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Münchner Syrien-Konferenz
"Es gibt nicht richtige Bomben und falsche Bomben"

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour hat sich für eine diplomatische Lösung des Konflikts in Syrien ausgesprochen. Um das zu erreichen müsse man weiterhin auch mit Russland reden, sagte Nouripour im DLF. Wichtig sei die Zielsetzung. Richtige und falsche Bomben gebe es in dem Konflikt nicht.

Omid Nouripour im Gespräch mit Dirk Müller | 12.02.2016
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    Das Problem der russischen Führung sei, dass sie Bevölkerungsgruppen zu Islamisten erkläre, die dies nicht seien, meinte Nouripour. Die russische Luftwaffe greife Aleppo gezielt an. Die Stadt solle fallen. Es gehe nicht darum, Terroristen anzugreifen, sondern den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad zu unterstützen. Vier Fünftel der Bomben träfen nicht die Terrorgruppe IS, sondern Zivilisten.
    Verhandlungen mit der Terrorgruppe IS dürfe es aber nicht geben, betonte Nouripour. Die Miliz habe eine illusorische Weltanschauung: "Da würde ich gerne wissen, worüber man denn mit denen reden kann."
    Andererseits müsse man mit einigen Islamisten verhandeln, meinte Nouripour. Es gehe aufgrund der Machtverhältnisse in Syrien einfach nicht anders.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Wladimir Putin trägt für die jüngste Eskalation in Syrien die Verantwortung. So der Vorwurf jedenfalls von zahlreichen westlichen Regierungen. Auch Barack Obama sieht das so, auch die Kanzlerin sieht das so. Wir haben Grünen-Parteichef Cem Özdemir nicht erreichen können, dafür aber Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag. Guten Morgen!
    Omid Nouripour: Schönen guten Morgen.
    Müller: Herr Nouripour, ist jetzt alles wieder schwarz und weiß?
    Nouripour: Nein, es ist sicher nicht alles schwarz und weiß. Aber es ist offenkundig, wer gerade in Aleppo bombt, wir die Leute in die Vertreibung jagt. Natürlich müssen wir die Gesprächsfäden nach Moskau weiterhin aufrecht erhalten. Natürlich müssen wir reden. Natürlich kann es in Syrien, auch in der gesamten Region am Ende nur eine politische, eine diplomatisch erarbeitete Lösung geben. Aber das Leiden der Menschen in Aleppo und auch in den ausgehungerten Städten, in Madaya und so weiter, das ist jetzt und deshalb muss man natürlich jetzt mit denjenigen, die das verursachen, laut und heftig reden, und das passiert. Es ist viel zu selten passiert in der Vergangenheit. Ich bin froh darum, dass wenigstens jetzt mal die Stimme erhoben wird.
    Müller: Die westliche Allianz bombt ja auch. Jetzt bombt wieder Russland. Das heißt, es gibt auch richtige Bomben und falsche Bomben?
    Nouripour: Nein, es gibt nicht richtige Bomben und falsche Bomben. Aber die Frage ist, was ist die Zielsetzung in Syrien. Ich habe das so verstanden, dass wir bisher uns alle einig waren, dass man mit ISIS nicht verhandeln kann, dass man am Ende des Tages auch für das Problem ISIS eine politische Lösung braucht, aber dass man sie auch militärisch bekämpfen muss, weil sie ja gar nicht reden wollen, weil sie eine nihilistische Weltanschauung haben und das klare Ziel der totalen Herrschaft und der Zerstörung aller anderen. Da würde ich gerne wissen, worüber man denn mit denen reden kann. Das geht nicht. Aber das Problem ist, dass Russland ja militärisch eingestiegen ist mit dem Vorwand, dass es hier darum ginge, die ISIS zu bekämpfen, aber wir wissen, dass vier Fünftel der Bomben eben nicht auf ISIS fallen, sondern ganz häufig auch auf Zivilisten, auf Städte, auch auf zivile Infrastruktur, und das ist schon ein großer Unterschied.
    Nouripour: Am Ende des Tages wird man mit einigen Islamisten reden müssen
    Müller: Herr Nouripour, für Sie ist es aber ganz klar, dass man mit syrischen Islamisten reden kann?
