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Mutiger Wirtschaftsboss

Es gibt nur wenige Deutsche, für die in der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem ein Baum gepflanzt wurde. Berthold Beitz ist einer von ihnen. Er rettete als Direktor der "Karpathen-Öl" jüdischen Zwangsarbeitern das Leben. Nach dem Krieg wurde er einer der einflussreichsten Männer des deutschen Wirtschaftswunders.

Von Otto Langels |
    "Ich war kein Held, ich habe einfach als Mensch gehandelt". Mit diesen Worten versuchte Berthold Beitz im Rückblick zu erklären, warum er während des Zweiten Weltkriegs im ostpolnischen Boryslaw als Direktor der "Karpathen-Öl" jüdischen Zwangsarbeitern das Leben rettete. Als im Sommer 1942 SS-Einheiten in Boryslaw einfielen, um die Juden in die Todeslager zu deportieren, intervenierte Berthold Beitz, eine Szene, die der Historiker Joachim Käppner in seinem Buch eindrucksvoll beschreibt:

    "Er hatte ein sehr gutes Auftreten, ein sehr sicheres Auftreten, er sagt selber von sich, ich durfte niemals Angst haben, weil wenn er dort ängstlich angekommen wäre, wäre das sein Untergang gewesen. Das kam ihm sicher zugute. Und außerdem besaß er ein Schreiben des Oberkommandos des Heeres, demzufolge er alle Vollmachten habe, die Ölversorgung dort für die Truppe sicherzustellen. Und das hat er mit großem Erfolg eingesetzt, weil in den autoritätsgläubigen Hierarchien der Täter sowas natürlich immer ankam."
    Weil er Hunderten von Juden das Leben rettete, ehrte die israelische Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem Bertold Beitz 1973 als "Gerechten unter den Völkern". Wie kommt ein knapp 30-jähriger junger Familienvater dazu, für verfolgte Menschen sein Leben zu riskieren? "Es gibt Momente, in denen man den Mut haben muss, nein zu sagen", erklärte Berthold Beitz seinem Biografen Joachim Käppner. Der Journalist hat Beitz' Leben von der Kindheit in einfachen Verhältnissen in Pommern bis zu seinem heutigen Wirken als nach wie vor einflussreicher Vorsitzender der Krupp-Stiftung nachgezeichnet.

    "Er hat schon 1941, wie er in Boryslaw ankam, das erste Massaker an Juden dort gesehen aus der Ferne und war vollkommen erschüttert. Er hatte von daher das Gefühl, irgendetwas läuft ganz falsch, und er hatte so einen ganz menschlichen Impuls, einfach zu sagen, das ist schrecklich ungerecht und inhuman, und ich will nicht Teil dieses Systems sein. Es kommt auch bei ihm eine wirklich sehr große innere Stärke und Unabhängigkeit dazu, die er schon in jungen Jahren wohl hatte, die sich nicht um das Urteil der Mitwelt scherte. Und er hat dann einfach gehandelt."
    Die innere Freiheit zieht sich wie ein roter Faden durch Berthold Beitz' Leben. Als Feldwebel der Wehrmacht soll er noch in den letzten Kriegstagen in Berlin Deserteure erschießen, aber er weigert sich, den Befehl auszuführen. 1953 verlässt er die Vorstandsetage einer Hamburger Versicherung und geht auf Bitten von Alfried Krupp nach Essen, um als Generalbevollmächtigter den Konzern zu führen. Er weiß kaum etwas über das Ruhrgebiet und die Stahlindustrie, im Krupp-Direktorium stößt er auf Ablehnung. Aber er nimmt den Kampf auf und setzt sich durch. Berthold Beitz ist der erste Unternehmensführer, der sich 1959 für eine Entschädigung der jüdischen Zwangsarbeiter ausspricht und damit heftigen Widerspruch in Industriekreisen auslöst.

    "Generell war er so eine Art schlechtes Gewissen für viele andere in der Industrie, auch wegen der Nazivergangenheit. Mir hat ein Weggefährte von Beitz, der damals auch selber bei Krupp war, gesagt, er hat wörtlich gehört, wie der Vorsitzendes des Bundesverbandes der Industrie gesagt hat, Zitat: Nur weil der Beitz im Krieg sieben dreckige Juden gerettet hat, braucht er sich hier nicht so aufzuspielen."
    Dennoch schließt Berthold Beitz ein Abkommen mit der Jewish Claims Conference über zehn Millionen DM und wird damit zu einem Wegbereiter der Zwangsarbeiterentschädigung Jahrzehnte später. In den 50er-Jahren knüpft er frühzeitig Handelskontakte nach Osteuropa, er reist in der Hochzeit des Kalten Krieges nach Belgrad, Warschau und Moskau und weckt damit das Misstrauen der Bonner Politik. Bundeskanzler Konrad Adenauer äußert Zweifel an der "nationalen Zuverlässigkeit" des Herrn Beitz. Beitz war mit seinen Entschlüssen der Zeit häufig weit voraus, das machte ihn aber auch zu einem Einzelgänger und Außenseiter.

