Der Michaelsberg ist eine eher unscheinbare flache Erhebung bei Bruchsal-Untergrombach im Badischen. Dieser nicht gerade weltbekannte Hügel genießt unter Eingeweihten einen gewissen Ruf: 1888 buddelten hier Mitglieder des Karlsruher Altertumsvereins Relikte aus der Jungsteinzeit aus, und in der Folge fand man eine Reihe lang gestreckter Gräben, die mit Keramik, Steinwerkzeugen, Tierknochen und menschlichen Skeletten aufgefüllt waren.
Waren diese sogenannten Erdwerke früher Verteidigungswälle? Umgaben sie nur Weideflächen zur Haltung von Rinderherden - oder auch einen Siedlungsplatz? Oder sogar einen Versammlungs- und Kultort? Für all diese Hypothesen gibt es Pro- und Contra-Argumente. Der Ausstellungskurator Clemens Lichter hält sich aus dem Streit heraus. Er empfängt uns mit einer 1:1-Rekonstruktion eines solchen Erdwerks – und mit einem Totenschädel, der in der Kalotte oben ein Loch hat - das von innen geschlagen wurde. Offenbar wurde er auf einem Pfahl aufgespießt.
"Was wir nicht aussagen können: Ist das ein Mitglied der eigenen Sippschaft, dem das widerfahren ist? Man kann sich auch vorstellen, dass es ein bereits seit längerem Verstorbener war, dem man aus dem Grab heraus den Schädel entnommen und ihn aufgespießt hat. Es könnte aber auch ein Beispiel für einen erschlagenen Feind sein. Schädel-Kult oder Schädel-Trophäe, das wären so die beiden Begriffe, mit denen man da operieren könnte."
Weil der Michaelsberg der erste Fundort war, heißt nun diese gesamte, nach der Ähnlichkeit von Tulpenbechern und anderen Keramiken klassifizierte Kultur "Michelsberger Kultur" – und die reicht (im 5. und 4. Jahrtausend vor Christus) immerhin vom Pariser Becken bis nach Belgien, Holland und Böhmen. Die Fundlage im badischen Umkreis ist nicht üppig; deshalb weitet die locker und übersichtlich inszenierte Ausstellung den Blick auch bald auf Nachbarkulturen im Osten und in der Schweiz. Vieles stammt vom Bodensee und aus anderen sogenannten Feuchtbodenkulturen. Man siedelte an Seen, hatte Wasser und Fisch – und im Hinterland Ackerflächen, die die nun sesshaft gewordenen Gruppen dem Wald abrangen.
Feuchtbodenkulturen sind ein Glücksfall für die Archäologie, weil auch organische Stoffe oft gut erhalten bleiben, Sandalen und Kleidung aus Bast- und Binsengeflechten, aber auch bemalte Relikte von Pfahlbauten – zum Beispiel in Ludwigshafen am Bodensee.
In der Jungsteinzeit finden sich häufig Applikationen und Verzierungen, die weiblichen Brüsten ähneln – aber auch hier hat die Archäologie keine klaren Interpretationen. Deutlicher sind die Erkenntnisse über neue, geordnetere Siedlungsformen: Häuser wurden erstmals an Gassen und Straßen gebaut. Und die technologischen Fähigkeiten verbesserten sich im 4. Jahrtausend v. Chr. enorm: aus Zürich-Riesbach sieht man ein Holzrad mit Radnabe – unter Ausnutzung von Tieren konnte man nun pflügen und auf Wagen Dinge transportieren. Man begann, unter einer gewissen Arbeitsteilung, Kupfer abzubauen und zu verarbeiten – ein entscheidender Schritt des Neolithikums. Man konnte nun viel wirksamere Werkzeug herstellen – und Geschmeide; in der Ausstellung sehen wir einige der ältesten Schmuckscheiben Europas aus Tschechien. Eine gesellschaftliche Elite begann sich herauszudifferenzieren; aus den wenigen Grabzeugnissen präsentiert man etwa Jadeit-Beile aus Mainz-Gonsenheim, die ganz offensichtlich reinen Prunkzwecken dienten. Und das Birkenpech, mit dem man Schaft und Klinge von Waffen verklebte, ließ sich wundersamerweise auch medizinisch nutzen.
Clemens Lichter: "Man kann es kauen. Es enthält Betulin, und das ist schmerzstillend. Wenn Sie Zahnschmerzen, Zahnfleischentzündung haben, können Sie damit eine Schmerzlinderung herbeiführen."
Das überraschendste Exponat aber bleibt das Züricher Holzrad aus dem Jahr 3200 vor Christus. Bis vor wenigen Jahren nämlich hielt man die Erfindung des Rades den alten Kulturen zwischen Euphrat und Tigris zugute. Nach neuesten Forschungen aber ist alles anders: Das Rad wurde mehrfach erfunden, in Mesopotamien und in Mitteleuropa. Und zwar völlig unabhängig voneinander, und fast gleichzeitig.
