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München
Übergriffe auf Gülen-nahe Einrichtungen

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan macht die Gülen-Bewegung für den Putschversuch verantwortlich. Der Konflikt zwischen der AKP und der Gülen-Bewegung schwappt nun auch nach Deutschland über. In München verschwinden plötzlich Journalisten, in Augsburg wurde ein Kindergarten angegriffen - die Deutsch-Türken machen sich Sorgen.

Von Susanne Lettenbauer | 03.08.2016
    Sie sehen einen Blick auf München mit der Frauenkirche.
    Auch in München gab es Übergriffe auf Einrichtungen, die der Gülen-Bewegung nahestehen. (picture-alliance / dpa / Marc Müller)
    Zum ersten Mal wurde Zeki Genc stutzig, als er diese E-Mail sah. Der Münchner lebt seit 43 Jahren in Deutschland, hier fühle er sich pudelwohl, sagt er, man könne seine Meinung sagen, aber die derzeitige Entwicklung in der Stadt mache ihm Angst:
    "Ich habe eine E-Mail bekommen, wo eine Telefonnummer und Faxnummer steht, die direkt an den türksischen Präsident angebunden ist, wo man Leute die Namen geben soll, die der Gülen-Bewegung nahestehen sollen. Das hat mich sehr getroffen, dass man seine Freunde, Bekannten denunzieren soll."
    Den Aufruf haben in den vergangenen Tagen viele Münchner Deutsch-Türken bekommen. Die angegebene Nummer beginnt mit einer Vorwahl von Ankara und wird in dem Aufruf als präsidentschaftliche Hotline bezeichnet. Danach folgt eine Liste von zahlreichen Geschäften, Autohäusern, Vertriebsorganisationen, Lebensmittelmarken, kleinen Obstläden und Fußballvereinen mit dem Aufruf, diese Liste zu ergänzen und zu vervollständigen.
    Der Aufruf heißt - Zitat: "All diese Organisationen boykottieren, diese Nachricht weiterleiten, damit wir auch die allerletzten FETO-Mitglieder dechiffrieren."
    FETO steht für Gülen-Sympathisanten.
    "Ja, auf diese Idee wäre ich nie gekommen. Aber ich vermute mal, dass einige Leute davon Gebrauch machen und denunzieren, was danach passiert weiß ich nicht."
    Übergriffe werden der Polizei nicht gemeldet
    Genc gehört zu den Initiatoren des "Bayerischen Instituts für Migration e.V", kurz BIM. Er versucht sich seit der Machtübernahme Erdogans vor sechs Jahren von keiner Seite einnehmen zu lassen. Nicht von der Bewegung des umstrittenen, in den USA lebenden türkischen Predigers Fethullah Gülen, noch von der AKP des Präsidenten Erdogan. Doch wenn es um Gewalt geht, wie kürzlich gegen eine Schule gleich um die Ecke im Münchner Norden, der die Scheiben eingeworfen wurden, dann gehen ihm die Konflikte zu weit:
    "Die türkische Politik kommt direkt in uns hinein, wir werden gespalten, zerlegt und zerspalten hier. Genau das Gegenteil versuchen wir zu arbeiten und uns zu bündeln. "
    Die Münchner Polizei weiß von nichts. Die Übergriffe werden nicht gemeldet. Sie werden wie innere, innertürkische Konflikte behandelt. Das macht es so beängstigend, findet der Aktivist.
    Verfassungsschutzsprecher Markus Schäfert bestätigt eine angespannte Situation in München. Zu dem Konflikt zwischen den nationalistischen türkischen Gruppen wie Graue Wölfe und der Kurdenpartei PKK käme seit dem Putschversuch vom 15. Juli noch der Konflikt zwischen Erdogan- und Gülen-Anhängern hinzu. In ganz Bayern könne der Verfassungsschutz diese Übergriffe beobachten, so Schäfert. In Günzburg, Augsburg, Haunstetten. Meist handele es sich um Sachbeschädigungen, Beleidigungen und Boykottaufrufe.
    Deutsch-Türken in München sind zutiefst verunsichert
    Die türkischen Vereine in München halten sich bedeckt. Anfragen vom Deutschlandfunk werden nicht beantwortet. Beim Thema innertürkischer Konflikt werden Telefonate abgebrochen.
    Zeki Genc wundert das nicht. Immer Menschen tauchen einfach ab, sagt Zeki Genc.
    "Es wird für die einfach gefährlich, weil es da Telefonnummern gibt. Das ist das Problem."
    Der Deutsch-Türke Zeki Genc betreibt ein Kulturcafé in seinem im Herbst 2015 gegründeten Museum der Deutschen Migrationsgeschichte. Bisher kamen sowohl Gülen- wie auch Erdogan-Sympathisanten. Man diskutierte gemeinsam. Das ist vorbei:
    "Ich gehe davon aus, dass bei unserem Kulturcafé ab September keine Gülen-Anhänger mehr sein werden, sondern mehr AKP. Der Druck wird steigen."
    Ehemaliger "Zaman"-Korrespondent ist verschwunden
    Auch im Presseclub München macht man sich Sorgen. Ein bekannter Journalist des Münchner Büros von "Zaman", der mittlerweile verbotenen türkischen Zeitung, ist plötzlich verschwunden, sein Facebook-Profil ist gelöscht, Handy- und Festnetznummern funktionieren nicht mehr.
    Alle bayerischen Politiker kannten Bayram Aydin, Grünen-Chefin Margarete Bause feierte mit ihm Iftar, das Fastenbrechen. Deutsche Kollegen, die wie er den NSU-Prozess begleiten, wundern sich. Leider habe sich die Vermutung bewahrheitet, teilt die Geschäftsführerin des Presseclubs München, Angelica Fuss, schriftlich mit. Den "Zaman"-Korrepondenten habe sie auf keinem der bekannten Kommunikationskanäle erreicht. Man hofft, ihm sei nichts passiert.