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Montezumas wirkliche Rache

Medizin. - Bevor es Antibiotika gab, war die Syphilis eine gefürchtete Krankheit, die Haut, aber auch innere Organe und das Nervensystem befällt. In Europa tauchte die Syphilis vor etwa 500 Jahren auf - wie aus dem Nichts. Bei der Rekonstruktion ihres Ursprungs kamen US-Mediziner zu dem Schluss: die Syphilis stammt aus der Neuen Welt.

Von Martin Winkelheide |
    Neapel, 1495. Der französische König Karl der Achte belagert mit seinem Heer die Stadt. Plötzlich machen in Neapel Gerüchte die Runde: Eine neue, unbekannte Krankheit sei aufgetaucht. Schnell bekommt sie ihren Namen: Franzosenkrankheit. Innerhalb von fünf Jahren überzieht eine Epidemie ganz Europa. Dass diese für Europa neue, tödliche Infektionskrankheit, die Syphilis, nicht in Frankreich ihren Ursprung hatte, das ist das einzige, was Wissenschaftler mit großer Sicherheit sagen können. Aber seit Jahrzehnten streiten sie darüber, woher die Krankheit wirklich kommt. Kristin Harper von der Emroy University in Atlanta hat jetzt versucht, diesen Streit zu schlichten – die Genetik sollte ihr dabei helfen.

    "Wir haben uns die Erbinformation verschiedener Krankheitserreger angesehen, die Syphilis verursachen, aber auch verwandte Krankheiten. Denn es gibt eine wissenschaftliche Kontroverse. Mit Hilfe der Gen-Analyse wollten wir herausfinden, wann und wo die Syphilis wirklich entstanden ist."

    Kristin Harper und ihre Kollegen wollten möglichst viele verschiedene Stämme des Bakteriums Treponema pallidum untersuchen – und wenn möglich von allen Kontinenten. Sie wollte wissen: an welchen Stellen im Erbgut gibt es Übereinstimmungen und wo gibt es typische Varianten oder Veränderungen.

    "Wir haben uns die genetischen Veränderungen angesehen und konnten so eine Art Familienstammbaum dieser Bakterien konstruieren. Und man sieht ganz deutlich: Der Vorfahre des Syphilis-Erregers muss aus Südamerika gekommen sein. Das geschah vor relativ kurzer Zeit – bezogen auf die Menschheitsgeschichte. All das stützt die Kolumbus-Theorie."

    Die Kolumbus-Theorie besagt:

    Der Erreger der Syphilis – oder ein Vorläufer des Erregers - stammt ursprünglich aus Mittelamerika. Als die ersten Europäer gemeinsam mit Christoph Kolumbus die "Neue Welt" betraten, steckten sie sich bei den Einheimischen mit den Bakterien an. 1493 kehrten Kolumbus und seine Matrosen nach Europa zurück und schleppten die Krankheitserreger ein.

    Der Bakterienstammbaum, den Kristin Harper erstellt hat, legt nahe, dass der Erreger der Syphilis und der Erreger der Krankheit Yaws gemeinsame Vorfahren hatten. Einwände gegen diesen Befund haben Forscherkollegen – wie Connie Mulligan von der Universität von Florida. Ihr Haupt-Argument:

    "Aus dem Vergleich von nur 26 Bakterienstämmen lässt sich kein aussagekräftiger Familienstammbaum des Bakteriums Treponema pallidum konstruieren. Zudem seien zu wenige Regionen im Bakterien-Erbgut analysiert worden. Im Erbgut von Bakterien – auch gleicher Stämme – gebe es natürliche Varianten. Die Datenbasis sei zu klein, um weitreichende Schlussfolgerungen zu ziehen."

    Kurzum: die Kolumbus-Theorie ist nach Ansicht von Mulligan längst noch nicht bewiesen. Zumal andere Forscher in Knochenfunden längst Hinweise entdeckt haben, dass die Syphilis schon lange vor dem 15. Jahrhundert Europa heimgesucht haben könnte. Der Rat von Connie Mulligan an Kristin Harper: weiter machen, weitere Bakterien-Proben suchen und analysieren. Dann könnte das eigentliche Rätsel um die Syphilis gelöst werden.

    "In tropischen und subtropischen Regionen wird das Bakterium Treponema pallidum vor allem über Haut zu Haut-Kontakt von einem Menschen auf den Nächsten übertragen. Die Syphilis dagegen ist eine sexuell übertragbare Krankheit."

    Warum hat sich der Erreger verändert? Lag es an der besseren Hygiene in Europa, dem kälteren Klima? An welchen entscheidenden Stellen im Erbgut sind die Veränderungen zu finden? Die Kolumbus-Theorie hat Kristin Harper von der Emroy Universität Atlanta noch nicht beweisen können – aber sie hat die Grundlagen gelegt zu einem besseren Verständnis einer Seuche in der Frühzeit der Globalisierung.