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Mit dem Mut der Verzweiflung

Im Irak wird zum zweiten Mal seit dem Sturz Saddam Husseins ein neues Parlament gewählt. Im geltenden Wahlrecht ist eine Frauenquote von 25 Prozent vorgesehen. Von Gleichberechtigung der Geschlechter ist das Land trotz solcher Regelungen meilenweit entfernt. Und wer sich für Frauenrechte engagiert, erhält nicht selten Todesdrohungen.

Von Suzanne Krause | 06.03.2010
    Wenn Wajed sich morgens an den Computer setzt, bedeutet das jedes Mal aufs Neue eine Mutprobe. Dabei wirkt die junge Frau alles andere als von Natur aus eingeschüchtert. Anfang 40 ist Wajed, von eher kleiner, kräftiger Statur, in die lange wilde Mähne sind sorgfältig Strähnchen eingefärbt, die Gesichtszüge wirken sympathisch und zeugen von Entschlossenheit. Die braucht Wajed auch, denn sie leitet in Bagdad eine Nichtregierungsorganisation, die sich für die Frauen einsetzt.

    "Jeden Morgen, wenn ich meine E-Mails durchschaue, habe ich Angst. Zum einen, weil ich schon mehrfach per E-Mail Todesdrohungen erhalten habe. Und wenn ich nicht zu Hause bin, fürchte ich immer, dass ich schlechte Nachrichten aus Bagdad vorfinde, dass jemandem aus meiner Familie, von meinen Freunden etwas zugestoßen ist."

    Die Absender dieser Drohmails oder auch der Drohanrufe sind Wajed unbekannt. Die Botschaft ist immer wieder dieselbe: Sie solle bloß das Land verlassen, solange sie dies noch könne. Im Irak gebe es keinen Platz für Verräterinnen wie sie; meinen islamistische Fundamentalisten: Männer, die davon überzeugt sind, der Platz der Frauen sei im Haus, dem Gatten unterstellt.

    Wajed aber kämpft für die Gleichberechtigung der Frauen. Dafür, dass Frauen wieder wie früher am öffentlichen Leben teilhaben, dass sie ihr Leben, ihren Job selbst wählen können. Dass sie auch in der Politik weibliche Anliegen voranbringen. Was im Westen selbstverständlich ist, scheint im Irak derzeit undenkbar:

    "Seit 2004 engagiere ich mich mit meiner Organisation für die Frauenrechte. Über die Medien machen wir bestimmte Themen publik. Regelmäßig versuchen unsere Gegner, uns zu diskreditieren. Sie behaupten: Wir wären gegen das islamische Recht, die Scharia, wir seien Agenten von westlichen Mächten, die die Frauen zur Emanzipation aufstacheln wollen. Dabei bin ich aus tiefstem Herzen Muslimin, ich respektiere meine Religion. Für die Islamisten allerdings bin ich eine Verräterin, die die Gesellschaft untergraben will."

    Wajed studierte Politikwissenschaft und lehrte an der Universität in Bagdad. Bis 2003: Mit dem Einmarsch der US-Armee und dem politischen Umbruch waren Job und die Aussicht auf den Doktortitel weg. Heute kämpft sie tagtäglich darum, ihre Familie durchzubringen, beseelt vom Mut der Verzweiflung.

    "Als ich anfing, mich zu engagieren, sprachen alle begeistert über mich und meine Arbeit. Auch manche ausländische Nichtregierungsorganisation. Als ich aber 2006 die ersten Todesdrohungen erhielt, stand ich plötzlich völlig alleine da. Einmal hat mich gar ein Journalist von der BBC gefragt: Wenn Sie bedroht werden, warum gehen Sie dann nicht zur Polizei? Aber bitte: Welcher Polizist sollte mich beschützen? Die Polizisten sind kaum in der Lage, ihr eigenes Leben zu schützen. Sie können nur sagen: Warum kümmern Sie sich denn bloß um das Thema Frauenrechte. Bleiben Sie doch lieber zu Hause und schließen Sie die Tür gut ab."