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Musikindustrie
Der Weihnachts-Box-Set-Konsum-Wahnsinn

Von Freddy über Hermann van Veen bis zu Billy Idol und Sting - jeder Künstler, der etwas auf sich hält, hat schon ein Weihnachtsalbum aufgenommen. Mittlerweile hat jedoch die Tonträgerindustrie einen neuen Verkaufsschlager zu Weihnachten entdeckt: das Box Set - gewichtige Gesamtwerke inklusive aller Outtakes.

Von Ralf Bei der Kellen | 04.12.2014
    CDs in einem CD-Regal werfen einen Schatten an die Wand.
    Je kompletter, desto besser für den Musikliebhaber, oder? (Musik-CDs)
    Was haben Creedence Clearwater Revival, die Beatles, Abba und The Who gemeinsam? Richtig: Sie sind nicht mehr jung und sie brauchen das Geld. Und deshalb - deshalb sollen wir ihre Musik immer wieder kaufen. Und was eignet sich dazu besser als das Weihnachtsgeschäft?
    "Rolling Stone"-Redakteur Maik Brüggemeyer: "Also früher war's ja zu Weihnachten so, dass immer Best-Of-Platten rauskamen. Das ergibt aber keinen Sinn mehr, weil, wenn man die besten Lieder eines Künstlers haben will, dann geht man auf iTunes, dann guckt man, was sind die meistruntergeladenen, dann lädt man sich die runter und hat eine Best-Of. Also Compilations ergeben keinen Sinn mehr. Also muss man irgendwelche Superlative finden, die noch größer, noch wichtige sind als 'Best of'."
    Die Lösung dieser Misere: das Box-Set – gewichtige Gesamtwerke inklusive aller Outtakes, "The Complete Complete". Denn je kompletter, desto besser für den Musikliebhaber. Oder?
    "Und das führt dazu, dass die Boxen immer größer werden und dann auch häufig immer unsinniger werden."
    Drei bis vier Alben plus eine Raritäten-Scheibe
    Denn: Muss man wirklich jeden verworfenen Test-Mix eines Tracks besitzen? Muss man seine Lieblings-LP wirklich in Mono und in Stereo hören können? Muss alles, was man früher auf Vinyl hatte und sich dann auf CD kaufte, jetzt wieder als Vinyl-Box im Schrank stehen?
    Und dann sind da noch die Archiv-Veröffentlichungen – dieses Jahr ganz vorne weg Bob Dylan mit den "Complete Basement Tapes" und die Stones mit zwei Live-CDs. Am liebsten aber kauft der Fan eine Box mit drei bis vier regulären Alben und einer zusätzlichen Raritäten-Scheibe, die es natürlich nur hier gibt. Das doppelt sich dann so schön im Regal. So wie in diesem Jahr bei der Captian Beefheart-Box "Sun Zoom Spark".
    Den Preis "Aufgeblasenste Lieblingsplatte 2014" bekommt übrigens das dritte Album von Velvet Underground, das sich nun über vier CDs erstreckt:
    "Und wie das dann ist, an Heilig Abend ist man ganz stolz, dass man die hat, guckt sich das Buch an und all die Sachen, die dabei liegen, und dann hat man das nächste Jahr keine Zeit, das alles durchzuhören."
    Hören scheint bei Box-Sets zweitrangig
    Und das scheint dann auch der Sinn zu sein: Booklets angucken und sich freuen, dass man die Musik hat. Hören ist da zweitrangig. Und wer weiß, wo das noch hinführt. Wahrscheinlich sitzen wir in 20 Jahren als Rock-Opas und -Omas unter dem Baum und mischen uns unser Lieblingsalbum selbst zusammen – auf die Idee, die Spuren eines klassischen Albums einzeln zu veröffentlichen, ist die Industrie noch gekommen.
    Oder man bekommt ein neues Hörgerät mit mp3-Player, auf dem die Boxen gleich enthalten sind. Oder wie wäre es mit dem Box-Set "Keith Richards' schönste Raucherpausen während der Aufnahmen zu Exile On Main Street?" Oder "Sämtliche Gitarrensoli von Eric Clapton von 1972 bis 1978" auf 20 CDs? Oder -
    "Oder vielleicht einfach mal Ruhe. Stille. Stille. Stille Nacht ist ja auch schön, stille Nacht, heilige Nacht, lesen... Musikanlage... ausstellen."