    "Allerdings ein Einzelgänger und Außenseiter mit erheblicher Macht, vor allem später dann bei Krupp, wo er quasi die rechte Hand des Alleininhabers war und dessen Generalbevollmächtigter, dessen Wort im Zweifel für diesen gewaltigen Industriekonzern ja galt. Nach dem Krieg war er für viele ja ein ausgesprochenes Feindbild, und er hat sehr, sehr viel Feindschaft, Kritik und Ablehnung erfahren. Heute erfährt er überall Verehrung und bekommt Auszeichnungen und Preise, aber das war damals noch sehr fern. Sie haben ihm die Position geneidet, diese völlige Vertrauensstellung in Deutschlands größtem Industriekonzern mit Alfried Krupp, dem Besitzer, der ihm in allem ja praktisch freie Hand gegeben hat."
    Die faszinierende Biografie eines ungewöhnlichen Menschen zu schreiben ist ein reizvolles Unterfangen. Wenn der Betreffende noch lebt, dem Biografen exklusive Interviews gibt, dabei auf fast ein ganzes Jahrhundert zurückblickt und ihn mit seiner imposanten Persönlichkeit beeindruckt, besteht allerdings die Gefahr, dass die kritische Distanz schwindet. Joachim Käppner erliegt in seiner Darstellung bisweilen dieser Versuchung. Die Biografie ist mit sichtlicher Sympathie geschrieben. Dass Berthold Beitz Feinde gesammelt habe wie andere Leute Briefmarken – so der Spiegel 1966 -, ist aus Käppners Darstellung nicht herauszulesen. Und wollen wir wirklich wissen, wo Beitz seine maßgeschneiderten Anzüge kaufte und ob er bei langatmigen Festakten gelangweilt die Socken und Schuhe der Umsitzenden musterte? Gleichwohl hat der Autor ein lesenswertes Buch geschrieben. Beeindruckend sind die Passagen über die Rettungsaktionen in Boryslaw oder auch das Kapitel über das bittere Ende einer Industriellendynastie: Der Kruppsohn Arndt von Bohlen und Halbach, eine traurige und tragische Gestalt, erweist sich als unfähig, das Erbe seines kalten und abweisenden Vaters Alfried anzutreten.

    "Alfried Krupp wollte nicht, dass andere aus seiner Familie, zum Beispiel die Geschwister, nach seinem Tod einmal den Konzern übernehmen würden. Sehr wichtig war auch, dass Alfried Krupps Sohn Arndt ein sehr enges Verhältnis zu Beitz hatte, den er 'Vater zwei' nannte, und zwar nicht im Scherz. Das war eigentlich der einzige Mensch in dieser fremden Essener Welt, dem der Junge wirklich vertraute. Und den hat Beitz zum Erbverzicht 1966 überredet. Und man hat sich dann geeinigt, ihm eine sehr fürstliche Abfindung zu zahlen, aber den Konzern in eine Stiftung umzuwandeln. Das alles wäre ohne Beitz nicht möglich gewesen."
    Krupp galt lange Zeit als Waffenschmiede der Nation. Berthold Beitz baute das Unternehmen zu einem zivilen, auf Anlagenbau spezialisierten Konzern um. Nach Jahren des Wirtschaftswunders überstand Krupp den Niedergang der Montanindustrie, die große Krise der 70er-Jahre und den Strukturwandel an der Ruhr, unter anderem durch eine Fusion mit Thyssen. Harte Einschnitte waren dazu notwendig. Beitz, der sich immer als Mann des sozialen Ausgleichs verstand, stimmte zum Beispiel der Schließung des Krupp-Stahlwerks in Rheinhausen zu und löste damit erbitterte Proteste aus. "Was für ein Leben! Und was für eine Lebensleistung!" schreibt Helmut Schmidt im Vorwort zu Joachim Käppners Beitz-Biografie. Für seine vielfältigen Leistungen hat Berthold Beitz in seinen bisherigen 97 Lebensjahren zahlreiche Auszeichnungen und Ehrungen erhalten. Mit der vorliegenden Biografie kommt eine weitere Würdigung hinzu. Sie dürfte ihm gefallen.

    Joachim Käppner: Berthold Beitz. Die Biografie. Mit einem Vorwort von Helmut Schmidt. Erschienen im Berlin Verlag. 621 Seiten kosten 36 Euro, ISBN: 978-3-827-00892-3.