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Mit französischem Esprit

Sie gelten als "glühende Expressionisten", als Ausnahmemusiker unserer Zeit: Der Cellist Jean-Guihen Queyras und der Pianist Alexandre Tharaud. Nach dem erfolgreichen Schubert-Programm spielt das Duo auf seiner neuen CD Musik aus dem Heimatland Frankreich: Stücke von Claude Debussy und Francis Poulenc.

Moderation: Ulrike Gondorf | 03.10.2008
    Ihre erste, von der Kritik mit begeistertem Lob bedachte CD galt Franz Schubert, Alban Berg und Anton von Webern. Jetzt haben Jean-Guihen Queyras und Alexandre Tharaud wieder ein Ergebnis ihres in vielen Konzerten erprobten gemeinsamen Musizierens vorgelegt.

    Sie spielen Stücke für Cello und Klavier von Claude Debussy und Francis Poulenc. Und diese "neue Platte", erschienen bei Harmonia Mundi, möchte ich Ihnen heute Morgen gern vorstellen. Ich begrüße Sie herzlich - Mein Name ist Ulrike Gondorf.

    Francis Poulenc: Sérénade - Track 10

    Auf einem Atem, aus einem Impuls heraus musizieren Queyras und Tharaud. Ein Kammermusikduo, das die Musik selbstverständlich und frei dahinströmen lässt im Zusammenspiel von Violoncello und Klavier. Die kleine "Serenade" von Francis Poulenc macht diese Qualitäten schon deutlich. Der Franco-Kanadier Queyras und der Franzose Tharaud sind beide Anfang 40, und beide betreiben neben ihren Solistenkarrieren eine konsequente Beschäftigung mit Kammermusik.

    Jean-Guihen Queyras ist unter anderem Mitglied im Arcanto Quartett, das Tabea Zimmermann vor einigen Jahren gegründet hat. Beide Musiker haben auch eine intensive Beziehung zur neuen Musik: Queyras war zehn Jahre lang Cellist des Ensemble Intercontemporain, Tharaud hat eine ganze Reihe von Klavierkompositionen uraufgeführt.

    So große musikalische Übereinstimmung verführt die beiden aber nicht zu moderatem Gleichklang, sie ermutigt sie im Gegenteil, ins Extrem zu gehen, immer unter Hochspannung und auf volles Risiko zu spielen. So stürzen sie sich zum Beispiel ins Finale der Sonate für Violoncello und Klavier, 1948 komponiert von Francis Poulenc.

    Francis Poulenc: Finale aus Sonate für Violoncello und Klavier - Track 8

    Kompositionen von Francis Poulenc stehen im Mittelpunkt dieser neuen CD von Jean-Guihen Queyras und Alexandre Tharaud. Sie geben den beiden Gelegenheit, stark kontrastierende Seiten auszuspielen, von lyrisch-schwebenden Klängen zum geradezu schmissigen musikalischen Entertainment zu wechseln, denn Francis Poulenc war eine Art Chamäleon unter den Komponisten, indem er sich musikalische Stilen souverän anverwandelte.

    Und wie Queyras und Tharaud diese Kostüm- und Rollenwechsel nachvollziehen, bereitet großes Hörvergnügen, zumal einige dieser Kompositionen zumindest für deutsche Ohren auch noch den Charme des Seltenen und Neuen haben. So spüren die beiden entdeckungsfreudigen Interpreten auch einige Stücke auf, die sie mit Erfolg für ihre Instrumente adaptieren konnten. Aber - fast möchte man sagen - natürlich, enthält die neue CD auch das französische Stück für die Besetzung Cello und Klavier: Die d-moll-Sonate von Claude Debussy.

    Claude Debussy: Prologue aus Sonate Nr. 1 - Track 1

    Zwei glühende Expressionisten - Jean-Guihen Queyras und Alexandre Tharaud mit Prologue - dem ersten Satz der Cellosonate von Debussy. Neben ihren packenden musikalischen Qualitäten beweisen die beiden Musiker auch bei dieser zweiten gemeinsamen CD wieder einen außerordentlichen Sinn für Programmdramaturgie.

    Debussy und der fast vier Jahrzehnte jüngere Francis Poulenc gelten als Antipoden. Poulenc gehörte zu den aufmüpfigen jungen Komponisten der "Groupe des Six" und agitierte gegen Debussy, den Gründervater der Moderne in Frankreich. Für Jean-Guihen Queyras und Alexandre Tharaud stehen sich die beiden aber durchaus auch nahe - und die Beschäftigung mit beiden ist eine Herzenssache, wie der Cellist erzählt.

    "Was die französische Musik anbelangt, hab ich viel dem Alexandre zu verdanken, also: Die Debussy-Sonate hab ich sehr früh gelernt und hatte sofort einen "Coup de foudre", so eine heiße Liebe von vornherein für diese sehr unkonventionelle Sonatenform. Die sprengt alles in diesem Stück und das ist fantastisch, wie frei - das ist Programmmusik, Fantasie. Und dieses Expressionistische ist einmalig in unserem Repertoire, und das hab ich gleich - ich war elf - sehr, sehr geliebt."

    "Die Poulenc-Sonate hab ich mit Alexandre und dank Alexandre kennengelernt. Er hat einen unglaublich natürlichen Zugang zu dieser Musik, das fließt aus seinen Händen raus, das ist beeindruckend, wie er Poulenc, Chabrier, Debussy, wie diese Musik ganz selbstverständlich für ihn ist. Der ist ein wirklich authentisch französischer Musiker, in Paris geboren, groß geworden, war sehr viel bei französischen Liedermachern, ist ein großer Fan von Barbara. Diese ganze französische Kultur in allen Richtungen, im Theater, hat er wirklich integriert. Und der hat mir diese Liebe zu Poulenc beigebracht."

    Die interessante Verbindung zwischen Debussy und Poulenc dokumentiert die CD im kreativen Umgang der beiden Komponisten mit der französischen Tradition und Musikgeschichte. Schon der Beginn der Cellosonate von Debussy klingt wie eine Reverenz an die Musik des Barock mit ihren beredten Floskeln, und ebenso wie Poulenc versteht er unter dem Begriff "Sonate" auch keineswegs eine nach den Mustern der deutschen Klassik durchkomponierte Struktur, sondern ein freies Spiel gegensätzlicher Formen und Ausdrucksgehalte.

    Bei Poulenc fällt die Reminiszenz an die Meister des 18. Jahrhunderts noch deutlicher aus in der "Suite francaise": In geschliffenen Miniaturen variiert der Komponist hier alte Tanzformen, wie sie in den Suiten Rameaus und Couperins zu finden sind. Queyras und Tharaud machen daraus ein exquisites, höchst unterhaltsames und mit Esprit und musikantischer Spielfreude auftrumpfendes Kabinettstück.

    Francis Poulenc: "Carillon" aus Suite française d'après Claude Gervaise - Track 17

    "Carillon" - Glockenspiel - heißt dieser Schlusssatz der Suite francaise von Francis Poulenc. Das Werk gehört zum Repertoire der neuen CD von Jean-Guihen Queyras und Alexandre Tharaud, die Kompositionen für Cello und Klavier von Debussy und Poulenc präsentiert. Sie ist erschienen bei Harmonia Mundi.

    Debussy - Poulenc
    Kompositionen für Violoncello und Klavier

    Jean-Guihen Queyras und Alexandre Tharaud
    Harmonia Mundi HMC 902012, LC 7045