Archiv


Mit Antimaterie gegen Krebs

Antimaterie weist merkwürdiges Verhalten auf: Trifft ein Antiteilchen auf ein ganz normales Materieteilchen, vernichten sich beide vollständig und zerstrahlen zu purer Energie. Wahre Antimaterie-Spezialisten sind die Physiker vom Teilchenforschungszentrum Cern in Genf: Sie können mit riesigen Beschleunigern Antiteilchen gezielt herstellen. Nun wollen die Forscher Antiteilchen für eine ganz neue Art von Krebstherapie einsetzen.

Von Frank Grotelüschen |
    Michael Doser steht vor einer gelb lackierten Metalltür mit vergittertem Fenster. Die Tür dient als Schutz. Sie schützt Doser und seine Forscherkollegen vom Cern vor einer überaus exotischen Teilchensorte.

    "Wenn Antiprotonen eingeschossen werden, darf kein Mensch sich in der Zone befinden. Es darf niemand in die Zone hinein."

    Antiprotonen - das sind Wasserstoffkerne aus Antimaterie. Wenn sie am Cern in einem großen Beschleuniger erzeugt werden, entsteht gefährliche Röntgenstrahlung. Massive Betonwände schirmen die Strahlung ab, und die gelb lackierte Tür verwehrt den Zugang zu jenen Zonen, in denen die Strahlung besonders stark ist. Doch im Moment ruht der Beschleuniger. Die Ampel neben der Tür steht auf grün.

    Doser steckt seine Magnetkarte in einen Schlitz, die Tür öffnet sich und lässt ihn ein in die verbotene Zone.

    Unten, in einer düsteren Ecke, eingekeilt von meterhohen Blöcken aus Beton, stehen die Überreste eines Experiment, das Doser vor einigen Monaten abgeschlossen hat: Aus der Wand kommt ein Metallrohr, umschlossen von einem wuchtigen Magnetklotz. Das Rohr endet vor dem Sockel eines Labortischs.

    "Auf diesem Tisch saß zum Zeitpunkt des Experiments eine Art Aquarium. Und inmitten dieses Aquariums hatten wir verschiedene Gefäße, die mit Gelatine gefüllt waren. Und in dieser Gelatine hatten wir lebendige Hamsterzellen suspendiert."

    Doser und seine Kollegen haben lebende Hamsterzellen mit Antiprotonen bestrahlt. Ein Vorversuch für eine neue Art von Strahlenbehandlung bei Krebs. Sie könnte eines Tages die sogenannte Protonentherapie ersetzen oder zumindest ergänzen: Bei dieser Protonentherapie feuert man Wasserstoffkerne auf den Tumor. Das ist deutlich zielsicherer als die Bestrahlung mit Röntgenlicht - und immer dann angebracht, wenn das Geschwür dicht neben einem empfindlichen Organ sitzt, zum Beispiel am Auge. Michael Doser will diese Methode nun verbessern - indem er das Geschwür nicht mit Protonen bestrahlt, sondern mit Antiprotonen.

    "Die Idee ist, dass Antiprotonen, wenn sie in Materie eindringen, erst einmal genauso verhalten wie Protonen, wie normale Teilchen. Aber in dem Moment, wo sie gestoppt werden, können sie dann annihilieren. Und dieser Annihilationsprozess sollte dort, wo die Antiprotonen stoppen, zusätzliche Energie freisetzen."

    Mit anderen Worten: Auf dem Weg durch das gesunde Gewebe verhalten sich die Antiprotonen nicht viel anders wie die Protonen. Doch am Tumor angelangt zerstrahlen sie komplett. Sie gehen hoch wie eine Bombe und zerstören die Tumorzellen. So weit die Theorie. Aber bestätigte sie sich auch in der Praxis, bei dem Experiment mit den Hamsterzellen? Ja, sagt Michael Doser.

    "Was wir herausgefunden haben ist, dass die Antiprotonen in dem Bereich, wo sie stoppen, viermal mehr Zellen zerstören, abtöten oder daran hindern, sich weiter zu vermehren, als Protonen."

    Antiprotonen sind als Zell-Killer viermal so effektiv wie Protonen. Und das ist hochinteressant für die Strahlentherapie, denn:

    "Wenn man einen Faktor vier hätte, würde das bedeuten, dass man einen Faktor vier weniger Bestrahlungen bräuchte. Man könnte sich überlegen, ob man dadurch die Anzahl Bestrahlungen reduzieren könnte."

    Noch aber ist das ferne Zukunftsmusik. Zuerst müssen die Cern-Forscher zeigen, ob ihre Methode bei menschlichem Tumorgewebe ebenso gut funktioniert wie bei den gesunden Hamsterzellen. Fraglich ist auch, ob die Antiprotonen womöglich fatale Nebenwirkungen zeigen. Zum Beispiel könnten sie Neutronen erzeugen, die dann irgendwo anders im Körper neue Tumore auslösen. Bis diese Fragen geklärt sind, braucht es wohl noch zehn Jahre an Grundlagenforschung, meint Doser. Doch sollte sich das Verfahren bewähren, könnten eines Tages Tumorpatienten tatsächlich mit Antimaterie geheilt werden.

    "Tumore, wo man eine sehr hohe Lokalisation braucht und wo man den Schaden am umgebenden Gewebe so gering wie möglich halten möchte. Die Tumore, an die wir gedacht haben, sind zum Beispiel Tumore im Nervensystem, im Rückenmark, oder bei Augen."