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Motor der amerikanischen Unabhängigkeit

Im 18. Jahrhundert gab es in den USA zahlreiche protestantische Gemeinden, die vor allem aus Einwanderern aus dem süddeutschen Raum bestanden. Erst dem Theologen Heinrich Mühlenberg aus Halle gelang es, diese in der Lutherischen Kirche zu vereinigen, weiß der Amerika-Historiker Hermann Wellenreuther.

Hermann Wellenreuther im Gespräch mit Christoph Schmitz |
    Christoph Schmitz: Von Halle aus schickte man den jungen Theologen Heinrich Melchior Mühlenberg nach Nordamerika. Die aus dem Geist des Pietismus hervorgegangenen Franckischen Stiftungen brauchten jemanden, der im Nordosten die vielen deutschen lutherischen Gemeinden unterstützte. Mühlenberg war 30 Jahre alt, als es 1741 losging.

    Zum 300. Geburtstag des Begründers der Lutherischen Kirche in Nordamerika haben die Franckischen Stiftungen zu Halle ein internationales Symposium veranstaltet. "Pietisten und Lutheraner in der vorrevolutionären und revolutionären atlantischen Welt" hieß die mehrtägige Veranstaltung. Sie sollte neben der theologischen auch die gesellschaftlichen Auswirkungen Mühlenbergs beleuchten. Am Wochenende ist die Tagung zu Ende gegangen. Hermann Wellenreuther, Amerika-Historiker der Universität Göttingen, hat das Symposium organisiert. Welche Ideen hatte Heinrich Melchior Mühlenberg im Kopf, als er nach Übersee einschiffte, habe ich gefragt.

    Hermann Wellenreuther: Na ja, erst mal die ganz normalen Ideen. Er war Pfarrer der Lutherischen Kirche, seine erste Pfarrstation war in Großhennersdorf im Sächsischen. Er war ausgebildet worden in Göttingen, die Göttinger Universität war ja gerade gegründet worden. Er war mit dem Pietismus vertraut, er war in Halle ein Jahr gewesen und hatte dort auch Grundgedankengut des Pietismus mit aufgesaugt. Er war auch mit dem Separatismus vertraut und einer der Gründe, weshalb er wohl von Francke nach Amerika geschickt worden ist, war, weil er die Herrnhuter Brüder-Unität kannte. Großhennersdorf liegt ja nur sechs Kilometer von Herrnhut entfernt, dem Hauptort der Brüder-Gemeinde. Beide, also die Herrnhuter Brüder-Gemeinde und der Hallensische Pietismus, waren tief verfeindet. Zinzendorf ist 1741 nach Amerika gegangen und die Befürchtung von Halle bestand darin, dass Zinzendorf, dass die Herrnhuter die Lutherische Kirche, die lutherischen Gemeinden in Nordamerika schlichtweg aufsaugen würden, und es war Mühlenbergs Aufgabe, mit wichtige Aufgabe, das zu verhindern.

    Schmitz: Auf dem Symposium ging es nun nicht darum, die Wirkungen des Theologen Mühlenberg und des Pastors in dieser Hinsicht zu diskutieren, sondern auch, ihn als prominenten Vertreter der deutschen Siedler in Nordamerika zu begreifen. Welche zentralen Fassetten dieses allgemeinen Wirkens wurden auf dem Symposium deutlich?

    Wellenreuther: Erst einmal war Mühlenberg natürlich ein absoluter Nobody, als er nach Amerika kam. Er wird dann einfach auch gesellschaftlich akzeptabler und wichtiger durch seine Heirat mit der Tochter des prominentesten deutschen Siedlers in Pennsylvania, Conrad Weiser. Dann war es im weiteren seine Aufgabe, die lutherischen Kirchen in Nordamerika überhaupt erst einmal zu organisieren. Es gab 95 lutherische Gemeinden in Nordamerika und es gab zu dem Zeitpunkt bestenfalls sechs lutherische Pfarrer. Und dazu kommt noch: Diese 95 Gemeinden sind nicht vornehmlich lutherische Gemeinden aus Norddeutschland, sondern die große Mehrheit der Lutheraner sind aus Württemberg, aus dem badischen Raum und aus dem südhessischen Raum. Und dieses zu vereinigen, ist natürlich ein großes Problem gewesen.

    Schmitz: Er gilt ja als der Patriarch der Lutherischen Kirche in Nordamerika. Ich würde gerne etwas erfahren über seine Bedeutung für die Entwicklung der Gesellschaft Nordamerikas, über die Organisation der Kirchen, der Kirche hinaus.

    Wellenreuther: Er hat insofern Einfluss auf die Gesellschaft, als er in der Tat die protestantische Kirche, die Lutherische Kirche in ein festes Gefüge eingebracht hat und in diesem Zusammenhang eben auch durch den Vereinigungsprozess diese lutherischen Siedler politisch auch mündig gemacht hat. Die Lutheraner spielen ab den 1760er-Jahren in Pennsylvania auch politisch eine durchaus bedeutende Rolle. Das ist der erste Punkt.
    Der zweite Punkt ist: Zwei seiner drei Söhne spielen ja während der amerikanischen Revolution sehr wichtige und prominente Rollen. Der eine wird einer der wichtigeren Generäle und der andere wird einer der wichtigen und in Pennsylvania einflussreichsten Politiker.

    Schmitz: Was machen denn die Lutheraner dann in der kommenden amerikanischen Revolution?

    Wellenreuther: Sie machen im Wesentlichen drei Dinge. Erstens: Viele Lutheraner ziehen sich zuerst mal in die innere Emigration zurück, denn die amerikanische Revolution heißt ja, dass man die Obrigkeit austauscht, dass man den Eid, den man der alten Obrigkeit geleistet hat, brechen muss und zur neuen Obrigkeit übergeht. Das bereitet vielen Amerikanern Schwierigkeiten. Andere wie zum Beispiel der eine Sohn von Mühlenberg, die sagen, der englische König hat seine Legitimation verwirkt, wir müssen für unsere Rechte kämpfen. Und es gibt eine dritte Seite, das sind Leute, die stehen dazwischen, die können sich einfach lange nicht entscheiden. Mühlenberg selbst ist wohl auch ambivalent und entscheidet sich erst wirklich, dann auch öffentlich Position zu beziehen, etwa 1779, das heißt also drei Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung.

    Schmitz: Hermann Wellenreuther über ein Symposium der Franckischen Stiftungen in halle an der Saale über den Lutheraner Heinrich Melchior Mühlenberg in Nordamerika.


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