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Mühsame Jagd nach dem Täter

Paläontologie. - Es ist der britische Krimi schlechthin, nur dass sich die Geschichte tatsächlich ereignet hat. 1912 stellen britische Forscher der Weltöffentlichkeit einen sensationellen Fund vor: ein Frühmenschenfossil, ausgegraben in Südostengland, bestätigt alle bisherigen Theorien führender britischer Gelehrter zur Menschheitsentwicklung. Erst 40 Jahre später fliegt der Schwindel auf. An einen mittelalterlichen Menschenschädel wurde ein 500 Jahre alter Unterkiefer eines Menschenaffen gefügt. Der Täter wurde nie enttarnt. Zum 100. Jubiläum wollen Forscher nun mit modernen Methoden eine der berühmtesten Fälschungsgeschichten aufklären.

Von Michael Stang |
    Der einstige Stolz der britischen Forschung wurde 1953 zur größten Schande. Der Schädel des Piltdown-Menschen wurde eindeutig als Fälschung enttarnt. Der am 18. Dezember 1912 öffentlich gemachte Schädelfund aus einer Kiesgrube nahe des Dorfes Piltdown, Grafschaft East Sussex, war das Werk eines Betrügers.

    "Historisch betrachtet ist das sehr interessant, weil die damals bedeutendsten britischen Forscher auf diese Fälschung hereingefallen sind. Hinzukommt, dass damit auch andere Fossilien in falschem Licht betrachtet wurden und damit, zumindest kurzzeitig, die Erforschung der Evolution des Menschen auf den Kopf gestellt wurde."

    Der britische Paläoanthropologe Chris Stringer vom Naturhistorischen Museum London beschäftigt sich schon lange mit dieser kuriosen Geschichte, die noch bis heute nachhallt.

    "Die britischen Forscher damals wollten auch an diesen Fund glauben und waren einfach nicht so kritisch, wie sie es hätten sein sollen. Endlich wurden nicht mehr nur in Deutschland, Holland und Frankreich wichtige Fossilien gefunden, sondern auch in England! Hinzu kommt, dass der Schädel genau in die Theorien der beteiligten Forscher passte und ihre Sichtweise untermauerte."

    Aber die damaligen Geistesgrößen hatten sich blindlings verrannt. Die Frage bleibt: Wem sind sie auf den Leim gegangen?

    "Now we have the question of: Who did it and what was the motivation?"

    Wer war der Täter und warum hat er das Schädelfossil gefälscht und vergraben? Die Reihe der Verdächtigen ist lang. Der heißeste Kandidat ist:

    Charles Dawson, britischer Hobbyarchäologe und Entdecker des Piltdown-Menschen. Der Schädel erhielt ihm zu Ehren den Namen Eoanthropus dawsoni. 1915 entdeckte Dawson nun wenige Kilometer vom ersten Fundort entfernt einen weiteren Schädel. Auch dieser wurde 1953 als Fälschung entlarvt. Mögliches Motiv: Eitelkeit.

    Verdächtiger Nummer 2:

    Teilhard de Chardin. Der französische Priester entdeckte die Affenzähne, die zu dem Menschenschädel gehören sollten. Mögliches Motiv: unklar.

    Verdächtiger Nummer 3:

    Arthur Smith Woodward. Der britische Paläontologe galt als internationale Koryphäe. Der Piltdown-Mensch begründete seine Karriere. Woodward war es, der den Schädel 1912 der Geological Society of London präsentierte und ihn auf ein hohes Alter von mehreren 100.000 Jahren datierte und damit zum "Missing link" der menschlichen Evolutionsgeschichte erklärte. Mögliches Motiv: Karrierist?

    Verdächtiger Nummer 4:
    Martin Hinton. Woodards Assistent. Motiv: Neid?
    Bevor die Verdächtigen endgültig belastet oder entlastet werden können, bedarf es handfester Beweise. Diese sammelt Chris Stringer nun mit seinem 15köpfigen Forschungsteam. Neben neuen Datierungen wird mithilfe stabiler Isotope die Herkunft der Funde bestimmt, Genetiker untersuchen das Erbgut der Knochen, hinzukommen Untersuchungen mit CT-Scannern, sowie mikroskopische und spektroskopische Analysen. Doch die Arbeit ist mühsam.
    "Es gibt zwei Ausgrabungsstellen und viele unbeantwortete Fragen, etwa woher die Materialien stammen. Ebenso wollen wir herausfinden, ob es das Werk eines einzelnen ist oder wir finden Hinweise, dass es mehrere Täter waren, was die ganze Geschichte noch komplizierter macht."

    Das Erstaunliche sei auch die für damalige Verhältnisse professionelle Präparation. Der Unterkiefer war so behandelt, dass sein äffischer Ursprung nicht erkannt wurde. Von welcher Affenart er stammt, ist sogar bis heute unklar. Chris Stringer:

    "Es hieß immer, dass der Unterkiefer von einem Orang-Utan stammt, aber wir sind uns nicht mehr sicher. Deshalb untersuchen wir das gerade, ob der Kiefer von einem Schimpansen oder von einem Orang-Utan stammt, dasselbe gilt auch für die Zähne, die vielleicht auch von einem ganz anderen Affen stammen können."

    Und was können Nachwuchsforscher aus diesem dreisten Forschungsbetrug lernen?

    "Wir müssen immer objektiv und kritisch sein, und alles überprüfen, auch wenn Funde unsere Theorie bestätigen."

    Ob der Täter jemals gefunden wird, bleibt abzuwarten. Fest steht nur, dass sich der Täter nicht auf dem Sterbebett offenbarte, sondern sein Geheimnis mit ins Grab nahm und es auch 100 Jahre später noch immer nicht gelüftet werden konnte.