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Mit Platt zum Erfolg

Die NV-Versicherungen aus dem ostfriesischen Neuharlingersiel hat in dieser Woche zum wiederholten Mal Zahlen vorgelegt, die aufhorchen lassen: Während der Branchenführer Allianz den geplanten Abbau von 7000 Stellen mit dem Verlust von Marktanteilen begründet, prägen bei den NV-Versicherungen zweistellige Zuwächse das Geschäft.

Von Folkert Lenz | 07.07.2006
    "Also das Motto der NV lautet: All up Stee. Das bedeutet, übersetzt in Hochdeutsch: Alles in Ordnung. Für Außerfriesische erklären wir das so. Weltweit könnte man auch sagen: Okay, das stimmt, die Richtung ist in Ordnung. All up Stee, das ist so ein geflügeltes Wort. "

    Man gibt sich friesisch. So auch der Vorstandschef der NV-Versicherungsgruppe, Heiner Enno Groenhagen. Ob Broschüren, Geschäftsbericht oder Internet-Auftritt: Bei der NV macht man kein Hehl daraus, dass man nah am Wasser gebaut hat – genauer gesagt: direkt an der Nordseeküste, im kleinen Neuharlingersiel. Wellen, Kutter, Maritimes und Watt schmücken das Werbematerial der NV. Doch bei allem Heimatkolorit: Die Versicherer vom Deich haben in den vergangenen Jahren eine Erfolgsgeschichte geschrieben, die sich sehen lassen kann. Erst in dieser Woche konnte der Versicherungsverein seinen Mitgliedern bei der Hauptversammlung wieder beweisen, was überdurchschnittliches Wachstum heißt. Heiner Groenhagen:

    "Wir sind außerordentlich zufrieden. Wir sind ja abhängig auch von der Mitgliederzahl. Zum Beispiel hatten wir in 2001 noch 20.700 Mitglieder. Jetzt haben wir 75.000 Mitglieder. Das ist doch eine sehr gute Steigerungsrate. Und bei den Versicherungsverträgen ist das ähnlich: Von 50.000 auf 115.000 in der Entwicklung. Da führen wir sicherlich sämtliche Rankinglisten bundesweit an in der prozentualen Steigerung. "

    Unter den Kleinen ist die NV ganz groß. Das Plus bei den Versicherungsverträgen im vergangenen Jahr: Satte 15 Prozent. Die eingezahlten Beiträge kletterten gleich um 21 Prozent. So oder ähnlich geht das schon seit einigen Jahren, während die Branche sich mit Zuwächsen von rund zwei Prozent begnügen muss.

    Dabei betreibt der heimatverbundene Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit wahrlich kein Spezialgeschäft – obwohl er manch gängige Versicherungsangebote für Private links liegen lässt, wie NV-Vorstand Johann Cremer erläutert.

    "Wir machen nicht diese Kfz-Versicherungen, Rentenversicherungen, Lebensversicherungen. Das schließen wir über einen Kompositversicherer ab, das vermitteln wir nur. Aber den Bereich der normalen Sachsparten wie Hausrat, Wohngebäude, Feuer, Unfall, Haftpflicht, den betreiben wir selbst. "

    Seit 1818 schon gibt es die NV. Damals hatten sich neun friesische Bauern zusammengetan, um ihr gedroschenes Stroh zu versichern. Feuerversicherungen für die Landwirte bestimmten das Geschäft bis weit in das abgelaufene Jahrhundert hinein. Nach und nach kamen weitere Sparten hinzu – und auch Nicht–Landwirte wurden aufgenommen.

    Doch die Wurzeln der NV sind bis heute nicht vergessen. Zwar versichern die Friesen unterdessen Landratten in ganz Deutschland. Die Regionalität aber halten Johann Cremer und seine 30 Kollegen bis heute hoch – und das ganz bewusst.

    "Man hat einen Vorteil als kleinerer Versicherer, wenn Sie regional tätig sind. Dann sind es in der Regel auch kleinere Versicherungsgesellschaften, keine großen Aktiengesellschaften. Und das wissen oft die Kunden zu würdigen: Dass wir nicht nur für die Aktionäre da sind. Sondern eben – gerade die regionalen Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit – die Beiträge günstiger gestalten. "

    70 bis 80 Prozent der Gespräche mit den örtlichen Kunden werden bis heute auf Plattdeutsch geführt, schätzen die NV-Manager. Die regionale Ausrichtung führt offenbar zu Erfolgen, die auch von Brancheninsidern anerkannt werden. Mathias Landwehr von der Arbeitsgemeinschaft Rückversicherung:

    "In unserer Gemeinschaft sind rund 40 kleinere Vereine Mitglied. Und da können wir schon sagen, dass die Entwicklung der NV-Versicherungen einmalig ist: Einmalige Wachstumsraten, die mir auch aus der Vergangenheit nicht bekannt sind. "

    Doch das regionale Standbein ist nur eins von zweien. 60 Prozent der NV-Kunden kommen mittlerweile von außerhalb. Denn vor vier Jahren haben sich die Neuharlingersieler entschieden, die elektronische Schiene auszubauen und Versicherungen bundesweit übers Internet zu vermarkten. Dafür ließen sie sich eine Spezial-Software entwickeln. Die Papierberge sind seitdem verschwunden, schwört Vorstand Cremer.

    "Heutzutage ist das so: Da kommt der Antrag auf den Bildschirm. Da drücken Sie zwei, drei Mal einen Knopf. Dann ist das alles gegessen. Das ist ja alles automatisiert. Früher haben Sie für einen Antrag vielleicht zehn Minuten gebraucht oder eine Viertelstunde. Jetzt machen Sie in zehn Minuten vielleicht sieben oder acht Anträge fertig. "

    Nicht mehr als 24 Stunden sollen vergehen, wenn ein Kunde oder ein Makler eine Versicherung per Datenleitung bestellt – so die Devise der NV. Spätestens am nächsten Tag verlässt die Police in der Regel das Haus, auch der Vermittler bekommt sofort seine Provision. Für ihren guten Service sind die Ostfriesen von zahlreichen Verbrauchermagazinen ausgezeichnet worden. Und auch für ihre günstigen Preise regnete es Testsiegel.

    Durch die Standardisierung der Arbeitsabläufe ist die Antragsbearbeitung jetzt um ein Drittel billiger als noch vor drei Jahren, rechnet die NV vor. Die Individualität bleibt dabei aber manchmal auf der Strecke, gesteht man ein.

    "Wir haben spezielle Produkte und Angebote, die Richtung Landwirtschaft gehen. Das ist ja schon ein spezielles Segment: Sowohl in der Feuerversicherung als auch bei der Haftpflichtversicherung. Aber das ist eigentlich nicht täglich Brot. Das kommt zwar vor, und das machen wir auch. Aber eingeschränkt, das muss man sagen. Wir haben schon unsere Richtung des standardisierten Geschäftes. "

    Der Friese gilt als konservativ. So sind unter den NV-Kaufleuten keine Hasardeure zu finden. Dass der Boom der vergangenen Jahre so nicht anhält, ist auch den Versicherungsmanagern am Deich klar. Die erhofften Margen liegen dennoch über den sonst üblichen in der Branche. Vorstandschef Heiner Groenhagen:

    "Wir haben also nicht das Ziel, in zehn Jahren zum Beispiel unser Beitragsvolumen verdoppelt zu haben. Überhaupt nicht. Was kommt, das kommt. Und was läuft, das läuft. Also wenn wir Zuwachsraten haben für die Zukunft von fünf und zehn Prozent, dann sind wir gut aufgestellt. Dann wird uns das ohne weiteres befriedigen. "