    Nouripour: Es ist am Ende des Tages so, dass man mit einigen Islamisten wird reden müssen, weil es nicht anders geht, weil die Machtverhältnisse so sind. Aber das ist erstens bei ISIS nicht so und zweitens gibt es auch ein paar Gruppierungen, wo ich gerne wissen würde, wenn zum Beispiel Steinmeier sagt, man muss mit denen reden, was er denn eigentlich meint, wen er genau meint. Die Jabhat al-Nusra zum Beispiel ist eine offiziell erklärte El-Kaida-Filiale. Ich glaube nicht, dass die internationale Gemeinschaft in Anwesenheit der doch relevanten Amerikaner mit denen reden kann. Andere wiederum, siehe die Muslimbruderschaft: Die Muslimbruderschaft in Syrien ist seit Jahren Teil der nationalen Koalition. Das sind die, die von uns auch Gelder bekommen. Und da zu sagen, wir reden nicht mit denen, ist natürlich völlig absurd. Und dann gibt es noch einige Schattierungen dazwischen.
    Müller: Herr Nouripour, Entschuldigung, wenn ich Sie unterbreche. Aber die Russen sagen ja, wir gehen auch gegen diese islamistischen militanten Kräfte vor, genauso wie das der Westen in Richtung ISIS tut.
    Nouripour: Das ist richtig, dass die Russen das sagen. Aber noch mal: Islamisten, das sind sehr viele verschiedene Schattierungen. Was eigentlich jetzt gemeint ist von den Russen, ist vor allem die Ahmad Alashram. Das ist eine Gruppierung, die von Saudi-Arabien unterstützt wird, und das ist bei denen im Fokus. Aber noch mal: Das Problem bei den Russen ist ja auch, dass sie Gruppierungen zu Islamisten und Terroristen erklären, die gar keine Islamisten und Terroristen sind. Da werden Teile der Freien Syrischen Armee, die hoch säkular sind, gebombt, so dass Schein und Sein bei Putin doch ein Stückchen auseinanderfallen.
    Müller: Aber Sie räumen auch ein, dass auf beiden Seiten zivile Opfer zu beklagen sind?
    Nouripour: Es ist zweifelsfrei so. Das ist überhaupt keine Frage.
    Müller: Auch bei den Bomben auf den Islamischen Staat?
    Nouripour: Ja, das ist richtig. Es ist natürlich so, dass in Rakka es Bombardierungen gegeben hat, und es ist so, dass es sehr viele Berichte gibt. Nicht alle sind valide. Und dass es auch dort zivile Opfer gegeben hat, das ist keine Frage und das ist weder schön zu reden, noch weniger zu verurteilen. Aber das, was in Aleppo zurzeit passiert, ist gezielt und nicht sozusagen ein gewollter oder nicht gewollter Nebeneffekt. Das ganze Ziel der Geschichte ist, dass Aleppo fällt. Alle wissen, dass, wenn Aleppo fällt, der Krieg mehr oder minder militärisch zumindest bei der Freien Syrischen Armee und Assad halbwegs entschieden ist, und das ist das Ziel der ganzen Geschichte. Es geht um Assad und es geht ums Retten von Assad. Es geht nicht um Terroristen.
    Nouripour: Wenn Erdogan in der Flüchtlingskrise hilft, sollten wir auch ihm weiter helfen
    Müller: Welche Rolle kann und soll Erdogan jetzt spielen in dieser Situation, der türkische Präsident?
    Nouripour: Die Frage, was Erdogan für eine Rolle spielen soll, das habe ich mir längst abgeschminkt, mir zu wünschen, weil es keinerlei Möglichkeit gibt, da Gehör zu finden. Es ist ein großer Egotrip und natürlich ist Erdogan die letzten Jahre mit seiner Politik der mindestens indirekten Unterstützung von ISIS ein Teil des Problems gewesen. Aber jetzt ist es so, dass wir natürlich alles daran setzen müssen, dass es den Menschen jetzt in diesem Augenblick ein bisschen besser geht, und da wäre es notwendig, dass die Türken ihnen bitte helfen mögen, und dass wir den Türken helfen, dass sie ihnen helfen, und dass sie nicht an der Grenze verrecken im wörtlichen Sinne.
    Müller: Dann sagt er Ihnen - wir haben nicht mehr viel Zeit -, gute Ratschläge können Sie sich sparen. Er weiß schon, was er zu tun hat.
    Nouripour: Ja das weiß ich wohl, dass er das sagt, aber wenn er unsere Unterstützung will, die er auch verdient hat durch die Aufnahme von über einer Million Menschen, die auch zumindest zwischenzeitlich gut behandelt worden sind, dann ist natürlich auch die Frage, ob diese Unterstützung, die wir leisten, natürlich auch weiterhilft. Und wenn er weiter hilft, dann sollten wir ihm auch weiter helfen.
    Müller: In München erreichen wir Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag. Danke, dass Sie so spontan, so schnell für uns eingesprungen sind. Ihnen noch einen schönen Tag. Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.