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"Mutter wäscht und macht das Essen"

Ob Krankenversicherung, Miete oder auch die Altersvorsorge, immer mehr deutsche Eltern übernehmen diese Kosten für ihre Kinder aus der Generation Praktikum. In Italien ist das kaum anders. Die Jugendarbeitslosigkeit dort ist so hoch wie kaum anderswo in der Europäischen Union, und die Gehälter sind mager. Kirstin Hausen berichtet aus Mailand:

    Rita Padovani, Hausfrau und Mutter von zwei erwachsenen Söhnen, steht schon am frühen Vormittag in der Küche. Eine gute Spaghetti-Bolognese-Sauce muss mindestens zwei Stunden auf kleiner Flamme köcheln und Roberto, ihr Ältester, kommt um Punkt eins zum Mittagessen. Roberto ist 30 Jahre alt und wohnt bei den Eltern. Wenn seine Schritte im Treppenhaus widerhallen, schüttet Rita Padovani die Nudeln ab. In der Betriebskantine schmeckt es Roberto nicht, deshalb setzt er sich jeden Mittag an Mamas gedeckten Tisch. So wie viele Italiener seiner Altersklasse.

    "Verhätschelt sind wir, na klar. Wir wohnen noch zuhause, weil es uns dort gut geht. Mama kümmert sich um dich und du brauchst Dein Gehalt nicht für Miete und so ausgeben, sondern hast es sozusagen als Taschengeld."

    Kein Grund, sich zu schämen. Im Gegenteil. Die Vollpension im "Hotel Mama" aufgeben, um sich neben Job und Hobbys auch noch mit schmutzigen Hemden und offenen Stromrechnungen herumzuschlagen, finden viele junge Italiener zwischen 20 und 35 nicht besonders klug. Auch nicht Fabio Pollenzi, 29, Regieassistent im zweiten Berufsjahr.

    "Meine Arbeit bringt nicht genug ein, um auszuziehen und bei den Eltern wohnen ist nun einmal praktisch, meine Mutter wäscht und macht mir das Essen."

    Ein schlechtes Gewissen hat Fabio nicht. Mit den knapp 800 Euro die er im Monat verdient, kann er sich keine eigene Wohnung leisten. Die Einstiegsgehälter liegen in Italien fast nie über 1000 Euro, 60 Prozent der Berufsanfänger müssen mit weniger auskommen. Die Folge:
    "Die jungen Leute sind darüber erschrocken und verunsichert", konstatiert Alessandra Caradonna, Präsidentin der italienischen Hausfrauen-Vereinigung.

    "Die Konsequenz ist, dass sie erst spät heiraten und Kinder in die Welt setzen. Das verlangsamt in gewissem Sinne die ganze Gesellschaft. Und erhöht den Druck auf die ältere Generation. Die müssen vielfach Kinder und Enkel mit durchfüttern. Die Rentner sind die einzigen, die Geld auf der hohen Kante haben."

    Das gilt natürlich nicht für alle. Und wer vor dem Rentenalter seine Arbeit verliert, hat oft kaum genug zum Leben. Arbeitslosengeld und Sozialhilfe fallen in Italien deutlich niedriger aus als in Deutschland. Die mittellosen Eltern finanziell zu unterstützen, empfinden viele Italiener als moralische Verpflichtung. Das Konzept der Familie, die füreinander aufkommt, ist fest verankert in den Köpfen.

    "Wenn man selbst die finanziellen Mittel dazu hat, muss man seinen Eltern ein Leben in Würde ermöglichen. Schließlich haben die Eltern auch viel für uns getan. Kinder sind dazu verpflichtet, den Eltern im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu helfen."

    Gabriella Pasquale hat selbst einen Sohn. Der ist allerdings erst drei: "Ich fände es gut, wenn er sobald er erwachsen ist, allein lebt", sagt Gabriella. Aber wann ist man erwachsen? In einer aktuellen Studie sprach sich die Mehrheit der Befragten dafür aus, Kinder bis zum 25. Lebensjahr im elterlichen Haushalt zu behalten. Italienische Mütter sind sehr beschützend, erklärt Mina Basso, pensionierte Lehrerin.

    "Das sieht man schon bei den kleinen Kindern. Italienische Mütter am Strand sind viel beschützender als ausländische Frauen mit ihren Kindern, sie beschützen, aber sie erziehen nicht."

    Ein italienisches Gericht entschied vor 4 Jahren: Kinder dürfen auf Kosten der Eltern leben, auch wenn sie schon erwachsen sind. Ein verzweifelter Vater hatte erfolglos gegen seinen Sohn geklagt, der nach dem Jurastudium mehrere Jobangeboten ausschlug und lieber von Papas Scheck lebte. Der Stolz, auf eigenen Füßen zu stehen ist der Bequemlichkeit gewichen.

    "Für mich ist das kein Problem, ich denke, sie sollen erst gehen, wenn sie es leid sind zuhause und wenn sie heiraten wollen. Solange ist mein Haus für sie ein Hotel."

    Rosella Grimaldini ist darauf sogar stolz. Ihre beiden Söhne rühren daheim keinen Finger. Und Mütter wie Rosella gibt es viele zwischen Mailand und Palermo.