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Musik auf der Landebahn

Seit 2010 ist das Tempelhofer Flugfeld für die Öffentlichkeit zugänglich und wird zum Drachenfliegen oder für Kunstaktionen genutzt. Die bisher ausgefallenste Idee realisiert die Komponistin Lisa Biewala. Mit 250 Musikern führt sie dort ihr Stück "Tempelhof Broadcast" auf.

Von Cornelius Wüllenkemper | 10.05.2013
    "Also, gehen wir?"

    "Wir müssen dir einfach folgen? We just follow you?”

    "Yeah!”"

    Der Wind weht über die Rollbahn, auf den Wiesen ringsherum wird gegrillt, Drachen fliegen durch die Luft, die sogenannten Kiter haben ein Segel vor ihr Skateboard gespannt und rasen über den Asphalt. Der Raum und der Wind, der hier eigentlich immer weht, geben dem alten Flughafenfeld eine außergewöhnliche Akustik. Und genau die will sich Lisa Biewala zu Nutze machen, um die Musik, den Raum und die Stadt zu feiern, wie sie sagt.

    ""Wir sind hier, mit dem X. Es gibt vier X und es gibt sechs Linien".

    Umringt von einer Gruppe Musikern steht Biewala mit einem Plan des Flugfelds in der Hand mitten auf der Landebahn und erklärt die Bedeutung der Markierungen. Für ihre Komposition "Tempelhof Broadcast" hat sie insgesamt rund 250 Musiker aus Deutschland und den USA zusammengetrommelt, die alle gemeinsam eine "urbane Symphonie" aufführen, umsonst und draußen, auf der Rollbahn.

    "Wieso auf dem Flughafen? Wir wollen Musik und den Spaß an Musik an andere Orte als die Konzerthalle bringen! Wir feiern diesen unglaublichen urbanen Raum, der voller Menschen ist, die Spaß haben!"

    Nach der Uraufführung in Berlin will Biewala weitere Airport Broadcasts ins Leben rufen, unter anderem auf einem alten Militärflughafen in San Francisco.

    "Als ich das Flugfeld Tempelhof zum ersten Mal gesehen habe, habe ich mich sofort verliebt. Und ich habe angefangen, über diese alten Militär- und Industrieflächen innerhalb von Städten nachzudenken, die irgendwann der Öffentlichkeit, den Hunden und den Drachen übergeben wurden. Eine wunderbare Sache, die da in der Welt passiert!"

    Acht Gruppen, darunter ein Mädchenchor aus San Francisco, das Berliner Alphornorchester, ein Klassik-Ensemble aus New York oder eine Marching Band aus Leipzig werden sich auf dem Flugfeld verteilen und Biewalas Komposition spielen. Dabei verändern die Gruppen nach einer vorher genau festgelegten Choreografie ihren Standort. Als Orientierung, wer wann was und wo spielt, bleibt den Musikern, die bis zu 1,5 Kilometer entfernt voneinander stehen, nur die genaue Uhrzeit oder eben das, was die Nachbargruppe gerade spielt. Für den Zuhörer, meint ein 22-jähriger Posaunist aus Leipzig, wird das Musikspektakel beim Spazieren über das Flugfeld eine besondere Erfahrung.

    "Weil man auf so eine kleine Entdeckungsreise gehen kann, nach den Klängen, um zu gucken, was man hören kann, zu entdecken, was sich wo wie anhört, und dann hört man von da hinten irgendwo was. Ich glaube, da können sich unterschiedliche Perspektiven entwickeln, vor allem, weil das Stück so lange ist und weil es mit Rumlaufen ist. Das kann sehr ereignisreich werden!"

    Drei Jahre lang hat die Sängerin und Komponistin aus San Francisco das Flugfeld mit Schrittzählern vermessen und den Wind studiert, um den gewünschten akustischen Effekt zu erzielen. Bevor am Freitag wirklich alle Musiker gemeinsam Lisa Biewalas 45-minütiges "Tempelhof Broadcast" anstimmen, muss intensiv geprobt werden, vorerst allerdings als Trockenübung im geschlossenen Raum.

    Der 13-jährigen Evy Hidysmith vom San Francisco Girls Chorus ist das dann doch zu laut.

    "Hier ist wirklich was los, es ist riesig, alle Teile zusammen, irgendwie klingt das verrückt und ziemlich modern. Ich find’s interessant, aber auch ganz schön schwierig. Ich hab Angst, dass wir uns auf dem Flugfeld verlaufen. Wir waren ja noch kein Mal da. Aber so ist das eben bei Abenteuern: Am besten du weißt vorher nicht genau, wo es eigentlich hingeht."

    Nach eineinhalb Stunden Probe ist Lisa Biewala völlig erschöpft – und glücklich. Sie ist sich sicher, die 250 Musiker werden ihr helfen, ihren Traum wahr zu machen, bei hoffentlich gutem Wetter, ihre Komposition für den Himmel, die Vögel, Menschen, Hunde und Drachen aufzuführen.