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Mühlen, sanfte Energiequellen des Mittelalters

Die Macht vieler Klöster in Süddeutschland beruhte auf der Beherrschung des Wassers. Sie nutzten nur in Mühlen, sondern konnten es dorthin leiten, wo es gebraucht wurde. Auch Überschwemmungen blieben weitgehend aus. Die Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart hat derartige Zusammenhänge in ihrer "Sommerakademie" in Weingarten vorgestellt.

Von Cajo Kutzbach | 25.08.2011
    "Zu einem Verwaltungssitz gehörte eben auch, dass man da auch kräftig etwas trinken kann gegen den Durst. Und aufgrund dieser Schankrechte konnte nun dieser Rössler Hof im 19. Jahrhundert ausgebaut werden zu einem, ja, Freizeitbetrieb, Schankwirtschaft, Erholungswirtschaft. Der Rössler Hof hat dann kleine Schiffe, sogenannte Gondeln hier herbringen lassen, sodass man auf dem Rösslerweiher dann auch in diesen Gondeln fahren konnte, bis in die Nacht hinein. So manche Schäferstündchen sind dann da auf dem Rösslerweiher entstanden. Und das hat dann wieder den Bürgermeister erbost, dass also sittenloses Treiben von Männer und Frauen auf dem Rössler Weiher in diesen Booten zu beobachten war."

    Dr. Lutz Dietrich Herbst, nebenberuflicher Wasserbauhistoriker, steht auf dem Damm des Rösslerweihers, einem der ältesten Stauseen Deutschlands. Dieser Damm wurde vermutlich in karolingischer Zeit aufgeschüttet. Der Weiher ist Teil der vor etwa 1000 Jahren von den Benediktinern des Klosters Weingarten begonnenen Wasserversorgung, die mit 10 Kanälen und 20 Weihern auf 25 Quadratkilometern das Kloster zuverlässig mit Wasser versorgt. Kernstück ist der "Stille Bach", der so heißt, weil er wegen seines geringen Gefälles still dahin fließt. Allerdings nicht im Tal, sondern am Hang entlang, sodass er Wasser zum Kloster bringt, das mit seiner berühmten Basilika auf einem Bergsporn oberhalb der Stadt Weingarten sitzt.
    Dieser Stille Bach, dessen Damm zugleich ein Weg ist, brach immer wieder mal aus, fand seinen Weg ins Tal und das Kloster saß dann auf dem Trockenen.

    "Und irgendwann hatte das Kloster die Nase gestrichen voll, hat gesagt: "Wir können uns das auf die Dauer nicht erlauben, dass hier immer wieder das Wasser durchbricht, dass der Martinsberg immer wieder trocken ist; wir müssen uns eine andere Lösung einfallen lassen!" Und diese Lösung war an dieser Stelle den Lindenberg durchbrechen zu lassen - da wurden 10.000 Kubikmeter Erdmaterial mit den einfachsten Gerätschaften heraus geschaffen. Das haben natürlich nicht die Mönche gemacht, sondern das waren die Leibeigenen Bauern aus der Umgebung, die hier dann arbeiten durften."

    Dieser Einschnitt, der vor über 400 Jahren gegraben wurde, ist so steil, dass er heute gar nicht genehmigt würde. Dass der Hang nicht in den Bach rutschte, lag wohl daran, dass die Benediktiner längs ihrer Kanäle Erlen und Weiden pflanzten, deren Wurzeln das Ufer befestigten und deren Schatten das Wasser kühl und frisch erhielt. Außerdem wachsen im Schatten keine Wasserpflanzen, die sonst von den so genannten "Bachgängern" entfernt werden müssten, um das Bachbett funktionstüchtig zu erhalten. Noch heute gehen monatlich Forstleute den Bach ab und beseitigen Äste, Laub, Pflanzen oder Müll.

    Die Benediktiner schufen diese aufwendigen Wasserbauten, denn Wasser war äußerst vielseitig nutzbar: Es begann beim Brauchwasser, diente als Löschwasser bei Feuer, und trieb als Energiequelle bis zu 30 Mühlen an.

    Die breite Wasserkraftnutzung durch Mühlen war der entscheidende technische Fortschritt des Mittelalters. Prof. Gerhard Fritz, der Geschichte und ihre Didaktik an der Pädagogischen Hochschule in Schwäbisch Gmünd lehrt.

    "Der gesamte bäuerliche Wirtschaftskreislauf floss ja im Endeffekt - was Getreide angeht - durch die Mühle durch, wie durch einen Flaschenhals am Schluss. Jeder Bauer musste dort hingehen. Das waren natürlich erstens Mal wirtschaftliche Zentren und zum Zweiten Kommunikationszentren, ohne jeden Zweifel."

