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Moderne am Bodensee

1937 saß Walter Kaesbach schon seit vier Jahren auf der Halbinsel Höri im Bodensee. Seinen Posten als Direktor der Kunstakademie Düsseldorf hatte der Kunsthistoriker und Sammler unter dem Druck der Nazis aufgeben müssen, am Bodensee traf er auf zahlreiche verbotene Künstler, Kaesbach konnte hier weiter als Förderer der Moderne und als Sammler wirken. Soviel war bekannt, aber über Kaesbachs Leben dort wusste man wenig. Das ändert sich jetzt, mit der Ausstellung "Moderne am Bodensee". Sie ist auf zwei Orte verteilt, Singen und Konstanz.

Von Patrick van Odijk |
    "Er hat die Bilder gebraucht wie man etwas isst, oder trinkt oder lebt, er hat mit ihnen gelebt und so fühlte er sich eigentlich nur wohl wenn er mit den Bildern zusammen war wie seine Kinder. "

    Es sind Bilder wie beispielsweise die großformatigen Aktstudien von Christian Rohlfs. Mit dicken Kohle - und Pinselstrichen, ausgeführt in kräftigen Farben, strahlen sie eine lebendige Körperlichkeit aus. Erich Heckel portraitierte ausdrucksstark seinen Malerkollegen Heinrich Nauen. Karl Schmidt-Rotluffs "Winterlandschaft" mit zerfledderten Tannen wirkt ebenso verspielt wie Curt Georg Beckers fleckige "Landschaft am Untersee". Rose-Marie Stuckert erkennt etliche Bilder der Ausstellung sofort wieder:

    "Das ist ein typischer August Macke mit Segelbooten und Spaziergänger die über denn See gucken und in der Mitte ist ein Baum. Otto Müller - ein Mädchenakt - gezeichnet und dann koloriert - mit Kreide. Das kenn ich auch . "

    Die 120 Bilder der Doppelausstellung sind alle von großer Qualität, aber wenig überraschend. Man hat das Gefühl, sie alle schon mal gesehen zu haben. So erkennbar sind selbst unbekanntere Werke deutscher Expressionisten. Und gleichzeitig beeindruckend. Fast unabhängig davon wie und wo sie präsentiert werden: Ob großzügig gehängt wie im hellen, modernen Kunstmuseum Singen oder im Kabinettstil der historischen Wessenberg-Galerie in Konstanz.

    Diese Bilder wirken und sie erzählen fast immer eine Geschichte. In dieser Ausstellung eine ganz besondere, bisher wenig bekannte. Es ist das Leben Walter Kaesbachs nach seiner Absetzung durch die Nationalsozialisten vom Direktorenposten der Kunstakademie Düsseldorf im Jahr 1933. Er zog damals auf die Bodensee-Halbinsel Höri, wo sich mit Erick Heckel, Helmut Macke und Curt Georg Becker schon einige von den Nazis verfolgte Künstler in innerer Emmigration niedergelassen hatten. Walter Kaesbach konnte nicht stillhalten. Er hatte zwar kein Amt und keinen Einfluss mehr, aber viele Kontakte zu Sammlern und Kunstfreunden in ganz Deutschland. So engagierte er sich auf seine Weise weiter für die moderne Kunst. Dabei passte sich der großstädtische Schöngeist dem Leben auf dem Land und der Not des Krieges an, erzählt Barbara Stark, Leiterin der Wessenberg-Galerie in Konstanz:

    "Vormittags in seinem Garten arbeitend, er hatte einen sehr großen Garten, hat alles selbst angebaut, Tabak, Kaesbach war Kettenraucher, und nachmittags bei eleganter Kleidung, Kaffee und Kuchen besuch empfangend."

    Und das war kein gemütlicher Kaffeklatsch auf Kaesbachs Terrasse. Hier diskutierten Maler, Bildhauer Sammler und Museumsleute heftig über Kunst und Politik. Kaesbach vermittelte Wohnungen und sorgte für Kunstverkäufe gegen Lebensmittel. Dadurch rettete er einige Künstler aus großer Not und ihre Bilder vor der Zerstörung durch die Nationalsozialisten. Kaesbach wurde damit auch zum Wegbereiter moderner Kunst am Bodensee. Denn mit Hilfe seines funktionierenden Netzwerkes kann Kaesbach schon 1945 die wegweisende Ausstellung "Deutsche Kunst in unserer Zeit" in Überlingen organisieren: Die Exponate stammten vorwiegend aus Privatbesitz.

    "Und da wusste Kaesbach wo er graben musste er wusste wer welches Werk hat, die Museen hatten das nicht mehr, was als Entartete galt 1937 war von den Nazis beschlagnahmt worden."

    Nach dem Krieg ist Walter Kaesbach weiter ein gefragter Experte für die Moderne in der Zeit vor dem Nationalsozialismus, und er besitzt selbst wieder eine große, vorwiegend expressionistische Sammlung. Mit der aufkommenden abstrakten Kunst aber kann sich der Kunsthistoriker nicht anfreunden. Als er 1961 stirbt, vermacht er seinen ganzen Besitz der langjährigen Lebensgefährtin Paula Hess, die damit nach Konstanz umzieht. Nach deren Tod, 30 Jahre später, erinnert sich niemand mehr an Kaesbach und seine Sammlung, die damit beinahe buchstäblich im Müll gelandet wäre. Zufällig erfährt der Konstanzer Auktionator Carlo Karrenbauer von der Haushaltsauflösung:

    "Der Nachlassverwalter meinte da ist nicht besonderes nur lauter Kruscht. Und dann ist der Auktionator mit hin und fiel aus allen Wolken als er sah, was da alles an wunderbaren Werken an der Wand hing und Skulpturen herumstanden."

    Im Papierkorb findet der Auktionator kleine, geschnitzte Holzhäuschen von Lyonel Feininger. Heute stehen sie im Museum of Modern Art in New York. Denn seit einer spektakulären Auktion im Jahr 1992 ist die Sammlung Kaesbach weltweit verstreut. Teile davon sind jetzt an den Bodensee zurückgekehrt.