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Muttersprache, Vatersprache und Elternsprache

Wenn Kinder in Deutschland zweisprachig aufwuchsen, lag der Grund hierfür früher meist in unterschiedlichen Muttersprachen der Eltern. Heute kommt ein anderes Phänomen hinzu: die Migration nach Deutschland, die besonders die Kinder vor große Probleme stellt.

Von Kay Müllges |
    Für zwei Drittel der Weltbevölkerung ist es völlig normal mit zwei oder drei Sprachen aufzuwachsen. In weiten Teilen der Welt ist die Lage also ganz anders als in Teilen Europas, meint Claudia Maria Riehl vom Zentrum für Mehrsprachigkeit an der Universität Köln:

    "Wo vor allem viele mehrsprachige Menschen leben, ist in Afrika. In Afrika sprechen fast alle dort lebenden Menschen neben ihrer Muttersprache noch weitere afrikanische Sprachen, oft auch noch eine europäische Sprache, die Landessprache ist. Das gleich gilt für Asien. Und das gilt natürlich auch für weite Teile Osteuropas, in denen ich selbst geforscht habe."

    Diese natürliche Mehrsprachigkeit ist in einer zunehmend globalisierten Welt ein prinzipieller Vorteil. Deshalb setzt sich auch die EU-Kommission dafür ein, dass in Zukunft jeder Bürger Europas mindestens zwei Fremdsprachen spricht. Ein hehres Ziel, doch wie lässt sich das erreichen? Zunächst einmal dadurch, das man möglichst früh mit dem Lernen beginnt, meint Sprachforscherin Riehl:

    "Es ist so, man kann mittlerweile mit diesen bildgebenden Verfahren sehr schön nachweisen, dass die Sprachen, die ein Mensch spricht, nicht in unterschiedlichen Arealen sind, sondern alle im gleichen Areal. Dass bei Menschen, die mit zwei Sprachen gleichzeitig aufwachsen, die also früh mehrsprachig sind, die Sprachen sehr kompakt im Gehirnareal gespeichert sind und sich auch überlappen, während bei Menschen, die die Sprache später gelernt haben, diese Überlappung nur teilweise stattfindet und man auch übers Gesamtgehirn mehr Substrat, also Substanz aktivieren muss. Deshalb plädieren wir auch für frühe Mehrsprachigkeit."

    Diese Erkenntnis von Hirnforschern und Sprachwissenschaftlern hat mittlerweile auch Eingang in die schulische Realität gefunden. Schon heute erfreuen sich bilinguale Schulen oder sogar Kindergärten für Englisch oder Französisch, insbesondere bei zahlungskräftigen Eltern, zunehmend großer Beliebtheit. Eine Praxis, die aber in so mancher deutschen Großstadt an der Wirklichkeit vorbeigeht und sich möglicherweise sogar kontraproduktiv auswirkt, meint jedenfalls Tayfun Keltek von der Landesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Migrantenvertretungen in Nordrhein-Westfalen:

    "Ich kann überhaupt nicht verstehen in diesem Land, dass die Kinder ab der 1. Klasse Englisch als Pflichtsprache lernen müssen, aber Kinder, die als Muttersprache Türkisch oder Italienisch oder Spanisch haben, in der Schule überhaupt nicht berücksichtigt werden. Denn Englisch zu lernen, eine Fremdsprache zu lernen, setzt auch voraus, das man die eigene Sprache in den Griff gekriegt hat. Wenn ein türkisches oder ein italienisches Kind immer noch nicht die deutsche Sprache oder die italienische Sprache beherrscht und dann Englisch lernen soll, ist das lächerlich nach meiner Auffassung."

    Kelteks Auffassung steht aber quer zu den aktuellen politischen Forderungen etwa nach einer stärkeren Förderung des Deutschen in der multikulturellen Schule. Und in den Niederlanden, wo lange Zeit auch die jeweiligen Herkunftssprachen in der Schule gepflegt wurden, setzt man mittlerweile ganz auf Holländisch, das heißt Lesen und Schreiben lernen die Grundschulkinder dort nur noch auf holländisch, die Pflege der jeweiligen Herkunftssprache wird ganz den Eltern überlassen. Tayfun Keltek ficht das nicht an, er ist der Auffassung, das Migrantenkinder am besten lernen, wenn sie früh sowohl in der eigenen Muttersprache als auch in Deutsch gefördert werden. Und wird darin beispielsweise auch von Holger Hey von der Deutsch-Türkischen Industrie- und Handelskammer in Köln unterstützt:

    "Wir wissen auch, dass es jetzt schon Fachkräftebedarf gibt, den wir mit unserer jetzigen Struktur nicht abdecken können. Heute nicht, in der Zukunft schon gar nicht. Dieser Fachkräftebedarf ist nicht abdeckbar, weil wir zu wenig tun für die Sprachkompetenz. Das ist der entscheidende Schlüssel dieser Problematik der Jugend, die hier heranwächst. Ist diese Sprachkompetenz gesteuert, ist sie fachlich hinterlegt, hat man sie in Schriftsprache konvertiert, sind diese Persönlichkeiten für unseren Standort extrem wichtige Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die diesen Markt, in unserem Fall deutsch-türkisch, aber auch den globalen Markt moderieren können."
    Ob Keltek und Hey mit ihrer Argumentation deutsche Schulpolitiker und Eltern, deren Kinder dann also zunächst Türkisch statt Englisch lernen sollten, überzeugen können, mag bezweifelt werden. Davon unabhängig stellt sich aber die Frage: Wie kann die geforderte Sprachkompetenz am besten erreicht werden? Und wie kann der erkennbare Trend gestoppt werden, dass Migrantenkinder, insbesondere solche aus bildungsfernen Schichten, auch noch am Ende ihrer Schulzeit weder ihre Muttersprache noch Deutsch richtig beherrschen? Claudia Maria Riehl setzt dabei zunächst auf Aufklärung. Im Zentrum Sprachenvielfalt und Mehrsprachigkeit gibt sie regelmäßige Elternseminare mit Tipps zum richtigen Umgang mit Zweisprachigkeit. Und sie setzt auf einen besondere Form des Unterrichts, die ursprünglich in Kanada entwickelten so genannten Immersionsprogramme:

    "Und zwar hat man gesagt, die Kinder sollen sozusagen in die Sprache eintauchen, also in ein Sprachbad, das ist die Idee der Immersion. Und das bedeutet, das man versucht nicht nur Sprachunterricht in der Sprache zu machen, sondern auch den Sachunterricht."

    Das Eintauchen ins Sprachbad, die Immersion, gelte weltweit als erfolgreichste Methode des Sprachenlernens meint die Linguistin und solle daher verstärkt auch in deutschen Kindertagesstätten und Grundschulen angeboten werden. In Köln gibt es bereits eine Grundschule, die dieses Programm auf Italienisch anbiete und sie selbst habe da gute Erfahrungen gemacht:

    "Ich war zum Beispiel mal in der Schule im Unterricht, da haben die gerade die Wale durchgenommen und da lernen die halt nicht nur, was die Wale machen, sondern auch die verschiedenen Typen von Walen auf Deutsch und auf italienisch. Und ich hab auch was dabei gelernt, also ich fand das unglaublich spannend."

    In Köln soll im nächsten Jahr auch eine deutsch-türkische Immersionsschule eingerichtet werden. Die Kinder dort, meint Claudia Maria Riehl, dürften dann später auch mit dem Englischlernen keine Probleme haben.