Man kann sie die "Pulp Fictions" des Morgenlandes nennen, die "Geschichten aus Tausend und einer Nacht". Schundliteratur aus Groschenheftchen, große Gefühle und noch mehr Gewalt. Happy End und heile Welt, zeitweise zumindest. Oder man nennt sie "Das orientalische Testament", allgemeingültige Geschichten, Gleichnisse, Legenden, biblisch gleichsam. Für Tim Supple, den britischen Regisseur der jetzt in Edinburgh vorgestellten Sechs-Stunden-Produktion scheinen sie beides zu sein. Eines zumindest überhaupt nicht: Kindermärchen, wie sie in Nachmittagsvorstellungen an deutschen Theatern gespielt werden. Aladin, Sindbad, Ali Baba, vergessen Sie es. In der Adaption des libanesischen Autors Hanan al-Shaykh
Tim Supple bindet seinen männlichen Schauspielern Mega-Penisse um die Hüften, lässt sie wild über die verschleierten Frauen herfallen und dann den Säbel ziehen. Oder er zeigt derart exstatisch ineinander verschlungene Leiber, dass etliche Plätze im Publikum nach der ersten Pause leer bleiben. Doch genau darum geht es bei dieser Europapremiere: All die Beschönigungen, Verschleierungen und verschämten Kürzungen seit der ersten französischen Fassung 1704 des Orientalisten Antoine Galland durch die ursprünglichen bis ins indisch-persische Original zurückgehenden Geschichten zu ersetzen.
So beginnt der Nachmittag ganz unspektakulär mit einer leeren Bühne. Bereits die erste Geschichte der zwei auftretenden Männer ist unbekannt. Dass die Wesirtochter Shahrazad irgendwann wie von Sinnen um ihr Leben erzählt, beginnt mit diesen Männern. Zwei Brüdern. Der eine brachte seine Frau um, weil sie ihn betrogen hat, worauf der andere Bruder seine eigene Frau auf die Probe stellt und prompt ebenfalls aus Eifersucht tötet. In einem runden vom Bühnenhimmel herabgelassenen Schleier vergewaltigt und tötet er daraufhin alle Jungfrauen des Landes. Mehr aus Verzweiflung als aus Rache. 19 Schauspieler und Schauspielerinnen hat Tim Supple aus dem gesamten arabischen Raum gecastet. Hat sie erzählen lassen, welche Rolle für sie Alf Layla wa-Layla, zu deutsch Tausend und eine Nacht, spielt. Probte mit ihnen in Ägypten und Marokko während der Aufstände und Umwälzungen in diesem Frühjahr. Plötzlich erhielten die alten Geschichten für das Produktionsteam eine neue Dimension. Vielleicht liegt es daran, dass genau deshalb ein unverschämtes körperliches Selbstbewusstsein die gesamte Produktion kennzeichnet. Nie könnte diese Inszenierung im arabischen Raum gezeigt werden, noch nicht. Für das Publikum in Edinburgh aber wird sie zu einem Fenster in eine Welt im Umbruch. Eine biblische Dimension. Gesprochen abwechseln in arabisch, französisch, englisch. Arabisch die Dialoge, französisch die Rahmenhandlung, englisch die Erklärungen. Sechzehn Geschichten wurden für diese Mammutproduktion ausgewählt, bekannte wie der Dschinn aus der Flasche, der verzauberte Esel und die Geschichte von den drei Äpfeln, eher unbekannte wie die fünf Fast-Liebhaber und der geschwätzige Barbier.
Man möchte sich Zeit nehmen nach dem Ende einer Geschichte, ihr hinterher hören, Parallelen hinterfragen zu Shakespeare, zu russischen, deutschen und türkischen Volksmärchen, doch die Geschichten gehen weiter und weiter, ohne Ende, ohne Pause, eine, nein, die never endig story des menschlichen Daseins: Brutal. Verlogen. Aber auch sehnsüchtig. Traurig. Lustig. Dabei lässt es Regisseur Supple nicht fehlen an opulenten, orientalischen Gewändern, Stoffen, Plüschkissen und bunten Teppichen und leiser Livemusik, Pulp Fiction eben.
