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Mord an 14-Jähriger
Fremdscham, Betroffenheit und viele Fragezeichen

Der Fall der getöteten 14-jährigen Susanna ist auch im politischen Berlin thematisiert worden. Während die AfD für eine unangekündigte Schweigeminute im Bundestag Kritik erntete, wurden Forderungen nach Aufklärung und einer Neuordnung der Einwanderungspolitik laut.

Von Barbara Schmidt-Mattern | 08.06.2018
    Der AfD-Politiker Thomas Seitz steht mit geschlossenen Augen im Bundestag am Rednerpult und schweigt
    Vorwurf der politischen Instrumentalisierung: Der AfD-Politiker Thomas Seitz bei einer spontanen Gedenkmininute für die ermordete 14-jährige Susanna (dpa / Ralf Hirschberger)
    Die Routine im Deutschen Bundestag währt an diesem Morgen nur wenige Minuten. Gerade hat Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth die Plenarsitzung eröffnet, doch dann das: Der AfD-Abgeordnete Thomas Seitz wechselt unangekündigt das Thema.
    "Die vorgesehene Redezeit widmen wir dem Gedenken an die in Wiesbaden tot aufgefundene Susanna. Sie wurde 14 Jahre alt."
    Überraschtes Murmeln zunächst, damit haben die übrigen Fraktionen im Bundestag nicht gerechnet. Nach einer kurzen Weile fängt sich auch Claudia Roth.
    "Darf ich Sie hinweisen, dass wir gerade zur Geschäftsordnung reden."
    Doch der AfD-Abgeordnete verharrt am Rednerpult stehend schweigend im Gedenken. Die Bundestagsvizepräsidentin handelt nun:
    "Da Sie mir nicht antworten, ist damit ihr Beitrag beendet und ich fordere Sie auf, das Redepult zu verlassen."
    Vorwurf der Instrumentalisierung
    Die übrigen Fraktionen rügen das Verhalten der AfD scharf. Von Fremdscham ist die Rede, und SPD-Fraktionsgeschäftsführer Carsten Schneider beklagt eine politische Instrumentalisierung von Opfern, in diesem Fall der toten Susanna.
    "Sie sollten sich schämen."
    AfD-Vizefraktionschefin Beatrix von Storch reagiert darauf nicht, sie spricht gegenüber dem ARD Hörfunk von einem Verlust der staatlichen Kontrolle und reagiert auf die Ausreise des unter Vergewaltigungs-Verdacht stehenden Ali B. mit beißendem Spott.
    "Das einzige, was funktioniert, ist die Ausstellung von Papieren, damit solche Leute unbehelligt das Land wieder verlassen können."
    Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamts, warnt unterdessen vor Verallgemeinerungen. Der BKA-Chef weist jedoch darauf hin, dass der überwiegende Teil der Zuwanderer junge Männer sind, da sei es nicht verwunderlich, wenn die Kriminalität steige.
    Betroffenheit und Hilflosigkeit
    Im Bundestag schwankt die Stimmung unterdessen zwischen Betroffenheit und Entsetzen. Ähnlich äußern sich die Innenminister der Länder am Rande ihrer Konferenz in Quedlinburg. SPD-Innenexpertin Eva Högl spricht in Berlin für viele Abgeordnete, auch aus anderen Fraktionen:
    "Der Fall Susanna ist natürlich erschütternd. Und ich möchte auch sagen, dass unser Mitgefühl und Beileid zunächst den Angehörigen gilt, dass auch hier zum Ausdruck bringen."
    Bei der Grünen Bundestags-Abgeordneten Luise Amtsberg klingt auch Hilflosigkeit durch.
    "Das ist natürlich ein schrecklicher Vorfall. Unglaublich und unfassbar an Gewalt. Und wir müssen jetzt natürlich gucken, hätte man an irgendeiner Stelle etwas verhindern können."
    Seit langem wird diskutiert, ob straffällig gewordene Asylbewerber, deren Bescheid möglicherweise bereits abgelehnt wurde, das Land nicht schneller verlassen müssten, oder eben nicht - etwa wenn ihnen in der Heimat Folter droht. Die Sozialdemokratin Högel fordert zumindest eine verlässliche und schnellere Feststellung der Identität.
    "Der Dreh und Angelpunkt unserer Willkommenskultur und unseres Asylrechts ist, dass wir wissen, wer in unser Land kommt, und dass wir die Gelegenheit haben, dass auch sorgfältig zu prüfen."
    NRW-Integrationsminister fordert einen Migrationsgipfel
    Entscheidend aber auch die Frage, wer darf die Bundesrepublik verlassen, beziehungsweise, wieso konnten Ali B. und seine sieben Verwandten bereits letzte Woche ohne gültige Papiere vom Flughafen Düsseldorf in Richtung Irak abfliegen? NRW-Integrationsminister Joachim Stamp, FDP, fordert im ZDF Morgenmagazin Aufklärung.
    "Das wird man an der Stelle genau hinterfragen müssen, wo es dort schiefgegangen ist."
    Die viel diskutierten Anker-Zentren, mit denen CSU-Innenminister Horst Seehofer schnellere Asylverfahren an einem Ort durchsetzen möchte, seien im Kern eine gute Idee.
    Aber, sagt Stamp: "Ich glaube, dass wir insgesamt - eine Katastrophe."
    Der Integrationsminister aus NRW fordert deshalb schon lange einen Migrationsgipfel mit Bund, Ländern und Kommunen: Der sollte schnell tagen, sagt Stamp, nötig ist aus seiner Sicht eine Neuordnung der Einwanderungspolitik.