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Mitschuldig durch Wegschauen

Erneut haben Angehörige von ETA-Opfern gegen mögliche Verhandlungen der spanischen Regierung mit der Terrororganisation demonstriert. Vor acht Wochen hatte die ETA eine Feuerpause verkündet. Das ist nicht das erste Mal und bisher ist die Organisation immer zu den Waffen zurückgekehrt.

Von Hans-Günter Kellner | 08.11.2010
    Seichter Jazz im gepflegten Park neben dem Guggenheim-Museum in Bilbao, Eltern spielen mit ihren Kindern auf dem Rasen. Das harmonische Bild steht im krassen Gegensatz zu den Erinnerungen an den Terror im Baskenland. Die Mitglieder Friedensinitiative "Geste für den Frieden" waren vor 25 Jahren die Ersten, die gegen den Terrorismus der ETA auf die Straße gingen. Fabian Laespada und Eskolumbe Mesperuza sind von Anfang an dabei:

    " Ich erinnere mich an eine Demonstration, die wir jeden Montag in einem Dorf hier in der Nähe hätten. Dort gab es nie Demonstrationen, obwohl die ETA dort viele Leute umgebracht hatte. Die Angst war zu groß. Bei unseren kleinen Versammlungen auf der Straße mit den selbst gemalten Spruchbändern kamen die ETA-Anhänger von hinten auf uns zu. Sie bewarfen uns mit Geldstücken. Ich konnte ihren Atem im Genick spüren, sie beschimpften uns als Mörder. Wir demonstrierten gegen das Töten, und diese Leute forderten, die ETA solle uns töten, wir sollten verschwinden!"

    Damals habe die ETA so etwas wie ein "Copyright" auf alles Baskische besessen, die ETA und ihre Anhänger galten als Verteidiger des Euskera, der baskischen Sprache, der baskischen Kultur, der Basken schlechthin, erzählen die beiden Friedensaktivisten. Dagegen gab es nun Widerstand:

    "Ihre Angst war spürbar, sie merkten, sie verlieren die Vorherrschaft auf der Straße. Die Straße gehörte ihnen ja. Wir begannen, den öffentlichen Raum zu besetzen –während sie riefen 'ETA-Töte sie, sie sind Spanier!', spürten sie gleichzeitig, dass viele Basken so wie wir dachten. Eine Mehrheit, die "Frieden" forderte. Das Wort "Frieden" war damals tabu."

    Viele Basken trauen sich auch heute noch nicht, offen gegen die ETA vorzugehen. Aber den Kampf um die Meinungsführerschaft hat die Organisation dennoch längst verloren: Selbst die verbotene, der ETA nahestehende Partei Batasuna hat öffentlich erklärt, nur noch friedliche Wege auf dem Weg zur Unabhängigkeit beschreiten zu wollen. Ein Grund zur Hoffnung, meint Laespada, doch er ist vorsichtig:

    "Wir haben ja alle unsere Erfahrungen. Wir hatten in relativ kurzer Zeit drei Waffenstillstände. Die sind alle gescheitert, da fühlt man sich schon betrogen. Jetzt sprechen sie wieder von der 'Einstellung offensiver Aktionen'. Aber die Unternehmer werden weiter erpresst, die französische Polizei schreibt der ETA mehrere Autodiebstähle zu, die ETA ist weiter aktiv. Auf der anderen Seite sagt Batasuna, dass es mit der Gewalt jetzt ein Ende hat, und wir alle dafür noch irgendwelche Dinge tun müssten. Dabei sind es die ETA ist und ihr Umfeld, die hier noch viel zu leisten haben. Batasuna muss sich ganz eindeutig von der ETA lösen, die Gewalt verurteilen, oder die ETA dazu bewegen, zu verschwinden, die Waffen niederzulegen, bedingungslos."

    Ein schwieriger Prozess, meint der Hochschullehrer. Denn damit müssten sich die ETA und ihr Umfeld eingestehen, dass ihr jahrzehntelanger Kampf im Grunde umsonst war. Der kritische Theologe Javier Vitoria ging mit einigen der ETA-Gründer zur Schule. Die Gewalt sei damals generell als legitimes Mittel der Politik anerkannt gewesen, erinnert sich der 69-Jährige:

    "Ich bin sehr selbstkritisch. Wir waren hatten ein sehr naives Verhältnis zur Gewalt. Wir sprachen von der Revolution, von Che Guevara, von den nationalen Befreiungsbewegungen in Lateinamerika, dann kam der Mai '68. ... Die ETA hat mit der Gewalt, die wir tolerierten, ernst gemacht. Sie hat damit eine Dynamik in Bewegung gesetzt, die selbst dann funktioniert, wenn die Führungsriege eigentlich Schluss machen möchte. Sie hat sich verselbstständigt. Diesen Geist wieder in die Flasche zurückzubringen, ist sehr schwer."

    Trotz dieser Skepsis blickt Javier Vitoria auch auf die Zeit nach der ETA, denkt an Versöhnungsprozesse und daran, wie das Baskenland seine eigene Geschichte einmal schreiben soll. Denn zwar widersetzten sich Organisationen wie "Geste für den Frieden" der ETA. Doch zu viele im Baskenland versuchten auch, den Terror zu ignorieren, kritisiert der Theologe und spricht von einer Kollektivschuld der Basken.

    "Die ETA prägt die Geschichte dieses Land wie kein anderes, so wie Auschwitz prägend für Deutschland ist oder die vielen Verschwundenen für Argentinien. Auch hier haben zu viele bewusst weggesehen, wenn hier Unschuldige im Namen des Vaterlands ermordet wurden. Natürlich ist die ETA die Hauptverantwortliche für ihre Taten. Aber unser Wegschauen hat uns mitschuldig gemacht."