    Ortsnamen wie Mühlhausen zeigen, dass sich um Mühlen herum Siedlungen bildeten. Müller waren für Klöster und Adel die wichtigste Steuerquelle. Dass die viel ältere Technik der Wasserkraftnutzung einen so großen Aufschwung nahm, lag auch daran, dass man um 1200 den Bauern verbot ihre eigenen Handmühlen weiter zur Mehlerzeugung zu benutzen.

    Es gab früher sehr viel mehr Mühlen, als man heute glauben mag. Gerhard Fritz regte vor Jahren an, eine Mühlenkarte für ganz Baden-Württemberg zu erstellen. Das erwies sich als undurchführbar und heute werden die Mühlen für jeden Landkreis extra erfasst, so viele waren es:

    "Also es gibt da nur grobe Schätzungen. Wie weit die stimmen, wird sich rausstellen. Man geht davon aus: Um 1860 soll es in Deutschland 60.000 bis 65 000 Mühlen gegeben haben. In Baden-Württemberg geht man von einer Größenordnung von etwa 9000 aus. Ich habe aber aufgrund meiner bisherigen Forschung den Eindruck, dass die Zahlen zu niedrig liegen."
    In Weingarten gab es acht Getreidemühlen, fünf Sägemühlen, drei Ölmühlen sowie Hammerschmiede, Knochen- und Gipsstampfe, Lohmühle und Hanfreibe. Später lieferte der Stille Bach 1800 Kilowattstunden elektrische Energie. Selbst die Abwässer von Kloster und Stadt wurden genutzt, um die Wiesen zu wässern und zu düngen. Und obendrein diente das Kanalsystem mit den Weihern nicht nur der Sicherheit der Wasserversorgung, sondern auch dem Schutz vor Hochwasser. Mühlen waren Universalantriebe für nahezu alle Zwecke. Die "Deutsche Gesellschaft für Mühlenkunde und Mühlenerhaltung" hat bisher 350 verschiedene Mühlentypen beschrieben.

    Wasser ist nicht nur die Lebensader von Landschaften, sondern auch der Wirtschaft. Um 1500 waren alle Wasserläufe genutzt und es gab an Maas und Niederrhein bereits Energiemangel, weil keine weiteren Mühlen betrieben werden konnten. Auch in Weingarten gab es Ärger, berichtet Lutz Dietrich Herbst im ehemaligen Kloster:

    "Die Verwaltung des umliegenden fremden Territoriums, nämlich die Landvogtei von Österreich sagt: 'Wir können es nicht länger dulden, dass hier das Kloster Mühle um Mühle anbietet. Das Kloster wird uns "energiepolitisch" im Grunde zu stark. Wir müssen das stoppen. Wir erlegen dem Kloster einen Mühlen-Baustopp auf.'"

    Mühlen wurden damals meist im Auftrag von Adel oder Kirche gebaut und an Müller verpachtet. Die Wasserrechte vergab der König, wie heute das Wasserwirtschaftsamt. In Isny könnte der ständige Streit mit dem Kloster, das die Wasserrechte besaß und das Wasser oft sperrte, dazu geführt haben, dass die Reichsstadt schon früh evangelisch wurde. Stadtführerin Ursula Dankesreiter:

    "Leider sind eben oft diese Sperrungen gewesen, sodass die Isnyer Vorstädter immer wieder zur Stadt gingen, sich beschwerten: Wir kriegen kein Wasser, es ist Hitze, wir können nicht schmieden, wir können nicht gerben - es waren ja sehr viele Gerber dran; früher hatte man ja über 20 Gerber hier. Dann hat die Stadt wieder beim Kloster interveniert und dann haben die gesagt: "Ja wisst Ihr den nicht, dass wir die Wasserrechte auf die Ach haben, also können wir machen, was wir wollen." Es gab in jedem Jahrhundert mindestens zwei Prozesse in dieser Beziehung."

    Bei Ravensburg dauerte ein Rechtsstreit um Wasserrechte 800 Jahre, ein trauriger Rekord. Die Klöster oder Adeligen saßen dabei in einer Zwickmühle: Nutzten sie Wasser als politisches Druckmittel, dann ging es den von ihnen Abhängigen schlechter, also konnten diese auch weniger Abgaben leisten. Also gewährte man gnädig dieses oder jenes Privileg, maß aber ganz genau, wie viel Wasser entnommen, und wie viel zurück in den Stadtbach geleitet wurde.

