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Mit gebündelter Kraft gegen Diskriminierung

Rund acht Millionen Roma sind nach dem EU-Beitritt von Rumänien und Bulgarien EU-Bürger. Ihre Lebensbedingungen haben sich seitdem aber kaum verbessert. Menschenrechtsorganisationen beklagen sogar das gewalttätige Übergriffe zugenommen haben. Auch deshalb richtet die Europäischen Kommission in Brüssel den ersten EU-Roma-Gipfel aus. Katja Barton hat im Vorfeld recherchiert.

    Im Büro von Viktoria Mohacsi steht das Telefon kaum still. Vor dem ersten europäischen Roma-Gipfel geben sich die Reporter die Klinke in die Hand. Denn die ungarische Abgeordnete der Liberalen Fraktion ist eine von zwei Parlamentariern, die aus einer Roma-Familie stammt. Die 33-Jährige ist seit fast fünf Jahren Mitglied des Europa-Parlaments, der Kampf um mehr Gleichberechtigung für die Roma ihr Schwerpunktthema. Viktoria Mohacsi erwartet kaum konkrete Verbesserungen oder gar Beschlüsse beim Gipfel. Dabei seien neue Strategien aber dringend erforderlich, meint sie, denn in vielen Ländern der Europäischen Union sei die Diskriminierung der Roma, wenn auch indirekt, immer noch an der Tagesordnung:

    "Fast immer, wenn es zum Beispiel ein Sozialpaket gibt, um Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, dann bleibt die Roma-Gemeinschaft außen vor. Denn die Roma leben meistens in Ghettos und wenn es einen Aufruf gibt, Projekte vorzuschlagen und sich für Gelder zu bewerben, dann bekommen die Leute in diesen Ghettos, wo es keine Elektrizität, geschweige denn Internet gibt, solche Sachen überhaupt nicht mit. So schließt man dann diejenigen aus, die in Europa am meisten benachteiligt sind."

    Mohacsi fordert keine Sonderrechte für die Roma, sondern Gleichberechtigung. Denn die Roma sind EU-Bürger, und sollten auch so behandelt werden.

    "Wenn die gesetzlichen Bestimmungen strenger wären, wenn wir Benachteiligungen auch als solche benennen würden, also zum Beispiel dass Roma-Kinder vom normalen Unterricht ausgeschlossen werden und auf Sonderschulen gehen müssen, wenn man das als Diskriminierung benennt, dann müsste man handeln, und es ist egal, ob die nationale Regierung oder die EU handelt."

    Drei Kilometer Luftlinie entfernt vom Europaparlament, in einer ruhigen Wohngegend in Brüssel, ist der Sitz des "Europäischen Roma Informationsbüro". Sechs Lobbyisten für die Roma in Europa. Auch Geschäftsführer Ivan Ivanov ist skeptisch, was die Erfolgsaussichten des Gipfels betrifft:

    "Das wichtigste Hindernis ist, dass es keinen politischen Willen gibt. Die Regierungen haben kein wirkliches Interesse, die Situation der Roma zu verbessern. Und alle diese Papiere, die wir schon geschrieben haben, die verstauben irgendwo in den Regalen der verschiedenen Institutionen. Wenn es keinen politischen Willen gibt, dann ist es egal, wie brillant die Ideen der EU-Kommission sind, dann werden sie nicht umgesetzt. Denn zum Schluss liegt die Umsetzung nicht auf der EU-Ebene, sondern auf der nationalen und lokalen Ebene."

    Seine Einschätzung entspricht auch einem aktuellen Bericht der EU-Kommission zur Lage der Roma: Gerade die Chancengleichheit im Arbeitsleben, bei der Schulbildung und der Gesundheit liege im Zuständigkeitsbereich der 27 Mitgliedsländer. Brüssel könne kaum etwas ohne die Mithilfe der nationalen Regierungen bewirken.

    Und auch ein anderes Problem ist allgegenwärtig: die Stereotypen und Klischees, mit denen Roma im Alltag zu kämpfen haben. Die Politikerin Viktoria Mohacsi beispielsweise wird von den Sicherheitsleuten im Parlamentsgebäude auch noch nach fünf Jahren jedes Mal nach ihrem Ausweis gefragt, wenn sie in den Plenarsaal gehen will. Und bei Verkehrskontrollen prüft die Polizei als erstes nach, ob das Auto, mit dem sie fährt, vielleicht als gestohlen gemeldet ist.