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Musiker Left Boy
"Ich versuche, mich nie einzugrenzen"

Der Begriff "Künstler" ist ihm fremd - zu prätentiös, findet Ferdinand Sarnitz alias Left Boy, der mit seiner Musik gerade zu den spannendsten Neuentdeckungen des Jahres gehört. Ein Genre für seine Werke zu finden, fällt schwer. Hip Hop, Urban, Elektro - Left Boy baut all das in seine Musik ein, was ihm auch selbst gefällt.

Ferdinand Sarnitz alias Left Boy im Gespräch mit Thomas Elbern | 17.02.2014
    Thomas Elbern: Ihre Musik wird immer gerne mit Attributen wie Hip Hop belegt. Vergleicht man die Anfänge des Hip Hop und ihren aktuellen Sound, da liegen Welten zwischen, obwohl die Arbeitsweise (beispielsweise auf Samples zu bauen und ein hoher Wortanteil) geblieben sind. Sehen sie sich selbst in einer Reihe gerade angesagter Künstler wie Macklemore & Ryan, die auch schon lange aus dem Rapklischee ausgestiegen sind?
    Left Boy: Also ich bin nicht einer dieser Personen, die ihre Musik als irgendetwas bezeichnen. Ich sehe mich weder als Hip-Hop-, Pop- oder Electroact, sondern ich mache einfach mein Ding und zerbreche mir nicht den Kopf darüber, wo das hineinpasst. Ich habe Helden im Hip-Hop-Bereich, ich bin mit Hip Hop Musik aufgewachsen, höre auch sehr viel Hip Hop, aber es ist eine Mischung aus all dem was mir gefällt. Ich bin ein Musikfan und baue all das ein, was ich gerne höre.
    Elbern: Warum haben Sie sich als gebürtiger Österreicher gerade bei einer so wortlastigen Disziplin wie Hip Hop für Englisch entschieden?
    Left Boy: Ich bin in eine amerikanische Schule gegangen, ich bin dadurch englischsprachig aufgewachsen. Ich denke und träume in Englisch, es ist meine erste Sprache. Wenn ich jetzt mit Ihnen auf Deutsch rede, dann übersetze ich ständig Sachen aus dem Englischen und ich bleibe öfters hängen. Ich fühle mich einfach wohl im Englischen und es war für mich klar, das ich auch Musik in Englisch machen würde.
    Elbern: Wie kam es zu der Verbindung zum aktuellen Albumtitel und dem autobiografischen Buch "Permanent midnight" von Jerry Stahl, in dem es um einen heroinsüchtigen Drehbuchautoren geht?Leben auch sie auf der Überholspur?
    Left Boy: Ich habe den Film gesehen, es gibt eine Verfilmung von diesem Buch. Der Film und die Geschichte haben nicht unbedingt viel mit mir zu tun aber der Titel ist einfach hängengeblieben. Ich finde den Begriff wahnsinnig schön und die Nacht ist die Zeit, in der ich am aktivsten bin. Insofern hat das sehr gut zu mir gepasst. "Permanent midnight" passt aber auch zum Album: die Nonstop-Party, bedeutungslose flüchtige Beziehungen, das Träumen, die Abenteuer, unvergessliche Erlebnisse ... Ich liebe diesen Begriff, deswegen habe ich den für mein Album von Jerry Stahl ausgeborgt.
    Elbern: Wenn man sich Ihre Videos anschaut, dann wird klar: Left Boy ist eine Kunstfigur. Es ist ein ständiges Spiel mit Identitäten und Masken. Gehört Chamäleon zu sein für sie zum Konzept "Left Boy"?
    Left Boy: Das habe ich vorhin schon erwähnt: Ich versuche, mich nie einzugrenzen. Ich finde es einfach nur wichtig, das Beste für jeden Track zu machen. Interessante Projekte anzugehen, die mich herausfordern und nicht immer dasselbe zu machen. Ich will nicht als irgendetwas abgestempelt werden. Ich überlege mir das gar nicht so, ich mache es einfach.
    Elbern: Verfolgt man Left Boy im Netz, so scheint das Konzept auch eine Art Bastard Pop oder Mash-up zu sein. In ihren Songs tauchen bekannte Songfragmente von Künstlern wie Cassius, Eurythmics und vielen anderen auf und werden dort quasi recycelt. Haben sie immer das Einverständnis der Originalkünstler dazu bekommen, oder ist das der nervige Teil ihrer Kunst?
