Archiv


Mit Eisenwänden im Boden gegen Chemikalien

In Deutschland gibt es noch hunderttausende ehemals industriell genutzte Flächen, so genannte Altlasten, in denen enorme Schadstoffmengen lagern, Schadstoffe, die über kurz oder lang auch im Grundwasser ihre Spuren hinterlassen. Deshalb müssen diese Böden saniert werden, wofür nicht selten Investitionen in Millionenhöhe nötig sind. Die Fachleute suchen deshalb immer wieder nach Verfahren, die zum einen preiswert sind und zum anderen effektiv und umweltschonend. Bereits seit Jahren gibt es ein Sanierungsprojekt, das mit einfachen Mitteln funktioniert, aber noch kaum im Einsatz ist.

Von Christoph Kersting |
    Ein Wohngebiet mitten im westfälischen Rheine, auf der anderen Seite der Straße eine Kleingartensiedlung, ein paar Meter weiter fließt die Ems. Direkt entlang der Schrebergärten haben Ingenieure eine sechs Meter hohe und 22 Meter lange Eisenwand errichtet. Doch niemand stört sich an dem monströsen Bauwerk. Warum auch? Die Wand ist unsichtbar, verläuft unter dem Gehweg im Erdreich. "Reaktive" oder "durchströmte" Reinigungswand, so nennen Experten die unterirdische Filteranlage. Bis Anfang der 80er Jahre befand sich dort, wo heute Wohnhäuser stehen, eine große chemische Reinigung. Helmut Pelke vom Umweltamt des Kreises Steinfurt blickt zurück:

    " Man hatte zu der Zeit also noch nicht die große Altlastenproblematik im Hinterkopf, es war eigentlich unauffällig, bis man dann festgestellt hat: Es treten Ausgasungen aus. Die Ausgasungen waren also in einer Größenordnung, dass die Wohnungen geräumt worden sind. Und es sind in dem Bereich dann Untersuchungen gemacht worden über die Bodenluft, die Werte waren also relativ hoch. Also leichtflüchtige CKWs war also der Schadstoff, der in den Boden eingedrungen ist. Es ist landläufig bezeichnet worden als PER. PER ist also ein Reinigungsmittel, ein CKW. "

    Die Gase wurden bis 1995 über eine Absauganlage direkt über dem Boden entsorgt, das Grundwasser abgepumpt und gereinigt. Doch wirklich sauber war der Untergrund noch längst nicht. Denn mit herkömmlichen Sanierungsverfahren lässt sich nie die gesamte Grundwassermenge erfassen, zudem gehen Schadstoffe nur sehr langsam vom Boden ins Grundwasser über:

    " Dieses Pump and Treat, das ist für den Anfang immer sehr gut: hohe Leistung, und ich habe sofort ein Ergebnis, wunderschön. Aber wenn ich hier abziehe, wenn ich meine, ich hätte diesen Untergrund so sauber, dass ich keine Gefahr mehr zu erwarten habe, dann ist meine Fahne noch nicht verschwunden, die hat noch einen langen Weg, und ich kann nicht überall wieder eine eigene Anlage aufbauen. Das geht nicht, das lässt sich preislich gar nicht verfolgen. "

    Die Reinigungswand filtert seit Ende der 90er Jahre Schadstoffe aus dem Grundwasser, das Projekt gehört zum bundesweiten Forschungsverbund Rubin. Im Auftrag des Bundesforschungsministeriums untersuchen Wissenschaftler in Rheine und an zehn weiteren Standorten, ob die unterirdische Wand eine Alternative zu herkömmlichen Sanierungsverfahren sein könnte. Wobei der Begriff "Wand" nicht ganz zutrifft, sagt Ingenieur Martin Wegner von der Umweltberatungsfirma Mull & Partner:

