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Murdoch an der Wall Street

Am Tag nach der Übernahme von Dow-Jones-Verlag und "Wall Street Journal" durch Rupert Murdoch überwiegen die warnenden Stimmen. Zu Murdochs Medienimperium zählen die Londoner "Times", das Boulevardblatt "Sun", die "New York Post", der Fernsehsender "Fox News Channel" sowie dutzende andere Sparten- und Kabelkanäle rund um den Globus. Die Journalisten des "Wall Street Journal", immerhin der zweitgrößten Tageszeitung der USA, befürchten das Schlimmste.

Von Hans-Joachim Lenger |
    Das Abendland geht unter, so beklagen es die Kulturpessimisten; doch zu ihrer Beruhigung sei gesagt: das nur scheibchenweise. Jetzt hat Rupert Murdoch, den man für gewöhnlich einen "erzkonservativen Medienmogul" nennt, der Verlegerfamilie Bancroft also den Dow-Jones-Verlag und das Wall Street Journal abgekauft, und schon wird gellend Alarm geschlagen. Die New York Times spricht von einem "dunklen Tag für die amerikanische Demokratie"; Bill Keller, deren Chefredakteur, tituliert Rupert Murdoch als "Antichristen"; und die Los Angeles Times kommentiert den Vorgang dahingehend, die Familie Bancroft wolle offenbar "den Doktor Faust zu Murdoch, dem Mephisto, spielen".

    Teuflische Umtriebe also überall; kein Motiv aus der abendländischen Religions- und Kulturgeschichte scheint schroff genug, um die diabolischen Verheerungen hinreichend zu charakterisieren. Murdoch, der mit seinem Sender Fox News für amerikanische Regierungs- und Kriegspropaganda steht und zugleich - so die Financial Times - für die "Flut von Vulgarität" in der englischen Presse verantwortlich zeichne; Murdoch, der politische Pornograph also: dem soll allen Ernstes ein so seriöses und traditionsreiches Medium wie das Wall Street Journal in die Hände fallen? Einem Emporkömmling, der mit einer einzigen geerbten Zeitung anfing und mittlerweile das weltweit größte Medienimperium kommandiert?

    Die Affekte, die hier mobilisiert werden, dürften aber nicht zuletzt auf Imageprobleme zurückzuführen sein. Noch zehrt der moderne Kapitalismus ja vom Mythos der alten Familien, die ihn einst groß machten, vom Glanz der Dynastien und Clans, der Patriarchen und Altvorderen aus Großindustrie und Finanzwelt. Deren Zeit ist zwar längst vorbei; da herrsche viel Familienmythologie, gaben die Bancrofts denn auch selbst zu verstehen, es sei an der Zeit, das mal zu korrigieren. Doch im Abglanz längst vergangener Zeiten sonnen sich die heutigen Protagonisten noch recht gern. Und da kommt einer von der Straße, ein Underdog sozusagen, um diese Inszenierung zu stören? Immer wieder tauchen sie ja auf, die Berlusconis, die Kirchs oder Murdochs: meist Medienleute, die mit einer gewissen Virtuosität Pornographie, Politik, Krieg und frömmelnde Inbrunst mit der Mentalität von Freiern verbinden, die sich gut auf der Straße auskennen und dabei ständig auf ihren guten Ruf bedacht sind. Dem Image Rupert Murdochs wird das Wall Street Journal jedenfalls zuträglich sein, auch wenn andere dabei an Reputation verlieren. So gleichen sich die Profitraten eben aus. Doch deshalb geht das Abendland nicht unter. Vielmehr herrscht Business as usual.

    Wenn das Wall Street Journal, so Murdoch kürzlich, demnächst Nacktfotos veröffentliche, so werde man sicherstellen, dass die Mädchen einen Betriebswirtschaftsabschluss hätten. Das war zwar als Witz gemeint, ist aber vielleicht gar keiner. Der Striptease, der sich im Aufkauf des Wall Street Journals, mehr noch in den Teufelsbeschwörungen abspielt, zu denen er veranlasste, enthüllen etwas ganz anderes. Der Kapitalismus ist eben keine patriarchale Veranstaltung. Er ist kein Geheimnis großer Familien. Er ist ein Kampf um Geld, Macht und Ansehen. Und deshalb besteht kein Anlass, diesen Zugewinn an Aufklärung wortreich zu beklagen.