    "Es gab einen Badbesitzer, einen Bürger von Isny, der wiederum mit dem Abt verhandelte, er hätte gerne von der Ach hier ein bisschen Wasser, man sollte ein Rohr legen zu seinem Bad. Er hatte ein Badhaus. Und das wurde genehmigt. Gegen Abgaben durfte er das Wasser durch ein Rohr zum Badhaus leiten, musste aber die Abwasser wieder in die Ach leiten. Also das war immer so geregelt."

    Der mittelalterliche Bauboom wäre vermutlich ohne die Entwicklung der Sägemühle nicht möglich gewesen. "Eine Mühle leistet" - laut einem Spruch aus England - "so viel, wie 100 Männer". Diese Energie erlaubte neue Produktionsweisen, egal, ob es um Drahtziehen ging, die Gewinnung von Leinen aus Flachs, das Walken von gegerbten Häuten oder um Papiermühlen zum Zerkleinern von Lumpen; in jedem Fall trugen die neuen Verfahren zum Wohlstand und Wachstum der Klöster und Städte bei.

    Klöster waren damals Horte des Wissens, vergleichbar heutigen Universitäten. Es wundert wenig, dass sie beim Wasserbau eine führende Rolle spielten. Lutz Dietrich Herbst:

    "Auch in der Zeit als nun durch eine Veränderung des Klimas hin zu nässeren Sommern enorme Bodenerosionen stattgefunden haben; da haben sie sich schon Gedanken gemacht: 'Wie können wir den wertvollen Humus dort halten, wo wir ihn brauchen? Wie können wir verhindern, dass Flüsse derart ihren Lauf verändern, dass nachher von dem Land gar nichts mehr übrig bleibt?' Sodass hier im Jahr 1531 von einem gewissen Pater Wehrli eine Denkschrift verfasst wurde aus der hervor geht, welche Baumarten am Besten an Ufern gepflanzt werden, nämlich diejenigen deren Wurzelwerk am Besten ein Ufer stabilisieren kann, sodass es hier auch bei Hochwässern überhaupt nicht zu diesen verheerenden Flusslauf-Veränderungen mehr kommen konnte. Also auch da waren die Benediktiner in Oberschwaben wirklich die treibenden Kräfte einer nachhaltigen Landschaftsgestaltung."
    Der durch den Bauboom verursachte Raubbau am Wald wurde schon damals erkannt und man versuchte eine ökonomische und zugleich ökologische Wirtschaftsweise zu finden und zu fördern. Dazu trug auch bei, dass sich die Weiher, die man überall anlegte, um die Wasserversorgung zu stabilisieren, ausgezeichnet für Fischzucht eigneten. Der Rösslerweiher wird dafür heute noch genutzt, berichtet Lutz Dietrich Herbst auf dem Damm:

    "Das Kreisforstamt setzt jedes Jahr mehrere Tausend junge Karpfen in den Weiher ein, die dann sich selbst ernährend mästen - das ist eine recht extensive Form der Fischwirtschaft - und am zweiten Mittwoch im Oktober früh morgens um sieben beginnt dann hier an dieser Stelle diese große Karpfenernte.
    Unterhalb des Dammes werden verschiedene Gitter in den Abfluss hinein gesteckt, die dann den Fisch nach Größe sortieren. Die ganzen Fische bleiben dann in diesen verschiedenen Gittern hängen, werden dann sofort heraus geerntet und in verschiedene Becken hinein getan und dann vor Ort gewogen und dann vor Ort auch weiter verkauft."

    Teils an Gastronomen, aber auch an andere Fischzüchter. Der Rösslerweiher wirtschaftet heute noch profitabel. Die Fischzucht nahm ihren großen Aufschwung, als im Mittelalter die durch Seuchen dezimierte Bevölkerung Fische als jederzeit verfügbares Frischfleisch zu schätzen lernte. Ravensburg exportierte sogar Fische bis hinter Zürich.

    Wegen der Seuchen spielte auch die Hygiene eine große Rolle. Das Kloster Ochsenhausen verlegte im Deich des Krummbaches, der ähnlich, wie in Weingarten das Kloster mit Brauchwasser versorgt, eine Trinkwasserleitung, die heute noch genutzt wird:


    "Gut das ist jetzt eine Edelstahlleitung natürlich, das sind keine Holzrohre mehr, eine ne. Die ganze Stadt Ochsenhausen profitiert von diesem Quellhorizont und das untere Rottumtal im Verbund dazu. Das sind immer noch dieselben Quellen, die hier abgeschöpft werden, ohne dass nun der Krummbach selber leidet. Der hat das ganze Jahr über auch in trockenen Monaten, immer dieselbe Wasserführung."

