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Mitleidende Mäuse

Biologie. - Ein kanadischer Schmerzforscher hat durch Zufall entdeckt, dass Mäuse Einfühlungsvermögen besitzen. Bei Schmerzexperimenten reagierte immer die vierte Maus aus einem Käfig am heftigsten auf einen Reiz. Es schien als hätten ihr die anderen Mäuse von dem schmerzhaften Erlebnis erzählt. Aber Sprache war dann doch nicht die beeindruckende Fähigkeit mit der die Labormäuse ihren Forscher in weiteren Experimenten überraschten.

Von Kristin Raabe |
    Normalerweise untersuchen Forscher mit diesem Standardtest die Wirkung von Schmerzmitteln bei leichten bis mittleren Schmerzen: Dazu injizieren sie Mäusen eine verdünnte Essigsäure in die Bauchhöhle. Danach krümmen sich die Tiere mehrmals bis der Schmerz nach wenigen Minuten vorbei ist. Die Anzahl der Krümmungen zählen die Forscher, denn sie gibt Aufschluss über das Ausmaß des Schmerzes - und darüber, ob die Schmerzmittel wirken oder nicht. Eine Verletzung erleiden die Mäuse dabei übrigens nicht. Jeffrey Mogil von der McGill Universität in Montreal hat viel Erfahrung mit dieser Art von Experimenten, zu denen es zur Zeit keine Alternative gibt. Trotzdem war er überrascht als er sah, was geschah, wenn zwei Mäuse gleichzeitig den Krümmungstest machten und sich dabei gegenseitig beobachten konnten. Mogil:

    "Wenn die Mäuse sich sehen konnten und wenn sie sich gut kannten, also zwei bis drei Wochen im selben Käfig verbracht hatten, dann zeigten sie eine stärkere Schmerzreaktion und krümmten sich sogar simultan. Die Reaktion fiel deutlich schwächer aus, wenn wir sie isoliert voneinander testeten."

    Für so ein Verhalten gibt es eine Vielzahl von Erklärungen. Vielleicht waren die Mäuse durch die Anwesenheit einer anderen Maus zusätzlich gestresst und reagierten deswegen stärker oder die eine Maus imitierte einfach die andere. Für all dies, ließ sich Jeffrey Mogil Kontrollexperimente einfallen. Am Ende blieb jedoch nur eine Erklärung: Mäuse verfügen über eine Art Einfühlungsvermögen. Deswegen reagieren sie stärker, wenn sie sehen, dass eine andere Maus Schmerz empfindet. Das ganze funktioniert allerdings nur, wenn die Mäuse sich vorher gut kennen, wobei der Verwandtschaftsgrad der Tiere keine Rolle spielt. Fremden Tieren gegenüber zeigen Mäuse kein Einfühlungsvermögen. Mogil:

    "Wovon wir hier sprechen ist wirklich nur die niedrigste Stufe von Einfühlungsvermögen, die überhaupt denkbar ist. Wir bezeichnen so etwas auch als emotionale Ansteckung. Wie wenn jemand einen anderen mit seinem Gähnen ansteckt. Bei den Mäusen haben wir für den Schmerz eine emotionale Ansteckung. Der Sinn von so einer Fähigkeit ist ganz klar. Wenn ein Tier ein anderes dabei beobachtet, wie es Schmerzen erleidet, dann besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass es selbst auch bald Schmerzen erleiden wird. Es ist also schon in Alarmbereitschaft und kann sich auf den Schmerz vorbereiten. Der evolutionäre Sinn dahinter besteht also darin, andere Tiere in einer Gruppe vor einer Gefahr zu warnen."

    Beim Menschen ist die emotionale Ansteckung, wenn es ums Gähnen geht inzwischen gut nachgewiesen. Und auch Schimpansen stecken einander mit ihrer Gähnerei an, das haben Studien erst kürzlich belegt. Dass beim Menschen die emotionale Ansteckung auch für den Schmerz gilt, ist ziemlich wahrscheinlich. Wenn ein Menschen in einem Film sieht, wie jemandem mit einer Nadel in die Hand gestochen wird, dann steigt die Erregbarkeit seiner eigenen Handmuskeln. Das haben italienische Forscher bewiesen. Und schließlich stöhnen wir laut auf, wenn wir nur beobachten, wie jemand anders sich versehentlich mit dem Hammer auf den Daumen haut. Mogil:

    "Jetzt können wir hingehen und die Mechanismen untersuchen, die dem Einfühlungsvermögen zugrunde liegen. Mit den Mäusen können wir genau untersuchen, welche Gene und welche Hirnchemie tatsächlich beim Einfühlungsvermögen eine Rolle spielen."

    Noch weiß Jeffrey Mogil nicht wie viele dieser Experimente er selbst durchführen wird. Schließlich ist er eigentlich ein Schmerzforscher, der nur ganz nebenbei das Einfühlungsvermögen der Mäuse entdeckt hat.