonsten, so jüngst der Hinweis des baden-württembergischen Justizministers Rainer Stickelberger in der "Schwäbischen Zeitung", drohe eine Klagewelle betroffener Eltern, die die betroffenen Gemeinden ohne ausreichende Anzahl von Plätzen teuer zu stehen kommen könnte. Am Rechtsanspruch auf die U-3-Plätze selbst sei schließlich nicht mehr zu rütteln.