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Moby Dick oder der Wal

Wir sitzen alle im selben Boot. Denn Kapitän Ahabs Schiff Peaquod - das ist in Freiburg die Drehbühne. Mitten drauf hat Andreas Jander die Zuschauer-Podeste und den Mast gesetzt. Fürs Meeresgleißen und Flimmern, für den Sog von Turbulenzen, sturmgepeitschter, sich überstürzender

Von Cornelie Ueding |
    Wogen und sprühender Gischt sorgt der Multimediakünstler Martin Rottenkolber. Die Grundidee ist klar: the world a stage - the stage a ship - die Zuschauer an Bord. E la nave va - das fährt und dreht auf hoher See-Bühne, daß es eine Seh-Lust ist. Vorbei an einem sich von
    Seitenbühne zu Beleuchtergalerie entfaltenden Bilderbogen, entlang von Kirchgängern und Chören an Land, Trinkgelagen, Einschwörungs- und Unterwerfungsritualen an Bord, selbst dann kaum innehaltend, wenn andere Schiffe, fremde Kapitäne, den labyrinthischen Kurs der Peaquod kreuzen
    oder der exotisch tätowierte Har-punier Queequeg hinterm Gazeaushang zum Walfang trommelt.

    Bilderfluten sollen die Passagiere aufs Meer der Illusionen tragen. Doch peu à peu kreist das Ganze immer schwindelerregender um sich selbst, die Orientierung geht verloren, irgendwann gibt es ein kurzes Innehalten, einen Landgang für alle: auf die Hinterbühne, Pausen-Fischsuppe für die
    Zuschauer inklusive. Dann treibt Ahab, ein ausgedörrter Maniac, seine mittelmäßige Crew endgültig zur Verzweiflung und in den Tod. Eine Parabel um Verfolgungswahn und Machtrausch, Manipulation und Männerbünde, hochpolitisch, wird zum narzißtischen Bilderbogen und im Verlauf des Abends immer mehr mit Bedeutsamkeit befrachtet.

    Es scheint, als habe die Freiburger Intendantin Amélie Niermeyer, die zusammen mit dem für die Spielfassung zuständigen Klaus Buhlert Regie führt, eine Art maritimes Jedermann-Welttheater angesteuert - und dabei ist sie lächelnd auf Grund gelaufen, gerade weil sie so tiefgründig sein will. Im gewaltigen, vielstimmimgen Romanlabyrinth von Melville ist das Ganze ein polyphones Wechselspiel zwischen Psychopathologie und Jagdfieber, parasakralem Wahn und Fangquote, ein erbitterter Kampf von Individuen, die für etwas stehen: für Fortschritt, Effizienz, Risikobereitschaft,
    Gewinnsucht, Mittelmaß, Gutmütigkeit, Bequemlichkeit, Vernünftigkeit oder Wahrheitssuche.

    Im Moby Dick Modell -Theater bleibt sozusagen nur mehr die Gräte vom Butt, pardon: vom Wal übrig und das Fleisch der Figuren und der Geschichte ist futsch. Da wird dann jeder Satz zum morality-artigen Signal. Ahab ein Irrer. Und zwar von Anfang an und ganz und gar. Spinnenfingrig greift sich Dieter Laser als Ahab an den Kopf, gebieterisch die kantigen, eckigen Bewegungen, furcht-einflößend zackig und stampfend der Habitus, die Stirn zerfurcht, eisig der Blick in die Ferne, augenrollend zu seiner expressionistisch exaltierten Gestik. Ein quälend Gequälter, dem die Regie weder leise noch vernünftige Töne und vor allen keine Entwicklung hin zu Jagdfieber und Besessenheit zugesteht. Und weil es keine Begegnungen gibt, keine Affekte und keine Dialoge, nur zunehmend pathetisch deklamierte Meinungsäußerungen, Stellungsnahmen, hinein gesprochene protokollartige Berichte, Zusammenfassungen, symbolträchtige Merk-Sätze und für die politischen Implikationen durchaus wichtige Reflexionen wie die über die Bedeutung der Farbe weiß, fehlen die fürs Theater und die Spielfiguren so wichtigen szenisch erspielten Situationen.

    Mit weit reichenden Folgen. Denn nicht nur bleiben alle Figuren außer dem stigmatisierten Kapitän farblos, austauschbar. Es geht auch jede, ja die Größe des Romans ausmachende Ambivalenz verloren. Ahab ist ebenso wenig einfach die Inkarnation des Bösen wie der Wal, den er auf seinem Rachefeldzug vernichten will. Ist er das Monster, ein Wahnsinniger, Besesse-ner, der durch seine Jagd alle in Monster verwandelt. Oder sind nicht - auch - die Mittelmäßigen die Bösen, die nur Effizienz kennen und Fangquoten und platte Vernünftelei und bedenkenlose Gefolgschaft - bis es zu spät ist?

    Jede Verhaltensweise im Roman ist mehrdeutig. Im Stück ist das auf eine bisweilen zwar ästhetisch durchaus wirkungsvolle, mehrfältige chorische Stimmen-Collage herabgestimmt, die aber diffus bleibt und gerade jene Spannung verweigert, die sich aus unauflösbaren Widersprüchen ergibt.
    Eine große Theater-Reise in das "Herz der Erde, das in Gezeiten pocht" - war das voll-mundig angekündigte Ziel. Geworden ist daraus, trotz gewaltiger Kraftanstrengungen, eine Karussellfahrt durchs Reich des Stimmungs-Designs, der Klangmischungen, Projektionen und der Lichtregie.
    Effekte statt Affekte - das ist bei diesem Werk der extremen Affektlagen schon fast wieder ein Kunststück.