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Mit Vollgas in den Tod

Laut der Europäischen Umwelt-Agentur (EUA) gehört Tschechien zu den Ländern in Europa, in denen die Treibhausgas-Emissionen im Bereich Verkehr seit 1990 um mehr als einhundert Prozent gestiegen ist. Und noch einen traurigen Rekord halten die Tschechen: Laut europäischer Statistik ereignen sich in Tschechien mit die meisten Verkehrsunfälle. Und das, obwohl vor einigen Monaten ein strenges Straßenverkehrsgesetz in Kraft getreten ist. Was sind die Ursachen? Kilian Kirchgeßner berichtet aus Prag.

    In Prag gibt's viele gefährliche Stellen auf der Straße.
    In Prag gibt's viele gefährliche Stellen auf der Straße. (Unsplash / Ram Mindrofram)
    Es ist später Nachmittag, die Ausfallstraße im Prager Vorort Dolni Pocernice füllt sich zusehends mit Pendlern auf der Heimfahrt. Hier hat die Polizei eine Radarfalle aufgebaut. Per Funk kommt vom Kollegen der Einsatzbefehl für Martin Holubicka. Er winkt eine Fahrerin aus dem Verkehr.

    "Guten Tag, allgemeine Verkehrskontrolle. Wir haben Ihre Geschwindigkeit gemessen. Wissen Sie, wie schnell man hier fahren darf? 50 Kilometer pro Stunde. Und Sie waren mit 67 unterwegs."

    Es gibt viel zu tun für Martin Holubicka und seine beiden Kollegen. Viele Fahrer sind hier am Ortsausgang zu schnell auf der Straße.

    "Hier in Prag gibt's viele gefährliche Stellen auf der Straße, sagt Polizist Holubicka. Wenn wir jemanden anhalten, nehmen wir seine Daten auf und stellen ihm einen Strafzettel aus - genauso, wie es in Deutschland auch gemacht wird."

    Das Procedere ist vergleichbar, die Zahlen allerdings nicht. In Tschechien gibt es doppelt so viele Verkehrstote wie in Deutschland, gemessen an der Zahl der zugelassenen Fahrzeuge. Das bislang schwärzeste Wochenende in diesem Jahr forderte 26 Tote - innerhalb von zwei Tagen. Und die Zahl der tödlichen Zusammenstöße steigt weiter an. Daran ändert bislang auch das neue Verkehrsgesetz nichts, das im vergangenen Jahr in Kraft getreten ist. Mehr Kontrollen und höhere Strafen sind darin vorgesehen. Unmittelbar nach Einführung des Gesetzes ging die Zahl der Verkehrstoten auch tatsächlich zurück, sowohl auf der Autobahn als auch in den Städten hielten sich die Fahrer an die Vorschriften. Kurz darauf allerdings stieg die Zahl der Todesopfer wieder rapide an.

    "Im ersten Monat mit dem neuen Gesetz, da sind die Leute gefahren ... einfach unglaublich! Das war das Paradies auf der Straße, sagt ein tschechischer Autofahrer. Aber nach einer Weile sind viele wieder so gefahren wie immer. Wir brauchen strengere Kontrollen, damit das System eingehalten wird, das ist eine Aufgabe für die Polizei und die zuständigen Stellen!"

    Die Kontrollen in Tschechien sind tatsächlich lasch. Die Verkehrspolizisten klagen über eine hoffnungslose Überlastung, für mehr als gelegentliche Stichproben reiche das Personal einfach nicht aus. Viel zu spät hat das zuständige Ministerium Geld für die Anschaffung moderner Messgeräte bereitgestellt. Fest installierte Radarstationen gibt es in ganz Tschechien nur an einer Handvoll kritischer Stellen. Der Vize-Verkehrsminister Ivo Vykydal will das ändern.

    "Diese automatischen Geräte zur Überwachung von Verkehrsverstößen können der Polizei sehr helfen. In Prag hat sich schon herumgesprochen, wo auf diese Art gemessen wird. Das bringt gute Ergebnisse - ohne, dass an der Stelle auch nur ein Polizist auf der Straße stehen muss."

    Dass Tschechien europaweit zu den Ländern mit den meisten Verkehrstoten zählt, führen Experten auf zwei Ursachen zurück: Es gibt nur wenige gut ausgebaute Strecken, zwischen vielen Orten schlängeln sich schmale und kurvenreiche Straßen - und die sind nicht ausgelegt auf die neuen Autos mit ihren PS-starken Motoren. Viele Tschechen beschweren sich außerdem über den ruppigen Fahrstil ihrer Landsleute.

    "Diese aggressiven Fahrer, schimpft eine Autofahrerin, es sind hier so viele Aggressive auf den Straßen unterwegs, die drängen einen rücksichtslos von der Spur. Die Neureichen mit ihren dicken Schlitten, die drücken richtig auf's Gas - und die anderen Fahrer machen denen auch noch Platz für ihre Raserei."

    Im tschechischen Parlament indes werden immer wieder Forderungen laut, das Tempolimit auf den Autobahnen weiter heraufzusetzen. Der Vorschlag: Künftig sollen 160 Kilometer pro Stunde erlaubt sein statt der bisher 130. Bei der Polizei schüttelt man angesichts solcher Überlegungen nur mit dem Kopf. Mehr Sicherheit auf tschechischen Straßen, glaubt Verkehrspolizist Martin Holubicka - das werde noch viele Jahre dauern. Letztlich sei alles eine Frage der Verkehrserziehung, sagt er und erzählt von einer Kontrolle vor wenigen Tagen: Da hat er einen Mann im Geländewagen angehalten, Tempo 106 mitten in Prag. Gegen solche Leute helfe kein Gesetz und kein Tempolimit auf der Welt, sagt er.

    "Die Einstellung der Fahrer muss sich ändern, wenn sich hier etwas verbessern soll. Wir, die Polizei, führen unsere Kontrollen in bewährter Weise durch, und an den Gesetzen wird sich vorerst auch nicht viel ändern. Also geht es jetzt um die Fahrer - so einfach ist das."