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Mozarts letzte Sinfonien
Gehobenes Maß an Durchschnitt

Jordi Savall, Experte für Alte Musik und historische Aufführungspraxis, hat mit seinem Ensemble "Le Concert des Nations" Mozarts letzte drei Sinfonien aufgenommen: Trotz hoher Ansprüche ist das Klangergebnis oft verschwommen, die Dramaturgie ohne Spannung.

Von Christoph Vratz | 07.08.2019
    Jordi Savall dirigiert mit seinen Händen, blickt aufmerksam nach rechts.
    Jordi Savall (Eduardo Gomez)
    Prall, bunt, unverblümt geht es in Mozarts Sinfonien zu, und niemand wird dem Dirigenten Jordi Savall vorwerfen können, dass er Mozarts Kunst der Gegensätze, seine Spannungsverläufe nicht ernst nehmen würde. Mit drei knurrigen Schlägen, gefolgt von zaghaften Echos, dazu die Pauke – mit Kontrasten à la Beethoven eröffnet Mozart seine letzte Sinfonie.
    Musik: W.A. Mozart, Sinfonie Nr. 41, 1. Satz
    Jordi Savall, der als Gambist, Ensemblegründer und unermüdlicher Repertoireforscher der Alten Musik zu musikalischem Weltruhm gelangt ist, wagt sich gelegentlich bis in die Sphären der Wiener Klassik vor. Nach Aufnahmen mit Serenaden und dem Requiem widmet er sich nun erneut Mozart, gemeinsam mit seinem Ensemble "Concert des Nations". Dass Savall die drei Sinfonien als Zyklus begreift, soll die Tatsache unterstreichen, dass er die mittlere in g-Moll zweimal auf dieser Doppel-SACD platziert, einmal unmittelbar nach der Es-Dur auf CD 1 und dann nochmals vollständig am Beginn von CD 2, um den direkten Übergang zur letzten Sinfonie zu ermöglichen. Von dieser Anordnung unabhängig, fällt jedoch immer wieder das hallige Klangbild negativ ins Gewicht. Savall wollte in einem eher kleinen Saal die Atmosphäre der Aufführungsbedingungen zu Mozarts Zeit einfangen. Doch die Rechnung geht nicht auf: Details verschwimmen, die Balance zwischen Bläsern und Streichern bleibt oft unscharf.
    Musik: W.A. Mozart, Sinfonie Nr. 40, 4. Satz
    Auch musikalisch kann diese Aufnahme nur teilweise überzeugen. Man muss nicht erst bis zu Nikolaus Harnoncourts letzter Mozart-Produktion von 2013 zurückgehen, schon ein Blick in die Neuveröffentlichungen des letzten Jahres zeigt, dass es überzeugendere Einspielungen gibt, ob mit dem Ensemble Appassionato und Mathieu Herzog oder mit der NDR Radiophilharmonie und Andrew Manze (die allerdings nur die beiden letzten Sinfonien aufgenommen haben).
    Trotz dieser Kritik: Jordi Savall ist ein Musiker von höchsten Gnaden, und auch seine Mozart-Aufnahme lebt vom Geist des ehrlichen, aufrichten, kammermusikalischen und oft gesanglichen Musizierens, der besonders deutlich in den langsamen Sätzen zur Geltung kommt.
    Musik: W.A. Mozart, Sinfonie Nr. 40, 2. Satz
    Die Musik atmet, wechselt die Farben, gleitet in dynamisch fein austarierte Übergänge. Doch gerade in den schnellen Ecksätzen bleiben einige Akzente unscharf und die Tempi mehrfach in einer Grauzone des Vorsichtig-Moderaten stecken. Diese Sinfonien vertragen aber kein Mittelmaß, sie sind nicht als bessere Unterhaltungsmusik gedacht, sondern erinnern an Opern ohne Sänger. Mozart ist mal aufbrausend, mal nett, mal verschmitzt, mal euphorisch – dabei extrem vielseitig und unergründlich. Mozart liefert großes Theater, selbst wenn er "nur" für Orchester schreibt. Genau das fehlt dieser Aufnahme an mehreren Stellen, etwa im ersten Satz der Es-Dur-Sinfonie mit ihren ständigen Umschwüngen, kleinen Dialogen, Frage- und Antwort-Gesten und den dramatischen Verdichtungen. Das klingt hier seltsam pauschal und halbgar.
    Musik: W.A. Mozart, Sinfonie Nr. 39, 1. Satz
    Geist und Witz, Melancholie und Esprit, Exzentrik und Behaglichkeit – alles hat Mozart in seinen drei letzten Sinfonien zu bieten, doch das Concert des Nations und Jordi Savall dosieren das Risiko und kommen damit, trotz aller Aufrichtigkeit ihres Musizierens, nicht über ein gehobenes Maß an Durchschnitt hinaus – und werden obendrein von der Aufnahmetechnik im Stich gelassen …
    Mozart - Le Testament Symphonique
    Symphonien Nr. 39, 40 und 41
    Le Concert des Nations
    Ltg.: Jordi Savall
    Alia Vox