    " Die Schadstoffe prallen nicht gegen eine Wand und werden zurück gehalten, sondern diese Wand ist durchlässig für Grundwasser. Es ist eher ein Reaktor, der sich im Grundwasserabstrom dieser Schadstoffquelle befindet. Man hat hier zwei verschiedene Materialien eingesetzt. Man hat zum einen ein Eisengranulat eingebracht, und als zweites Material einen Eisenschwamm. Und diese Materialien zeichnen sich durch unterschiedliche Reinigungsleistungen aus. Hier haben wir die Erfahrung gemacht, dass der Eisenschwamm deutlich bessere Ablaufergebnisse liefert. "

    Und die können sich sehen lassen. 0,01 Milligramm pro Liter Grundwasser lautet der Grenzwert für Tetrachlorethylen, so die chemische Bezeichnung für das Reinigungsmittel PER. 0,01 Milligramm - vor der Reinigungswand aber messen Wegner und seine Kollegen noch immer bis zu fünf Milligramm pro Liter Grundwasser, also das Fünfhundertfache. Hinter der Wand dann fast Trinkwasserqualität. Doch wie genau baut das Eisen die Schadstoffe eigentlich ab?

    " Die Schadstoffe im Wasser reagieren jetzt mit dem elementaren Eisen und, dort findet eine Reduktion statt, so dass diese Schadstoffe hier nicht festgehalten werden in irgendeiner Art und Weise, sondern tatsächlich abgebaut, umgebaut werden zu ungefährlichen und ungiftigen Abbauprodukten. Im Wesentlichen ist das Ethan und Ethen, was dann im weiteren Abstrom von Mikroorganismen zu Kohlendioxid umgesetzt wird. "

    So beschreibt Markus Ebert, Geologe an der Uni Kiel, den Schadstoffabbau. Eine simple chemische Reaktion also: Das Eisen rostet….

    "… es rostet, wobei man gemeinhin unter Rosten so dieses Produkt, den roten Rost versteht. Das passiert, wenn Eisen mit Sauerstoff im Kontakt steht. In diesem Fall ist es eher eine Korrosion, wobei dann die Rolle des Sauerstoffs auch von dem Schadstoff übernommen wird und eben nicht diese roten Verbindungen entstehen, sondern Verbindungen wie Magnitid oder andere Hydroxide, die eher schwarze Färbungen aufweisen. "

    Rein finanziell rechnet sich die Reinigungswand gegenüber anderen Verfahren nur, wenn sie möglichst lange im Boden bleibt. Denn die Einrichtung einer Anlage wie der in Rheine ist teuer, dafür fallen später keine Betriebskosten an. Doch auch hier sind die Experten zuversichtlich - Ingenieur Martin Wegner:

    " Die entscheidende Frage aus der Sicht eines Ingenieurbüros ist die Langlebigkeit eines solchen Sanierungssystems. Und wir sind wirklich selbst auch ein bisschen überrascht, dass die Wand nach jetzt fast sieben Jahren immer noch gut, jedenfalls das Segment mit dem Eisenschwamm sehr, sehr gut funktioniert. Das heißt, wenn man sich für so ein Sanierungsverfahren entscheidet, dann muss man davon ausgehen, dass dieses Sanierungsbauwerk auch lange im Untergrund verbleibt, damit es gegen ein klassisches Pump and Treat auch konkurrenzfähig ist. Die erste reaktive Wand ist in Borden/Kanada errichtet worden, 1994. Und diese Wand funktioniert auch noch. Man weiß also, dass Wände zehn Jahre halten können. Das ist schon relativ gut. Würde diese Wand versagen, dann müsste man das reaktive Material austauschen. Diese Erfahrung haben wir bis jetzt nicht gemacht und sind froh darüber. "

    Rheine und andere Beispiele zeigen: Die Wände funktionieren. Das Problem sei vielmehr die Schwerfälligkeit vieler Fachbehörden, moniert Wegner. Die sähen neue Verfahren häufig allzu skeptisch:

    " Wichtig ist es, dass wir in Deutschland mehr reaktive Wände etablieren müssen, um auch den Fachbehörden zu zeigen, dass diese Technik für bestimmte Schadensfälle eine kostengünstige und funktionstüchtige Alternative ist. "