    Versorgungssicherheit und eine getrennte Wasserversorgung für Trink- und Brauchwasser, das ist am Krummbach seit dem Ende des 15. Jahrhundert ein Standard von Wirtschaftlichkeit und Hygiene, der anderswo selbst heute selten erreicht wird.

    Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts nahm der Energiebedarf ständig zu. Selbst dem kleinsten Bach wurde noch Arbeit abgetrotzt. Das wurde erst durch die Dampfmaschine überflüssig. Und die alten Mühlen mit ihren Mühlsteinen wurden von neuerer Technik mit stählernen Walzen verdrängt. Gerhard Fritz:

    "Es kommen andere Technologien auf. Wenn wir also mal von Getreidemühlen ausgehen, diese hochmechanisierten Anlagen, die aus Amerika herüber kommen, verdrängen die kleinen deutschen Getreidemühlen, machen die kaputt, die sind nicht mehr konkurrenzfähig und diese amerikanischen Mühlen, die kennzeichnenderweise auch nicht von Müllern gegründet und gebaut werden, sondern von Bankiers oder von Kaufleuten, diese amerikanischen Mühlen bestimmen dann den Markt."

    Sie standen häufig an Flussläufen, da die riesigen Mengen Korn und Mehl nicht mehr mit Eseln, oder Fuhrwerken transportiert werden konnten, sondern nur noch mit Schiffen oder später der Eisenbahn. Bei Ulm sieht man heute die mit 115 Metern höchste Mühle Deutschlands, einen schlanken Turm, der von Lkws angefahren wird und einen zweistelligen Millionenbetrag kostete.

    Der Niedergang der Mühlen verlief in drei Schritten. Erst kam die erwähnte Konkurrenz. Deswegen wechselten zweitens um die Jahrhundertwende viele Müller zur Erzeugung von elektrischem Strom. So konnten viele bis nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Dörfer und nahen Fabriken mit Strom versorgen. Eine dezentrale Energieversorgung.

    "Wir hatten dann in den 1950-Jahren das so genannte "Mühlenstilllegungsgesetz" mit dem bewusst Mühlen und - da sind natürlich auch die Kleinkraftwerke damit gemeint, vom Netz genommen werden sollten. Man hat den Müllern ihre Wassernutzungsrechte abgekauft. Die Müller sind darauf auch oft dankbar eingegangen. Die Zahl der Mühlen hat also ganz dramatisch abgenommen. Ich geh mal davon aus, dass wir Größenordnung 97, 98 Prozent weniger haben, als in der Zeit um 1900."

    Mit diesem dritten Schritt wurde die private, dezentrale Stromversorgung zugunsten zentraler, staatlicher Energieversorger aufgegeben. Man glaubte mit Atomenergie alle Probleme endgültig lösen zu können.

    Dass die alte Wasserwirtschaft wesentlich mehr war, als nur eine Energiequelle wurde dabei übersehen. Erst seit wenigen Jahren besinnt man sich wieder auf den Nutzen, den Majestäten, Mönche und Müller über Jahrhunderte schufen. Dieses Netzwerk aus von Wasser geprägter Landschaft, von Handwerkertraditionen und Baudenkmälern, von Hochwasserschutz und Wasserkraftnutzung, samt Fischzucht hat das Land zwischen Donau und Bodensee so geprägt, dass es heute einen beschaulichen, Kultur betonenden Tourismus anzieht. Lutz Dietrich Herbst:

    "Es sind ja diese schönen Mühlengebäude, es sind die Wasserläufe, die auch quasi etwas die Natur austricksen, es sind diese Weiherflächen die optisch eine durchgängige Wald und Wiesenlandschaft natürlich auflockern, sodass mit diesen Wasserbauten aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit Elemente der Landschaft gegeben sind, die wir heute als Alleinstellungsmerkmal bezeichnen würden, da sie in einer enormen Fülle hier in Oberschwaben vertreten sind und gleichzeitig auch Elemente, die der Wertschöpfung einer Landschaft dienen."

    Allein die "Mühlenstraße Oberschwaben" umfasst 100 Stationen, die zeigen, dass über ein Jahrtausend hinweg Wasserwirtschaft nie nur dem Zweck der Energiegewinnung oder der Wasserversorgung diente, sondern Wirtschaft, Land und Gesellschaft prägte.