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Models in Folter-Pose

Heroin-Schick und Magersucht, die Modefotografie spielt seit jeher gern mit dem vermeintlichen Tabus der jeweiligen Gegenwart. Und all zu oft überschreitet sie dabei nicht nur die Grenzen des guten Geschmacks. Aktuelles Beispiel: Der Fotograf Steven Meisel hat die originale Abu Ghraib Szenerie mit Kreationen von Yves Saint Laurent und Louis Vuitton ins Bild gesetzt.

Von Burkhard Müller-Ullrich |
    Lynndie England hatte einfach nicht das Zeug, von Steven Meisel fotografiert zu werden. Denn Steven Meisel ist einer der angesagtesten Modefotografen unserer Zeit; berühmt wurde er Anfang der neunziger Jahre mit Madonnas Skandalbuch "Sex", dessen hochgestylte Sado-Maso-Szenen sich dank behördlicher Verbote und pawlowscher Proteste in vielen Ländern anderthalb Millionen Mal verkauften. Aber verglichen mit Madonna sieht Lynndie England leider ziemlich häßlich aus. Deswegen wurde sie auch nicht von Steven Meisel geknipst, sondern von ihrem Regimentskameraden Charles Graner, als sie im Bagdader Gefängnis Abu Ghureib bei jenen Sado-Spielen mitmachte, die nicht nur ihre persönliche Zukunft, sondern auch die Reputation der Vereinigten Staaten so schwer beschädigen sollten.

    Dass Lynndie nicht wenigstens ein bisschen aussieht wie Madonna, haben ihr viele mehr verübelt als die Folteraktionen als solche. Etwas spürbar Ungesundes lag von Anfang an in dem gigantischen Medieninteresse an der damals 22-jährigen Protagonistin des Skandals, dessen sexuelle Komponente förmlich aus den Bildern sprang. Madonnas Buch hätte sicher nicht solchen Erfolg gehabt, wenn Gewaltphantasien in Verbindung mit jungen Mädchen nicht so eigentümlich reizvoll wären. Sie sollten aber gut geschminkt sein und schicke Klamotten tragen.

    Hier nun kann Steven Meisel aushelfen. Weil die originale Abu-Ghureib-Szenerie hinter den Geilheitserwartungen eines großen Publikums so dramatisch zurückblieb, hat er für die italienische Ausgabe der Modezeitschrift "Vogue" das Fehlende nachinszeniert. Diesmal ist alles perfekt: Models mit einem Teint von astraler Makellosigkeit posieren im Minikleid vor lederbehandschuhten Wärtern mit Schlagstöcken und scharfen Hunden. Eine erotisierende Ästhetik der Brutalität durchzieht die den Erzeugnissen von Yves Saint Laurent und Louis Vuitton geweihte Bildstrecke.

    Das Schöne ist, dass gar niemand versucht, diese Gewaltpornographie mit aufklärerischen Ambitionen zu verbrämen, wie das sonst bei derartigen Entgleisungen der Fall ist. Wenn ein übergeschnappter Künstler Gas in eine Synagoge leitet oder ein übergeschnappter Modemacher KZ-Häftlingskleider entwirft, dann folgt ja in der Regel die treuherzige Erklärung, dies diene der Kritik an oder der Warnung vor irgendwelchen Mißständen. Nein, bei Steven Meisel ist alles genau das, was es ist: die Vermarktung von ikonographischem Giftmüll auf der Konsummeile des Begehrens.