Archiv


Molekül des Jahres 2002

Biochemie. - Das neue Jahr steht vor der Tür und damit beginnt auch die Zeit der Jahresrückblicke. Nachrichtenmagazine wählen ihre Männer und Frauen des Jahres, doch das Wissenschaftsmagazin hingegen stellen die wichtigste Forschungsergebnisse vor. Das Magazin Science kürte in seiner heutigen Ausgabe Moleküle zum Forschungsdurchbruch des Jahres. Sieger wurden die kleinen Ribonukleinsäuremoleküle, kurz RNAs.

    Von Volkart Wildermuth

    Die preisgekrönten RNA-Molelüle sind winzig und formen, anders als normale RNA, einen Doppelstrang. Was diese Schleifen können, zeigten Experimente an einem Fadenwurm.

    Der Wurm, das war wirklich die Schlüsselentdeckung. Und zwar hat man da die Beobachtung gemacht, das wenn man Doppelstrang-RNA in den Wurm injiziert, oder sie ihm füttert oder den Wurm nur in Doppelstrang-RNA-Lösung badet, dass Gene in dem Wurm abgeschaltet werden, die exakt die gleiche Sequenz haben wie die Doppelstrang-RNA, die man dem Wurm appliziert hat.

    Dr. Tom Tuschel, bis vor kurzem noch am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen beschäftigt und jetzt auf dem Weg in die USA, war fasziniert. Normalerweise dienen die Mikro-RNAs den Pflanzen als Virenpolizei. Beim Fadenwurm steuern sie bestimmte Entwicklungsgene. Nur bei Säugetieren funktionieren sie nicht. Tom Tuschel hat vergangenes Jahr gezeigt warum. Die Mikro-RNAs sind noch zu lang. Kürzt man sie auf nur 23 Bausteine ein, dann können sie auch bei der Maus Gene abschalten. Seit seiner Entdeckung sorgen die frisch getauften Interferenz-RNAs für Furore. Das bemerken auch altgediente RNA-Forscher wie Professor Volker Erdmann, von der FU Berlin. Sein Netzwerk RNA-Technologien betreibt eine Datenbank, in der all die kurzen RNAs aufgeführt werden, über deren Funktion nichts bekannt war:

    Wir merkten gerade in den letzten Jahren, dass immer mehr Leute einen Zugriff auf diese Datenbank nahmen, um Informationen herauszuziehen. Unter anderem stellte sich auch heraus, dass wir in dieser Datenbank auch diese Interferenz-RNAs drin hatten und dass diese auch von den Kollegen beobachtet wurden: In welchen Organismen gibt es denn diese oder ähnliche Moleküle.

    Es gibt unzählige kurze RNAS, die vermutlich an der Regulation der Gene beteiligt sind. Das legt auch der Vergleich des Erbgutes von Mensch und Maus nahe. Da ähneln sich nämlich nicht nur, wie zu erwarten, die Gene, sondern auch viele Abschnitte, die man lange als genetischen Müll betrachtete. Sie könnten, sozusagen als Perlen im Abfall, die kurzen Regulator RNAs enthalten. Damit eröffnen sich ganz neue Perspektiven für die Grundlagenforscher, es gibt aber auch schon praktische Anwendungen. Mit Hilfe der Interferenz-RNAs lassen sich in Säugetieren Gene gezielt abschalten. Das zeigten Experimente mit einer gentechnisch veränderten Maus, die in allen Zellen das so genannte gree fluorecent protein enthält. Das Tier leuchtet unter UV-Licht grün auf. Erdmann erzählt:

    Unsere Interferenzforscher haben gegen dieses green fluorescent Protein eine Interferenz-RNA konstruiert und die in die Maus in den Schwanz eingespritzt als nacktes RNA Molekül ohne große Vorsichtsmaßnahmen, und siehe da: Es wurde festgestellt, dass diese Interferenz-RNAs in alle Zellen gehen außer in Gehirnzellen, und nicht nur das, die Interferenz-RNA beinhaltet, dass dieses green fluorescent protein nicht mehr synthetisiert wird also werden diese Lichter in diesen Zellen ausgeschaltet.

    Für mehrere Tage erblasst die Maus, bis die Wirkung der RNA nachlässt. Was sich wie Spielerei anhört hat einen ernsten Hintergrund meint Tom Tuschel:

    Da sind natürlich ganz große Perspektiven, das Ganze als Wirkstoff verwenden. Man könnte sich vorstellen, dass man, wenn man die Mutation in einem Tumor-Gen kennt, ganz spezifisch eine RNA synthetisiert, und dann kann man ein Tumor-Gen von dem nicht mutierten Gen unterscheiden. Man könnte nur das Tumor-Gen eliminieren, und das wäre natürlich etwas ganz Phantastisches für die Krebstherapie.

    Noch ist das Zukunftsmusik, es wird noch Jahre dauern, bis feststeht, ob sich aus der attraktiven Idee tatsächlich eine Therapie entwickeln lässt. In Berlin arbeitet Volker Erdmann an der Behandlung chronischer Schmerzzustände. Dabei zeigte sich die Interferenz-RNA in einem Tiermodell mehreren anderen Ansätzen überlegen. Vielversprechende Daten, die dazu beitragen, dass weltweit mit Hochdruck an den Regulator-RNAs gearbeitet wird. Erdmann:

    Das ist praktisch wie ein Goldrush, muss man schon sagen, ein Run auf diese Moleküle, darauf, diese einzusetzen in den Zellkulturen, im Reagenzglas, im Tiersystem, um genau zu erforschen, wie sie funktionieren, um sie dann auch medizinisch einsetzen zu können.