Archiv


Musiker kriegen Druck

Wenn es um die Leistungen im Orchestergraben geht, dann zählen dort meist der Klang, die Intonation, die ausgefeilten Tempi. Über Gehalt, Dienste, Urlaubsgeld oder Aushilfszeiten wird kaum gesprochen. Jetzt hat der Deutsche Bühnenverein deutlich gemacht, dass er die Tarifverträge für Orchestermusiker für nicht mehr zeitgemäß hält. Er will wesentliche Teile kündigen.

Von Bernhard Neuhoff |
    Unsere Orchesterlandschaft sei längst zu einer weltfremden Verwöhnlandschaft verkommen, meinte Kulturstaatsministerin Christina Weiss vor zwei Jahren. Blanker Populismus – so hielt damals die Deutsche Orchestervereinigung entgegen, die Gewerkschaft der Musiker. Schließlich stünden eine Reihe von Orchestern vor dem Konkurs, die Musiker dieser von der Schließung bedrohten Orchester seien mehr denn je darauf angewiesen, tagtäglich mit Qualität und Initiative ihre Berechtigung unter Beweis zu stellen - sie spielten also gewissermaßen ohnehin schon buchstäblich um ihr Leben.

    Das ist zweifellos richtig. Und zum Glück kämpft die Deutsche Orchestervereinigung für diese Kollegen – und für den Reichtum der deutschen Musiklandschaft. Trotzdem ist ein Umdenken bei den Orchestermusikern längst an der Zeit. An die tausendachthundert Euro bekommt ein Anfänger, der im Osten bei einem kleinen Opernhaus anheuert, ein junger Tubist in Annaberg oder ein Bratscher in Nordhausen zum Beispiel. Zugegeben: Eine Verwöhnlandschaft stellt man sich anders vor.

    Aber immerhin: Im Gegensatz zu Tänzern und Schauspielern bekommt der junge Ost-Bratscher nicht nur deutlich mehr Geld, sondern auch einen unbefristeten Vertrag mit garantierter Vergütungssteigerung. Und dieses Geld soll er nach dem Willen des Bühnenvereins auch in Zukunft bekommen. Auch seine durchschnittliche Arbeitszeit soll sich nicht erhöhen – nur seine Flexibilität. Musikerarbeit wird in so genannten "Diensten" gemessen. Ein Dienst dauert 2 einhalb oder 3 Stunden – eine Probe oder eine Abendvorstellung entspricht also in Regel einem Dienst. 8 dieser Dienste muß ein Orchestermusiker nach dem bisherigen Tarifvertrag im Durchschnitt pro Woche ableisten, höchstenfalls 9. Das heißt natürlich nicht, dass Orchestermusiker nur 24 Stunden in der Woche arbeiten, sie müssen ja auch noch üben.

    Das werden sie auch in Zukunft können. Denn nur die wöchentliche Höchstarbeitszeit will der Bühnenverein anheben – denn jeder weiß, dass im November und im Dezember die Theater voll sind, während im September meist Flaute herrscht. Außerdem gibt es immer wieder mal sozusagen Spitzenlasten im Orchesterbetrieb – etwa wenn bei laufendem Repertoirebetrieb eine Premiere und ein Symphoniekonzert in einer Woche zusammenkommen. Wenn der Musiker die kurzfristige Mehrbelastung in der Woche drauf wieder abbummeln kann, ist das durchaus zumutbar. Außerdem will der Bühnenverein, dass die Musiker verpflichtet werden, nicht abgerufene Dienste bei anderen öffentlichen Orchestern abzuleisten.

    Auch das hat seinen Sinn. Nehmen wir an, eine große Stadt hat ein Opern- und ein Konzertorchester. Nun gibt es bei einem der beiden eine Vakanz. In Zukunft sollen Musiker, die wegen des aktuellen Programms ihre Dienste bei dem einen Orchester nicht ableisten können, etwa weil man bei Mozart keine Basstuba braucht, im andern Orchester aushelfen müssen. In der Praxis tun sie das auch gegenwärtig schon – allerdings als bezahlte Aushilfen. Nirgendwo in der Welt haben die Orchestermusiker kürzere Arbeitszeiten und bessere Bedingungen. Und fürs Üben und für lukrative Gelegenheitsarbeiten wird den Musikern auch in Zukunft Zeit genug bleiben. Wenn sie diese Zeit im Interesse der klammen Etats unserer Theater nicht mehr ganz so frei einteilen können, wird das die einmalig hohe Qualität und Dichte der deutschen Orchesterlandschaft nicht beeinträchtigen – dafür aber ihren Fortbestand sichern helfen. Denn die fixen Personalkosten machen in der Regel 80 – 90 Prozent der Etats aus – wer Sparen muss, muss auch hier tun können. Die Alternative wäre: noch mehr Schließungen, noch mehr Fusionen. Und das wäre weder im Interesse der Musiker, noch in dem ihres Publikums.