Wenn es zu Beginn schwerfiel, in diese langsam beginnende Produktion einzusteigen, umso schwieriger wird es am Schluss nach sechs Stunden wieder auszusteigen. Jeder Satz, jede Erzählung evoziert eine neue Geschichte. Wer erzählt, der lebt, so ein Resümee des Abends. Auch wenn die holprigen Übertitelungen es nicht einfach machten, den Geschichten zu folgen.
Tim Supple bindet seinen männlichen Schauspielern Mega-Penisse um die Hüften, lässt sie wild über die verschleierten Frauen herfallen und dann den Säbel ziehen. Oder er zeigt derart exstatisch ineinander verschlungene Leiber, dass etliche Plätze im Publikum nach der ersten Pause leer bleiben. Doch genau darum geht es bei dieser Europapremiere: All die Beschönigungen, Verschleierungen und verschämten Kürzungen seit der ersten französischen Fassung 1704 des Orientalisten Antoine Galland durch die ursprünglichen bis ins indisch-persische Original zurückgehenden Geschichten zu ersetzen.
So beginnt der Nachmittag ganz unspektakulär mit einer leeren Bühne. Bereits die erste Geschichte der zwei auftretenden Männer ist unbekannt. Dass die Wesirtochter Shahrazad irgendwann wie von Sinnen um ihr Leben erzählt, beginnt mit diesen Männern. Zwei Brüdern. Der eine brachte seine Frau um, weil sie ihn betrogen hat, worauf der andere Bruder seine eigene Frau auf die Probe stellt und prompt ebenfalls aus Eifersucht tötet. In einem runden vom Bühnenhimmel herabgelassenen Schleier vergewaltigt und tötet er daraufhin alle Jungfrauen des Landes. Mehr aus Verzweiflung als aus Rache. 19 Schauspieler und Schauspielerinnen hat Tim Supple aus dem gesamten arabischen Raum gecastet. Hat sie erzählen lassen, welche Rolle für sie Alf Layla wa-Layla, zu deutsch Tausend und eine Nacht, spielt. Probte mit ihnen in Ägypten und Marokko während der Aufstände und Umwälzungen in diesem Frühjahr. Plötzlich erhielten die alten Geschichten für das Produktionsteam eine neue Dimension. Vielleicht liegt es daran, dass genau deshalb ein unverschämtes körperliches Selbstbewusstsein die gesamte Produktion kennzeichnet. Nie könnte diese Inszenierung im arabischen Raum gezeigt werden, noch nicht. Für das Publikum in Edinburgh aber wird sie zu einem Fenster in eine Welt im Umbruch. Eine biblische Dimension. Gesprochen abwechseln in arabisch, französisch, englisch. Arabisch die Dialoge, französisch die Rahmenhandlung, englisch die Erklärungen. Sechzehn Geschichten wurden für diese Mammutproduktion ausgewählt, bekannte wie der Dschinn aus der Flasche, der verzauberte Esel und die Geschichte von den drei Äpfeln, eher unbekannte wie die fünf Fast-Liebhaber und der geschwätzige Barbier.
Man möchte sich Zeit nehmen nach dem Ende einer Geschichte, ihr hinterher hören, Parallelen hinterfragen zu Shakespeare, zu russischen, deutschen und türkischen Volksmärchen, doch die Geschichten gehen weiter und weiter, ohne Ende, ohne Pause, eine, nein, die never endig story des menschlichen Daseins: Brutal. Verlogen. Aber auch sehnsüchtig. Traurig. Lustig. Dabei lässt es Regisseur Supple nicht fehlen an opulenten, orientalischen Gewändern, Stoffen, Plüschkissen und bunten Teppichen und leiser Livemusik, Pulp Fiction eben.
Wenn es zu Beginn schwerfiel, in diese langsam beginnende Produktion einzusteigen, umso schwieriger wird es am Schluss nach sechs Stunden wieder auszusteigen. Jeder Satz, jede Erzählung evoziert eine neue Geschichte. Wer erzählt, der lebt, so ein Resümee des Abends. Auch wenn die holprigen Übertitelungen es nicht einfach machten, den Geschichten zu folgen.