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Mit Tschechow und Shakespeare in die Ferien

Der Sommer naht und mit ihm die Ferien für Schule, Kinder, Lehrer und Eltern, aber auch die Theater. Es gab am Potsdamer Theater zum Spielzeitende noch zwei Premieren. Mit Shakespeares "Was ihr wollt" und "Onkel Wanja" von Anton Tschechow gibt man zwei Bühnenklassiker, die vom gleichen Team an zwei aufeinander folgenden Abenden geboten werden.

Von Hartmut Krug |
    Am Beginn von Uwe Eric Laufenbergs erstem Intendantenjahr am Potsdamer Hans Otto Theater stand eine Uraufführung im Schlosstheater des Neuen Palais von Sanssouci, den Schlusspunkt der Saison setzten am Wochenende Shakespeare und Tschechow im Palmensaal der Orangerie von Sanssouci.

    Doch Potsdam ist nicht nur Sanssouci: Laufenberg ist mit seinem Ensemble durch die ganze Stadt gezogen. Nicht nur, weil nach der Schließung des Nachkriegsprovisoriums, einer umgebauten Tanzgaststätte, durch die Bauaufsichtsbehörde seit 1992 mit der so genannten "Blechbüchse" nur ein neues, unpraktisches Provisorium aus Leichtmetall zur Verfügung steht, sondern auch, weil das neue Theaterteam auf die Stadt und sein Publikum werbend zugehen wollte.

    Bis Mitte 2006, wenn am Kulturstandort Schiffbauergasse nahe der Glienicker Brücke ein moderner Theaterbau für 450 Zuschauer fertig sein wird, will Laufenberg das Theater wieder stärker ins Bewusstsein der Potsdamer Bevölkerung gerückt haben.

    An gut ein Dutzend theaterfremde Orte hat das Hans Otto Theater bisher sein Publikum gelockt, so in die Französische Kirche und auf die Freundschaftsinsel, in alte Hallen, Palais und Villen. Dabei war die Wahl des jeweiligen Spielorts stets dramaturgisch genau bedacht, nie war sie willkürlich oder zielte auf äußere Effekte. Wie bei den zwei dreihundert Jahre auseinanderliegenden Komödien, in denen es um erfüllte oder vergebliche Liebe geht.

    Shakespeares Traumlandschaft Ilyrien in "Was ihr wollt" und Tschechows verschlafenes Gut in "Onkel Wanja", das als Doppelprojekt an zwei Abenden mit den gleichen Schauspielern gegeben wird, passen wunderbar in die nach Ideen von Friedrich Wilhelm dem IV von Persius und dem Schinkel-Schüler Stüler im Stil der italienischen Renaissance errichtete Orangerie. Bei "Was ihr wollt" wandert das Publikum mit den Schauspielern durch den hohen und weiten, etwas heruntergekommenen prächtigen Säulensaal mit seiner durchgehenden, bis zum Boden reichenden Fensterfront an verschiedene Spielorte. Es beginnt damit, dass die schwarz verschleierte Olivia den Vorhang zur Halle herunterreißt und ans ferne Ende der Halle geht, während Herzog Orsino mitten im wartenden Publikum seine vergebliche Liebe an die Gräfin richtet: So ist gleich an wunderbares Bild für das Thema des Stückes gefunden.

    Shakespeares Stück ist zweierlei: ein poetisches Liebesverwirrstück und eine drastische Komödie, bei der dem eitlen Haushofmeister der Gräfin derb mitgespielt wird. Ein vom Publikum umringtes flaches Wasserbecken ist der Spielort, auf dessen schmalem Mittelsteg sich die Gelage und Konflikte abspielen. Dass dabei nicht nur die Verliebten im Überschwang ihrer Sehnsüchte gelegentlich durchs Wasser stapfen, sondern die Mannen um den trinkfesten Sir Toby in dieses hinein fallen, wirkt wie alles in dieser Inszenierung ganz leicht und selbstverständlich.

    Uwe Eric Laufenberg und Tobias Sosinka, die gemeinsam für beide Inszenierungen verantwortlich zeichnen, setzen mit ihrem vorzüglichen Ensemble nie auf überstarke Effekte. Das Liebesverwirrspiel findet auf einer Galerie statt, vor deren Längsfront das Publikum sitzt: dabei wird das Hin und Her der Gefühle sehr schön auch in der Bewegung der Schauspieler im Raum deutlich.

    Während bei "Onkel Wanja", bei dem das Publikum auf einer Empore einem schäbigen Wohnzimmer gegenübersitzt, das vom Bühnenbildner Gisbert Jäkel vor dem grandiosen Hintergrund der tiefen Säulenhalle wie eine traurige Insel gesetzt wurde, sofort die Enge und Erstarrtheit der Situation sinnlich deutlich wird. Mit der wunderbar rotzig sinnlichen Übersetzung von Thomas Brasch finden beide Stücke einen Ton, der falsche Poetisierungen vermeidet. Christian Klischat, in "Was ihr wollt" ein bewusst farblos hilfloser Junker Leichenwang, spielt den Onkel Wanja ganz heutig, als einen kräftig aufbegehrenden, lautstarken, aber hilflosen Räsonneur, während Günter Junghans, bei Shakespeare ein schmaler, verschmitzter Sir Toby, jetzt als der eitel egoistische Professor eine wunderbar grämlich-dümmliche Figur gibt.

    Beide Inszenierungen kommen ohne den Ehrgeiz daher, irgend originelle Neu-Interpretationen zu liefern. Sie sind leicht, aber nie leichtfertig, erzählen die Fabeln mit sinnlicher Phantasie und sind brillantes Schauspielertheater. In Potsdam sieht man einmal mehr, wozu ein kleines deutsches Stadttheater fähig ist. Wie Meriam Abbas sich erst als Viola zwischen männlicher Rolle und weiblicher Liebe mit Charme und Energie schier zerreißt, um sich bei Tschechow als vergeblich den Doktor liebende Sonja zwar resigniert, aber mit verzweifelter Liebes-Resthoffnung, in die Arbeit zu retten, das wird so facettenreich, so locker dargeboten, dass es eine schiere Zuschau-Freude erzeugt.

    Ob der über siebzigjährige Günter Rüger, der Shakespeares Narr mit trockenem Witz und dann den ehemaligen Gutsbesitzer bei Tschechow mit verhaltenem Trotz gibt, ob Rahel Ohm, die bei Tschechow ein in jeder Hinsicht schwergewichtiges Kammermädchen spielt, oder ob Henrik Schubert und Adina Vetter, die weder als Herzog und Gräfin bei Shakespeare noch als Landarzt und junge Ehefrau des Professors bei Tschechow zusammen kommen: Sie alle zeigen uns mit sensibel-diszipliniertem Spiel Haltungen und Handlungen, die nicht nur von gestern sind. So kann, so soll wunderbares Sommertheater sein.