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"Mit dem Alter bin ich ziemlich glücklich geworden"

Anfang der 90er-Jahre landete Sinead O'Connor mit "Nothing Compares 2 U" einen weltweiten Hit. Doch seit damals machte die Irin mehr mit ihrem Privatleben und politischen Äußerungen Schlagzeilen als mit ihrer Musik. Das könnte sich mit dem neunten Studioalbum wieder ändern.

Von Dennis Kastrup | 10.03.2012
    Was für ein sperriger Albumtitel "How about I be me and ...." Es klingt so, also würde Sinead O'Connor damit der Boulevardpresse die Deutungshoheit über ihre Person wieder entringen wollen. Lasst mich doch endlich in Ruhe.

    "Ich tendiere oftmals dazu, in meinem eigenen Land das Gesprächsthema zu sein. Viele Leute meinen zu wissen, wie ich sein oder nicht sein sollte, was ich machen oder eben nicht machen sollte oder was ich sagen oder eben nicht sagen sollte. Bei dem Titel geht es wohl darum, von all dem gelangweilt zu sein."

    Dem widerspricht natürlich, dass die inzwischen 45-Jährige die Öffentlichkeit nie gescheut hat. In den 90er-Jahren noch mit politischem Sendungsbewusstsein: ihre Sympathiebekundungen für die IRA, ihre Weigerung, bei Konzerten in den USA die dortige Nationalhymne zu spielen. Sie hat dafür Prügel bezogen. Doch auch ein Vierteljahrhundert später lässt sie sich ihren Mund nicht verbieten. Bei vielen anderen Künstlern vermisst sie das.

    "Das Popgeschäft ist sehr glatt und sauber geworden. Niemand fordert wirklich etwas oder steht für etwas ein. Es gibt keine Spiritualität, kein Feuer. Es dreht sich alles nur um den Ruhm. Es gibt keine Ecken und Kanten und alles ist gut durchproduziert. Die billige Unterhaltung ist zwar genauso wichtig wie das revolutionäre Zeug, man muss aber eben beides haben. Leider fehlt Letzteres."

    Und nun ist da dieses Album, ein kleines Wunder. O'Connor, von privaten und beruflichen Rückschlägen zerrüttet, hat völlig unerwartet ein paar der stärksten Songs ihrer Karriere geschrieben. Und fast jeder transportiert klare, politische Botschaften. Vor allem ein Thema bearbeitet sie mit regelrecht loderndem Zorn: die Haltung des Papstes zu den Missbrauchsvorfällen in der katholischen Kirche.

    Und sie singt darüber, wie schamlos und heuchlerisch sich manche Musiker im Glanze dieses Papstes vermarkten. Der Titel "V.I.P.", daraus macht sie kein Geheimnis, ist vor allem eine Attacke auf den selbst erklärten Menschenfreund und U2-Sänger Bono.

    "Dieser Künstler ist sogar nach der Veröffentlichung der Berichte nach Rom gefahren, um den Papst zu treffen, sich ablichten zu lassen und den Rosenkranz zu bekommen. Am Todestag des Papstes ist dieser Künstler mit dem Rosenkranz, den Johannes Paul II. ihm gegeben hat, auf die Bühne gegangen. Er wickelte ihn um das Mikrofon und sprach ewig lange darüber, was für ein toller Mensch Johannes Paul II. war. Das geschah, nachdem bestimmte Berichte rausgekommen sind."

    Die Rede ist vom "Murphy Report". Er weist nach, dass Missbrauchsfälle in der irischen Kirche systematisch vertuscht und Verdächtige von den Bischöfen in Schutz genommen wurden.
    Neben dem politischen Aspekt entwickelt das Album aber auch zärtliche, fast schon romantische Momente. Ein zentrales Stück ist das Cover von "Queen Of Denmark", einem Song von dem Amerikaner John Grant. In dem Text singt der verzweifelte Grant gegen die Welt an, die sich gegen ihn verschworen hat. Schwere Depressionen quälen ihn: "Wer rettet mich vor mir selber?" fragt er sich in dem immer dramatisch werdenden Zeilen.

    "Ja, John und ich sind uns sehr ähnlich. Wir verstehen uns sehr gut. Wir sind wie Bruder und Schwester. Ich bewundere diese Offenheit von John sehr. Und als Mann ist es offensichtlich viel schwieriger, verletzlich, offen und zerbrechlich zu sein. Ich bewundere es sehr, dass John so offen darüber redet, verletzlich zu sein."

    Wie Grant kennt auch Sinead O'Connor das Gefühl, zerbrechlich zu sein. Auch wenn sie sich in der Öffentlichkeit gerne als selbstbewusste Frau inszeniert, so kämpft die Mutter von vier Kindern doch seit einigen Jahren mit Depressionen. Sie steht zu dieser dunklen Seite, in ihrem Internetblog äußert sie sich ausführlich darüber. Das Schreiben hilft ihr. Auch wenn man ihr kaum glauben mag, dass sich Todessehnsüchte und Selbstmordgedanken so leicht verjagen lassen, wie sie behauptet.

    "Bringe dich einfach nicht um. Das Verlangen wird nach einer Minute verschwinden. Es ist normal für mich, ab und zu so zu denken. Es ist schon sehr vernünftig und sinnvoll, sich gelegentlich so zu fühlen. So, wie ich damit umzugehen, ist es eben eine dauerhafte Lösung eines kurzzeitigen Problems."

    Sinead O'Connor will Stärke zeigen. Doch obwohl sie bei diesen Worten lacht, ist ihr Blick leer, wirkt die Künstlerin wie ein Häufchen Elend. Auf ihren ersten Alben gab sie sich als eine junge Frau, die aus Trauer mehr Kraft und neue Hoffnung ziehen kann als andere. Im wirklichen Leben wirkt Sinead O'Connor inzwischen wie von Trauer eingeschlossen. Auch wenn sie tapfer Sätze sagt wie diese.

    "Ich mag es, älter zu werden. Ich war sehr unglücklich, als ich jünger war. Mit dem Alter bin ich ziemlich glücklich geworden."

    Man wünscht es ihr von Herzen. Dieses Album ist ein Hoffnungsschimmer.