Homepage Badisches Landesmuseum Karlsruhe "Jungsteinzeit im Umbruch"
Waren diese sogenannten Erdwerke früher Verteidigungswälle? Umgaben sie nur Weideflächen zur Haltung von Rinderherden - oder auch einen Siedlungsplatz? Oder sogar einen Versammlungs- und Kultort? Für all diese Hypothesen gibt es Pro- und Contra-Argumente. Der Ausstellungskurator Clemens Lichter hält sich aus dem Streit heraus. Er empfängt uns mit einer 1:1-Rekonstruktion eines solchen Erdwerks – und mit einem Totenschädel, der in der Kalotte oben ein Loch hat - das von innen geschlagen wurde. Offenbar wurde er auf einem Pfahl aufgespießt.
"Was wir nicht aussagen können: Ist das ein Mitglied der eigenen Sippschaft, dem das widerfahren ist? Man kann sich auch vorstellen, dass es ein bereits seit längerem Verstorbener war, dem man aus dem Grab heraus den Schädel entnommen und ihn aufgespießt hat. Es könnte aber auch ein Beispiel für einen erschlagenen Feind sein. Schädel-Kult oder Schädel-Trophäe, das wären so die beiden Begriffe, mit denen man da operieren könnte."
Weil der Michaelsberg der erste Fundort war, heißt nun diese gesamte, nach der Ähnlichkeit von Tulpenbechern und anderen Keramiken klassifizierte Kultur "Michelsberger Kultur" – und die reicht (im 5. und 4. Jahrtausend vor Christus) immerhin vom Pariser Becken bis nach Belgien, Holland und Böhmen. Die Fundlage im badischen Umkreis ist nicht üppig; deshalb weitet die locker und übersichtlich inszenierte Ausstellung den Blick auch bald auf Nachbarkulturen im Osten und in der Schweiz. Vieles stammt vom Bodensee und aus anderen sogenannten Feuchtbodenkulturen. Man siedelte an Seen, hatte Wasser und Fisch – und im Hinterland Ackerflächen, die die nun sesshaft gewordenen Gruppen dem Wald abrangen.
Feuchtbodenkulturen sind ein Glücksfall für die Archäologie, weil auch organische Stoffe oft gut erhalten bleiben, Sandalen und Kleidung aus Bast- und Binsengeflechten, aber auch bemalte Relikte von Pfahlbauten – zum Beispiel in Ludwigshafen am Bodensee.
In der Jungsteinzeit finden sich häufig Applikationen und Verzierungen, die weiblichen Brüsten ähneln – aber auch hier hat die Archäologie keine klaren Interpretationen. Deutlicher sind die Erkenntnisse über neue, geordnetere Siedlungsformen: Häuser wurden erstmals an Gassen und Straßen gebaut. Und die technologischen Fähigkeiten verbesserten sich im 4. Jahrtausend v. Chr. enorm: aus Zürich-Riesbach sieht man ein Holzrad mit Radnabe – unter Ausnutzung von Tieren konnte man nun pflügen und auf Wagen Dinge transportieren. Man begann, unter einer gewissen Arbeitsteilung, Kupfer abzubauen und zu verarbeiten – ein entscheidender Schritt des Neolithikums. Man konnte nun viel wirksamere Werkzeug herstellen – und Geschmeide; in der Ausstellung sehen wir einige der ältesten Schmuckscheiben Europas aus Tschechien. Eine gesellschaftliche Elite begann sich herauszudifferenzieren; aus den wenigen Grabzeugnissen präsentiert man etwa Jadeit-Beile aus Mainz-Gonsenheim, die ganz offensichtlich reinen Prunkzwecken dienten. Und das Birkenpech, mit dem man Schaft und Klinge von Waffen verklebte, ließ sich wundersamerweise auch medizinisch nutzen.
Clemens Lichter: "Man kann es kauen. Es enthält Betulin, und das ist schmerzstillend. Wenn Sie Zahnschmerzen, Zahnfleischentzündung haben, können Sie damit eine Schmerzlinderung herbeiführen."
Das überraschendste Exponat aber bleibt das Züricher Holzrad aus dem Jahr 3200 vor Christus. Bis vor wenigen Jahren nämlich hielt man die Erfindung des Rades den alten Kulturen zwischen Euphrat und Tigris zugute. Nach neuesten Forschungen aber ist alles anders: Das Rad wurde mehrfach erfunden, in Mesopotamien und in Mitteleuropa. Und zwar völlig unabhängig voneinander, und fast gleichzeitig.
Homepage Badisches Landesmuseum Karlsruhe "Jungsteinzeit im Umbruch"