Freitag, 19. April 2024

Archiv


Mittelständler gegen Putin

Seit Wochen demonstrieren Zehntausende gegen das System Putin. Sie begehren auf gegen Korruption und Beamtenherrschaft. Unter den Demonstranten sind auch viele gut situierte Vertreter des Mittelstands - wie Alexander Kukin, Geschäftsmann aus Jaroslawl.

Von Gesine Dornblüth | 17.02.2012
    Nachmittags in einem privaten Spracheninstitut in Jaroslawl, gut 250 Kilometer nordöstlich von Moskau. Sechs Jugendliche zücken Stift und Zettel. Sie lernen zwar auch in der Schule Englisch, dort seien die Lehrer aber schlecht, sagen sie, die Privatstunden nehmen sie deshalb zusätzlich.

    Alexander Kukin hat die Sprachschule vor knapp zwei Jahren gegründet, und er hat damit eine Marktlücke besetzt. 500 Schüler kommen jede Woche zum Unterricht.

    "Ich spreche oft mit Freunden, die ins Ausland emigriert sind. Daher weiß ich: In Russland ist es, trotz aller bürokratischen Hürden, einfacher, ein Geschäft aufzumachen als in Westeuropa, weil hier viele Nischen, zumindest bis vor Kurzem, noch frei waren. Ich habe diese Sprachenschule gegründet, weil es auf dem Gebiet noch nichts gab außer einzelnen Nachhilfelehrern, die sich aber überhaupt nicht vermarkten konnten."

    Alexander Kukin ist ein typischer Vertreter des neuen russischen Mittelstands. 37 Jahre, verheiratet, wohlhabend, zwanzig Angestellte. In wenigen Wochen wird er zum zweiten Mal Vater. Kukin stammt aus einer armen Familie, wuchs auf dem Dorf auf, arbeitete sich hoch. Bevor er die Sprachenschule gründete, war er Manager eines Fernsehsenders. Und über Jahre dachte er vor allem an eines: an Geld. Seit einigen Wochen ist das anders.

    "Es gab kein romantisches Erweckungserlebnis. Ich wollte lange Zeit das Land verlassen wie viele andere auch. Aber dann habe ich mir von meinen Ersparnissen ein Penthouse hier in Jaroslawl gekauft. Und damit war klar, dass ich wohl hier bleiben werde und das Leben hier verbessern muss."

    Und so ging Kukin am 4. Februar zum ersten Mal in seinem Leben zu einer Demonstration. Er protestierte im Zentrum von Jaroslawl gegen Putin - bei minus 30 Grad mit etwa 500 anderen.

    Kukin ärgert sich nicht nur über die Politiker im Kreml. Er möchte, dass sich auch in seiner Heimatstadt etwas verändert. In Jaroslawl finden am 4. März, gemeinsam mit den Präsidentenwahlen, auch Bürgermeisterwahlen statt. Mehr als zwanzig Jahre ist der Amtsinhaber schon auf dem Posten.

    "Ich ging noch zur Schule, ich hatte noch nicht mal meine erste Freundin, da war er schon im Amt. Am Ende ist er noch Bürgermeister, wenn ich sterbe. Ich bin dagegen."

    Kukin unterstützt jetzt einen Oppositionskandidaten, macht Reklame für ihn.

    "Ich bin kein Revolutionsromantiker. Ich möchte für einen friedlichen Machtwechsel sorgen. In Russland gibt es diese Tradition leider nicht. Ein Machtwechsel gilt hier als nationale Katastrophe. Die meisten Menschen halten das Staatsoberhaupt für einen Zaren, der für viele Jahre gewählt ist und von dem alles abhängt. Ich finde, ein Staatsoberhaupt muss ein Manager sein. Und wenn wir aus Versehen einen schlechten Manager gewählt haben, dann müssen wir das Recht haben, ihn nach vier oder fünf Jahren abzulösen. Das können wir aber nicht, denn wen wir einmal gewählt haben, der setzt sich für Jahre fest, sichert sich alle Gelder und muss mit den Füßen voran aus dem Amt getragen werden, wie seinerzeit Breschnew. Das darf so nicht sein."

    In Moskau und vielen anderen Städten will die Opposition das nächste Mal am 26. Februar demonstrieren - auch in Jaroslawl. Gleichzeitig mobilisieren die Putin-Anhänger - in großer Zahl und landesweit. Meinungsforscher haben herausgefunden, dass viele junge Russen überlegen, das Land zu verlassen, wenn Putin wieder Präsident wird. Kukin will bleiben.

    "In meinem Leben wird das wenig ändern. Meine Geschäfte laufen gut, meine Sprachenschule ist die größte in der Stadt, und ich glaube, auf uns kann man keinen Druck ausüben. Ich werde schon deshalb nicht ins Ausland gehen, weil ich so viel Geld wie hier nirgendwo anders verdienen kann. Bei allen Nachteilen unseres Landes – man kann hier reich werden."