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Musik soll Trumpf werden

Deutsche Teilnehmer an Instrumentalwettbewerben sind seit Jahren eine verschwindende Minderheit. Dass aber zum ältesten Musikwettbewerb Deutschlands im Fach Klavier kürzlich nur noch sieben Bewerber angetreten sind, war für die erschrockenen Rektoren der Musikhochschulen Anlass, die Initiative zu ergreifen: Sie beschlossen eine Bildungsoffensive zur Verbesserung des Musikunterrichts in den Schulen.

Von Christiane Kort |
    Jovana Nicolic aus Belgrad studiert seit einem Jahr an der Musikhochschule in Karlsruhe:

    "Fast alle berühmten Komponisten wurden in Deutschland geboren. Allein die Anzahl der Hochschulen - 23 - ist ein Beweis dafür, dass Deutschland das beste Land für klassische Musik ist. Wir können soviel lernen, denn es gibt hier so viele gute Professoren und Musiker."

    Als Sechsjährige begann sie Klavier zu spielen, mit 15 wurde sie in die Belgrader Musik-Akademie aufgenommen. Bereits als 20-Jährige legte Jovana Nicolic dort die Prüfungen ab und schloss ein Jahr Musikausbildung in Paris an, bevor sie nach Deutschland ging. Damit erfüllte sich die 22-jährige serbische Pianistin einen "Traum", wie sie sagt, den sie mit vielen Musikerinnen und Musikern in aller Welt teilt. So hervorragend der Ruf der deutschen Musikhochschulen international ist, so wenig inländische Bewerber gibt es.

    An den 23 Musikhochschulen studieren inzwischen 30 bis 60 Prozent Ausländer, in manchen Fächern 80 Prozent. Deutsche Nachwuchsmusiker hingegen fehlen, weil die Grundlagen nicht mehr allgemein vermittelt werden. Die Dozenten haben darüber längst resigniert und die Rektoren den Bildungsmisstand zu lange verschwiegen. Siegfried Mauser ist Rektor der Musikhochschule München:

    " Es ist nicht nur Sache der Hochschulen oder der Musikausbildung, sondern vor allem ein Problem der allgemeinbildenden Schulen. Dass da Strukturen geschaffen werden, so eine Art Musikgymnasium oder was, wo sich Hochbegabungen sammeln können und die entsprechende Spezialförderung bekommen. Da sind wir hintendran, das ist sowohl im asiatischen Bereich anders als auch im östlichen Bereich. Und das ist eigentlich der Hauptgrund, nichts anderes. "

    Der aus Göttingen stammende 25-jährige Pianist Alexander Schimpf studiert derzeit - nach erfolgreichem Diplom - als Meisterschüler an der Musikhochschule Würzburg. Zur Musik kam er durch sein Elternhaus - seine Mutter ist Geigerin und auch der Vater musiziert. Unterricht erhielt Alexander Schimpf stets privat, zuerst von seiner Mutter, mit acht Jahren dann formalen Klavierunterricht. Für ein Musik-Hochschulstudium entschied er sich erst kurz vor dem Abitur. Wie war sein Musikunterricht in der Schule?

    " Da gab's also viele gute Ansätze. Wir hatten da so einen jungen Lehrer, der ganz frisch an die Schule kam und das sehr engagiert gemacht hat, und das Problem waren dann hauptsächlich die Schüler, muss ich sagen. Ja, fehlende Motivation und einfach die Möglichkeit, Musikunterricht ist so was Lockeres im Vergleich zu den Hauptfächern, Mathe usw., wo einfach ein ganz anderer Stoff auf eine ganze andere Art behandelt wird. Ja, da wurde die Musikstunde dann relativ oft zur Klamaukveranstaltung, also, das passierte einfach. Und deswegen kam, glaube ich, nicht besonders viel rüber am Ende. "

    Dennoch war Alexander Schimpf noch verhältnismäßig gut dran. Denn 80 bis 90 Prozent des Musikunterrichts in der Bundesrepublik werden inzwischen von fachfremden Lehrern erteilt, Musik-Leistungskurse an Gymnasien kommen nicht zustande und an vielen Schulen findet überhaupt kein Musikunterricht mehr statt. Das ist seit Jahren so. Die Musikhochschulrektorenkonferenz hat nun eine Bildungsoffensive beschlossen. Der Vorsitzende, Martin Pfeffer:

    " Wir tun sehr viel Basisarbeit, indem wir natürlich musikpädagogische Studiengänge haben und auch Lehramtsstudiengänge, und diese Arbeit bleibt so ein bisschen im Verborgenen. Und wir meinen, dass wenn die Rektorenkonferenz der Musikhochschulen und damit alle Musikhochschulen in Deutschland eine solche Bildungsoffensive starten, dass damit noch einmal ein gewichtiges Sprachrohr in der Politik hörbar wird, das sagt, Leute, ihr könnt nicht so weitermachen mit der Versorgung des öffentlichen Musikunterrichts in Schulen. "

    Bisher, so Martin Pfeffer, gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen Musikhochschulen und Schulen eher zufällig und ist häufig von persönlichen Kontakten abhängig. Die Bildungsoffensive will nun die unterschiedlichen Aktivitäten in eine gemeinsame Form zusammenführen: bestehende Initiativen sollen dadurch gestärkt und viele neue angeregt werden. Eine Arbeitsgruppe aus vier Rektoren entwirft derzeit Rahmenrichtlinien, die von den einzelnen Hochschulen individuell ausgestaltet werden sollen. Martin Pfeffer:

    " Wir werden wahrscheinlich einen gemeinsamen Aktionstag als Start machen, wo wir möglicherweise alle Lehrenden und alle Ensembles, die wir haben, in Schulen der Umgebung schicken, in denen wir das vorher vorbereiten, und quasi den Musikunterricht mitgestalten. "

    Damit die Bildungsoffensive auch nachhaltig wirken kann, sind sowohl eine professionelle Organisation als auch Öffentlichkeitsarbeit erforderlich. Finanzielle Mittel dafür gibt es jedoch nicht, es sei denn, es gelingt, sporadische Zuwendungen aus der Wirtschaft oder von Stiftungen zu erreichen. Den fehlenden Musikunterricht in den Schulen kann die Bildungsoffensive nicht ersetzen, doch, so hofft Rektor Martin Pfeffer, vielleicht eine positivere Haltung gegenüber dem Fach Musik bewirken.

    Programmtipp

    Am morgigen Samstag widmet sich PISAplus in einer Schwerpunktsendung der Musikausbildung in Deutschland:

    Musikalische Analphabeten
    Der Musikunterricht wird seit Jahren sträflich vernachlässigt