    Left Boy: Das ist der geschäftliche Teil des Ganzen, darum kümmern sich meine zwei wunderbaren Manager und quälen sich dadurch, die Rechte zu bekommen. Ich würde jetzt nicht ein Lied verwenden, weil ich weiß, ich bekomme die Rechte oder nicht. Wenn ich etwas höre was mich inspiriert, dann möchte ich die Idee sofort umsetzen. Im Nachhinein schaue ich dann, ob wir die Rechte bekommen oder nicht. Es ist jetzt auf dem Album passiert, das ich von Billy Joel für ein Sample keine Freigabe bekommen habe, was schrecklich war, weil es eines meiner Lieblingslieder ist. Wir haben jeden Tag versucht, ihn anzurufen und ich habe ihm einen sehr langen Brief geschrieben, aber es hat leider nicht geklappt und das Lied ist jetzt nicht auf dem Album. Mir macht das einfach Spaß mit einer Melodie, die ich gerne habe zu spielen, diese auseinanderzunehmen und neu zu arrangieren. Manchmal höre ich einen Part, der vier Sekunden ist und ich würde den am Liebsten 3 oder eine halbe Minute hören. Das ist meine Hauptbeschäftigung: Ich spiele mit der Musik, ich spiele das Fragment rückwärts ab, zerschneide es, lege es auf mein Keyboard und spiele es anders ab.
    Elbern: Man kann Ihnen sicher nicht vorwerfen, das sie in die musikalischen Fußstapfen ihres Vaters André Heller treten. Ein Chanson habe ich von Left Boy noch nicht gehört, ich höre keinen Wiener Schmäh in Ihren Songs. Aber Aktionskünstler, das könnte stimmen ...
    Left Boy: Also ich bleibe von dem Begriff Künstler überhaupt fern, weil der mir zu prätentiös erscheint. Ich wurde von beiden Elternteilen ermutigt, mich auszuprobieren und wenn mich etwas interessiert, das auch anzugehen. Da spielen meine Mutter und mein Vater eine große Rolle.
    Elbern: Die Europatour zum Album beginnt im März. Wie kann man sich Left Boy live vorstellen? Mit Band, mit DJ, oder beidem?
    Left Boy: Das muss man sich anschauen. Eine Band habe ich nicht, da habe ich schlechte Erfahrungen gemacht. Eines meiner ersten Konzerte habe ich mit einer Band in New York gespielt. Da haben wir den ganzen Tag die drei Songs geprobt und dann hat der Bassist kurz vor dem Auftritt LSD genommen und was auch immer gespielt. Ich muss immer wissen, was musikalisch an welcher Stelle kommt. Passiert das nicht, bleibe ich hängen. Ich gebe mir sehr viel Mühe, ein einzigartiges Erlebnis zu erschaffen. Ich zerbreche mir monatelang vorher den Kopf, was für Effekte ich verwenden kann, welche die Leute noch nicht so kennen. Konfetti herumschießen ist einfach, aber ich schaue, wie ich mit dem Publikum spielen kann. Mein großes Ziel für die kommende Tour ist zwischen mir und dem Publikum eine Interaktivität zu schaffen.
    Elbern: In ihren Songs verstecken sich die unterschiedlichsten Befindlichkeiten. Das Leben als permanente Party wird irgendwie auch hinterfragt. Welches Gefühl oder Inspiration brauchen Sie, um ihre Texte zu schreiben?
    Left Boy: Das ist das, was mir gerade durch den Kopf geht, was mich bedrückt oder was mich freut. Ich mache zuerst den Beat und dann fange ich an, im Raum im Kreis zu gehen und höre alles in einer Art Dauerschleife. Ich gehe dann stundenlang im Kreis, singe vor mich hin, versuche, die erste Zeile zu finden. Wenn ich diese habe, dann baue ich darauf und wenn ich die erste Strophe fertig habe, dann nehme ich das auf und das ist der Take, den ich dann auch behalte, weil ich das Gefühl nie mehr so gut rüberbringen kann wie nach diesen paar Stunden, wo ich es hundert Mal wiederholt habe. So entstehen die Lieder, die Inspiration kommt von überall.
    Elbern: Gibt es für sie einen Moment, in dem sie die Sonnenbrille ausziehen und sich von der Left-Boy-Rolle zurückziehen?
    Left Boy: Es ist wirklich ein und dasselbe. Es gibt Songs, die vielleicht ein wenig drüber sind, aber auch die basieren auf einem Erlebnis. Dann gibt es die Lieder, die eins zu eins die Geschichte erzählen. Beispielsweise der Titelsong des Albums "Permanent midnight" handelt von einer Nacht mit einem Groupie und erzählt eins zu eins die Geschichte. Also, ich ziehe nicht wirklich eine Show ab, vielleicht doch, nein ... Ich glaube es nicht. Ich versuche immer in meinen Videos Spaß zu haben, aber ich habe auch im echten Leben Spaß. Ich bin das.
    Elbern: Letzte Frage: Gibt es einen größten Traum im Universum von Left-Boy?
    Left Boy: Mein Traum ist, mich andauernd zu verbessern. Der beste Mensch sein zu können in der Zeit, die ich habe. Mein Ziel ist es, mein Wissen möglichst zu erweitern und so viel wie möglich auszuprobieren. Ich beschränke mich nicht zu 100 Prozent, sondern es gibt viele Dinge wie beispielsweise Videos machen und schneiden, was ich auch leidenschaftlich mache und womit ich mich in Zukunft mehr beschäftigen will. Darüber hinaus ein Instrument zu lernen, in Musiktheorie einzusteigen und mich um meinen Körper und meine Gesundheit zu kümmern.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.